Mit wilden Satiren wie Reality Bites oder Tropic Thunder
hat sich der Komiker Ben Stiller auch als Regisseur einen Namen
gemacht. Mit der ambitionierten Tragikomödie The Secret Life of
Walter Mitty, seiner fünften Regiearbeit, legt er seinen bislang
reifsten und persönlichsten Film vor.
Obwohl die Figur schon längst ihren Weg in den Kanon der
amerikanischen Populärkultur gefunden hat, existieren mittlerweile
drei sich markant voneinander unterscheidende Walter Mittys:
derjenige, welcher in James Thurbers Kurzgeschichte The Secret
Life of Walter Mitty (1939) versucht, mittels aufregender
Tagträume der Langeweile einer Einkaufstour entgegenzuwirken;
derjenige, welcher sich in Norman Z. McLeods gleichnamiger Verfilmung
aus dem Jahr 1947, gespielt von Danny Kaye, aus seinem tristen Alltag
hinweg träumt, bis er unversehens in ein echtes Abenteuer stolpert;
und derjenige, den Ben Stiller in seinem neuesten Film, dem Resultat
eines gut 20 Jahre dauernden Produktions-Marathons, hinaufbeschwört.
Anders als der Mitty von Thurber und McLeod/Kaye eträumt sich
dieser, ein Fototechniker beim der Digitalisierung geweihten Life-Magazin, nicht etwa eine entrückte Alternative zur
frustrierenden Realität, sondern eine Welt, in der er dazu fähig
ist, die Initiative zu ergreifen und sich eine eigene Identität zu
schaffen.
Das Finden – oder das Schaffen – der eigenen Identität
entspricht im Zeitalter der sozialen Medien und der zunehmenden
Technologisierung des Alltags ganz dem Zeitgeist und bildet den
thematischen Kern von Stillers The Secret Life of Walter Mitty,
welcher sprechenderweise damit beginnt, dass die Titelfigur (gespielt
von Stiller selbst) versucht, eine Arbeitskollegin auf einer
Online-Dating-Website zu kontaktieren. Der Versuch scheitert nicht
etwa aus technischen Gründen, sondern weil Walters Lebenslauf, so
die Telefonauskunft (der wunderbare Patton Oswalt), unspektakulärer
als erlaubt ist. Auf die Herausforderungen des Alltags – etwa das
Ansprechen der charmanten Cheryl (Kristen Wiig) oder die Gemeinheiten
des neuen Vorgesetzten (Adam Scott) – vermag Walter nur imaginär
zu reagieren. (Einige dieser fantasierten Sequenzen – allen voran
die fehlgeleitete The Curious Case of Benjamin Button-Referenz
– überzeugen nur teilweise.) Doch Stiller und Autor Steven Conrad
(Wrestling Ernest Hemingway, The Pursuit of Happyness)
gehen weiter und tiefer als ihre Vorgänger Thurber und McLeod: Nach
rund der Hälfte der Laufzeit lässt ihr Mitty seine Träumereien
hinter sich und bricht auf in die grosse weite Welt, um sich bei
einem Fotografen (Sean Penn – hervorragend) nach jenem
verschwundenen Schnappschuss zu erkundigen, der das Titelblatt der
letzten gedruckten Ausgabe von Life zieren soll.
Der Tagträumer Walter Mitty (Ben Stiller) bricht auf in die grosse
weite Welt.
© 2013 Twentieth Century Fox Film Corporation
|
Zugegeben, es ist eine hemmungslos idealisierte Welt, auf die Walter
hier trifft – eine Welt, in der liebenswerte Betrunkene problemlos
Hubschrauber fliegen können, afghanische Warlords Kuchen als Wegzoll
gelten lassen und Sprachbarrieren mit Gesten, Tauschgeschäften und
Fussballspielen überwunden werden. Doch es fällt schwer, nicht von
der Leidenschaft und der Verve dieses virtuos komponierten,
eindrücklich bebilderten, assoziativ-diskursiv aufgezogenen Films
mitgerissen zu werden, welcher in seiner schwelgerischen Romantik
nicht selten die Werke eines Ernst Lubitsch evoziert. The Secret
Life of Walter Mitty ist eine faszinierende, über ihre
unübersehbaren Defizite erhabene Ode an das Leben, das Opus magnum
eines vielleicht nicht ganz grossen, wohl aber sehr talentierten
Regisseurs.
★★★★
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen