Ohne jemals die Moralkeule zu schwingen, rechnet Meisterregisseur Martin Scorsese in seiner rabenschwarzen Satire The Wolf of Wall Street mit der absurden Welt der Hochfinanz ab. Drei Stunden der Ausschweifungen, der Exzesse, der Bacchanale – eine brillante cineastische Tour de Force.
Wollte man dieses wilde Treiben, dieses atemberaubende Spektakel,
dessen schiere Energie im Filmjahr 2013 wohl nur mit Paolo
Sorrentinos Rom-Fellineske La grande bellezza und Spring
Breakers, Harmony Korines giftigem Angriff auf die amerikanische
Party-Kultur, zu vergleichen ist, mit einem Satz zusammenfassen, so
böte sich wohl am ehesten Bob Dylans legendärer Aphorismus "Money
doesn't talk, it swears" aus dem Song "It's Alright, Ma (I'm Only
Bleeding)" an – und das nicht nur aufgrund der Tatsache, dass im
179-minütigen The Wolf of Wall Street geschlagene 569 Mal das
Wort "fuck" fällt (Weltrekord). Scorsese und Drehbuchautor
Terence Winter (The Sopranos, Boardwalk Empire), dem als
Vorlage die selbstherrliche und -verherrlichende Autobiografie des
ehemaligen Börsenmaklers Jordan Belfort diente, erzählen in ihrem
sardonisch lustigen Film von der moral- und menschenverachtenden
Gier, mit der an der New Yorker Börse operiert und nach immer
grösseren Summen getrachtet wird.
Doch die Frage bleibt, ob man Scorseses unbändigem Epos gerecht
wird, wenn man es in einem einzigen Satz resümiert. Denn The Wolf
of Wall Street lebt von seiner Ausführlichkeit, von seiner auf
einen stringenten Plot verzichtenden Aneinanderreihung immer
haarsträubenderer Anekdoten, welche in Retrospektive zu einem
Fiebertraum voller Sex, Drogen und Geld verschwimmen. Die Rolle des
Zeremonienmeisters – zusammen mit der des Erzähler und des
(Anti-)Helden – fällt Jordan Belfort (Leonardo DiCaprio) zu, der,
wie einst Nick Carraway in F. Scott Fitzgeralds Roman The Great
Gatsby (in dessen letztjähriger Verfilmung DiCaprio als die
ikonische Titelfigur zu sehen war), 1987 als junger, noch
unverdorbener Makler an die Wall Street pilgert, um sein Glück zu
machen. Anders als Carraway findet er dort jedoch nicht die
kühl-elegante Dekadenz der Zwanzigerjahre, sondern das infernalische
Chaos des entfesselten Kapitalismus vor.
Herrschaft des Geldes: Jordan Belfort (Leonardo DiCaprio) steigt
rasch zu einem mächtigen Wall-Street-Makler auf.
© Universal Pictures Switzerland
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Unter seinem Mentor (Matthew McConaughey) wächst Jordan selber zu
einem gnadenlosen Spekulanten heran, dem daran gelegen ist,
ahnungslosen Kunden Aktien – erlogenes Geld – zu verhökern,
während er die realen Moneten selber einstreicht. Nach dem "Black
Monday"-Börsencrash im Oktober 1987 gründet Jordan mit dem
Junior-Partner Donnie (Jonah Hill) eine Privatfirma, welche wertlose
Aktien zu möglichst hohen Preisen verkauft, um von der hohen
Provision zu profitieren. Doch wie Jordan, der sich immer wieder
direkt an den Zuschauer wendet, stets betont: Wichtig ist nicht, wie,
sondern dass das Geld fliesst.
Und obwohl der Film formal Scorseses Mafia-Panoptiken – GoodFellas (1990) und Casino (1995) – ähnelt, hebt er
sich doch von beiden durch seine subversive Leichtfüssigkeit ab: Im
Stakkato-Rhythmus wird das Publikum mit famosen Dialogen und
abseitigen Szenarien bombardiert, deren oft versteckt unbehagliche
Implikationen jeder Kinogänger selbst erwägen muss. The Wolf of
Wall Street dürfte somit als Scorseses lustigstes Werk in die
Filmgeschichte eingehen, auch dank einer fantastischen Darbietung
Leonardo DiCaprios, der sich mit der Verve eines berserkernden
evangelikalen Predigers mit erstaunlichem Körpereinsatz in Belforts
Exzesse hineinversetzt; sein klimaktischer Quaaludes-Trip ist mit der
Beweglichkeit eines Slapstick-Veteranen vorgetragen. Damit stellt
Scorsese die Macht der Komödie unter Beweis: Dass sich am Ende
seines Films nichts geändert hat, dass die Welt immer noch zum
Verkauf steht, dass sich die Menschen immer noch vom Versprechen des
schnellen Geldes verführen lassen, ist effektiver als jeder erhobene
Zeigefinger.
★★★★
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