Ein
Musterbeispiel für hochkarätiges Filmemachen ist Dallas Buyers
Club trotz seiner sechs
Oscar-Nominationen
zwar nicht; doch Jean-Marc Vallées faktenbasiertes Charakterdrama um
einen geschäftstüchtigen texanischen AIDS-Kranken profitiert von
der Überzeugungskraft seiner Hauptakteure.
Wer Kritik an narrativer Kunst betreibt, wird sich früher oder
später mit der Crux der Gewichtung konfrontiert sehen. Inwiefern
können einzelne herausragende Elemente die Last der weniger
überzeugenden Aspekte ausgleichen? Kann eine Theateraufführung
gefallen, wenn ein brillanter Text enttäuschend vorgetragen wird?
Entschuldigt die Sprachvirtuosität eines Romanciers Defizite in der
Plot-Konzeption? Vermögen im Kino überragende Schauwerte über
allfällige inhaltliche Schwächen hinwegzutäuschen?
Letztere Frage stellt sich besonders oft in den Genres Action und
Science-Fiction. Doch in abgewandelter Form trifft sie auch auf Dallas Buyers Club zu. Denn an sich ist Jean-Marc Vallées Film
keine berauschende Angelegenheit; seine Oscar-Nominationen für das
beste Originaldrehbuch, den besten Schnitt sowie den besten Film
dürfen als vermessen bezeichnet werden. Das Porträt des
Macho-Texaners Ron Woodroof (Matthew McConaughey), der 1985, auf dem
Höhepunkt der AIDS-Epidemie, positiv auf HIV getestet wurde und dem
daraufhin progonostiziert wurde, er würde innert Monatsfrist
sterben, ist weder sonderlich raffiniert noch bemerkenswert subtil
und leidet neben einem unsteten Fokus an seinem Hang dazu, die wahren
Begebenheiten scheinbar nach Belieben umzugestalten.
Woodroof, der sich nach seiner Diagnose intensiv mit AIDS-Forschung
auseinandersetzte, erkannte, dass viele Symptome der Krankheit mit
Hilfe von in den USA nicht zugelassenen Medikamenten behandelt werden
konnten. So verbrachte er den Rest seines Lebens – er starb 1992 –
mit der illegalen Einfuhr und dem halblegalen Vertrieb solcher
Mittel. Er ist in Dallas Buyers Club hin- und her gerissen
zwischen zwei Darstellungen: Zum einen kommt seine (wahrscheinlich)
genuine Persona zum Tragen – der eines gewieften Geschäftsmannes
im klassisch amerikanischen Sinne, der noch aus der misslichsten Lage
Profit zu schlagen weiss. Zum anderen erheben ihn die Autoren Craig
Borten und Melisa Wallack zu einer kuriosen Symbolfigur, die auf
mehreren Ebenen gegen soziale Ungerechtigkeit kämpft: Als er wegen
seiner Krankheit aus seinem angestammten Milieu, der
Rodeo-Cowboy-Szene, ausgeschlossen wird, überwindet er, auch dank
seiner – zunächst rein geschäftlich motivierten – Freundschaft
mit dem Transsexuellen Rayon (Jared Leto), seine aggressive
Homophobie (Berichten zufolge war Woodroof in Tat und Wahrheit zwar
bisexuell); derweil er mit seinem Medikamenten-Schmuggel die Macht
der Pharma-Konzerne über die staatliche Food and Drug Administration
herausfordert.
Nach seiner AIDS-Diagnose handelt der Texaner Ron Woodroof (Matthew
McConaughey) mit in den USA nicht zugelassenen Medikamenten.
© Ascot Elite
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Diese Geschichte ist solide inszeniert – wenngleich unnötig
verlängert durch Woodroofs Beziehung zu einer Ärztin (Jennifer
Garner) –, leicht verdaulich und, bei aller Ernsthaftigkeit,
gespickt mit überaus amüsanten Dialogen, weiss letztlich aber aus
eigener Kraft nicht aufzuwühlen. Wahrlich zu begeistern wissen
schlussendlich nur zwei Elemente von Dallas Buyers Club:
Matthew McConaughey und Jared Leto beeindrucken beide mit
Darbietungen der Superlative, welche, trotz unübersehbaren
Stanislavski/Strasberg-Einschlags, niemals ins Unglaubwürdige
überhöht werden. Während der nach 2000 beinahe im Sumpf seichter
Liebeskomödien versunkene McConaughey seine Wiedergeburt als
seriöser Mime virtuos komplettiert – sein ausgemergelter,
charismatischer, unberechenbarer Ron Woodroof ist seine bislang beste
Performance überhaupt –, beweist Leto, welcher völlig hinter
seiner Figur verschwindet, mit verletzlicher Grazie seine Qualitäten.
Wie in jüngerer Vergangenheit bereits La vie d'Adèle und Enough Said zeigt nun auch Dallas Buyers Club auf,
welchen massiv wertsteigernden Effekt Schauspieler auf einen Film
haben können.
★★★