Landauf, landab hängen in der Schweiz derzeit Plakate, die das Volk
auf die bevorstehende Abstimmung "Gegen Masseneinwanderung"
hinweisen. In den Kinos ist derweil das historische Drama Akte
Grüninger zu sehen ist, gewidmet dem Titel gebenden St. Galler
Polizeihauptmann Paul Grüninger, unter dessen Kommando zwischen 1938
und 1939, im Zuge des österreichischen Anschlusses an Hitlers
Nazideutschland, mehreren tausend jüdischen Flüchtlingen illegal
Asyl gewährt wurde.
Zu Zeiten des neu erstarkten Rechtspopulismus in der Schweiz, infolge
dessen Ausländerfeindlichkeit zu ungeahnter Salonfähigkeit
zurückzufinden scheint, sprechen die Thematik sowie das Timing des
Kinostarts von Alain Gsporners neuem Film eine deutliche Sprache.
Akte Grüninger appelliert an die bedingungslose, von der
Politik abgekoppelte Menschlichkeit, die Hauptmann Grüninger (ein
häufig allzu theaterhaft agierender Stefan Kurt) und Sidney Dreifuss
(Anatole Taubman), Leiter der israelitischen Flüchtlingshilfe, an
den Tag legen, um jüdischen Flüchtlingen die Einreise zu
ermöglichen. Unter den wachsamen Augen eines Bundesabgeordneten
(Maximilian Simonischek) setzen sie Beruf und Reputation aufs Spiel,
um möglichst viele Asylsuchende vor der Deportation zurück ins
Verderben zu bewahren.
Grüningers Vita – vom Fussballer beim Schweizer Meister SC Brühl
St. Gallen zum grossen Humanisten, geehrt von Israel als ein
"Gerechter unter den Völkern", im eigenen Land bis zu
seinem Tod 1972 nicht rehabilitiert – gehört zweifellos zu den
beeindruckendsten der jüngeren Schweizer Geschichte; sein Erbe
bleibt ein Thema mit kontroversem Potential, wie etwa ein unlängst
veröffentlichter Weltwoche-Artikel an den Tag legte. Doch man
muss sich fragen, ob man bei der cineastischen Aufarbeitung seines
Lebens mit Richard Dindos Dokumentation Grüningers Fall (1997)
nicht besser bedient worden sei. Denn Akte Grüninger mag ein
dankbares Übungsstück für den noch in die Rolle des Regisseurs von
gewichtigeren Stoffen hinein wachsenden Gsporner sein – als
prominenteste Arbeiten stehen für ihn bislang zwei
Martin-Suter-Adaptionen (Lila, Lila, Der letzte Weynfeldt)
sowie der Kinderfilm S'chline Gspängst zu Buche –, doch als
ernsthafte Auseinandersetzung mit Zeitgeschichte vermag sein Drama
nur mässig zu überzeugen.
Ähnlich wie Markus Imboden bei seinem Spielfilm Der
Verdingbub gehen Gsporner und Markus Imboden ihre Materie mit
ergebener, ja betroffener Aufrichtigkeit heran, was das Aufkommen von
Subtilität weitestgehend verhindert – das alte Problem der
Schweizer Filmföderung, von Komitees abhängig zu sein, macht sich
einmal mehr bemerkbar. Kraftvolle Momente wie etwa Maximilian
Simonischeks Unterredung mit einem ehemaligen Insassen des
Konzentrationslagers Dachau werden untermininiert von bestenfalls
krampfhafter, schlimmstenfalls plumper Überbetonung des historischen
Hintergrundes: Immer wieder wird die ohnehin unnötig verschachtelte,
von Rückblenden durchsetzte Dramaturgie von Archivaufnahmen aus dem
Dritten Reich unterbrochen, über die pathetische Musik und, in einem
besonders eklatanten Fehlgriff, ein Monolog Grüningers gelegt wird.
Auch gestalterisch bleibt Akte Grüninger nicht von
zweifelhaften Entscheidungen verschont. Während sich Ausstattung und
Schnitt auf solidem Niveau bewegen, ist die Bildarbeit, kurz gesagt,
schrecklich. Matthias Fleischer, obgleich im Abspann grossspurig als
"Director of Photography" aufgeführt, wird mit seiner
unsauberen Kadrage keine Preise gewinnen: Ohne Unterlass schneidet
der obere Bildrand die obere Kopfpartie der Schauspieler ab; Figuren
lehnen sich ohne Sinn für Komposition aus der Einstellung heraus.
Totalen wurden derweil einer ebenso radikalen wie irritierenden
Tilt-Shift-Kur unterzogen, welche oft alles ausser der Bildmitte in
undurchdringliche Unschärfe stürzt.
Robert Frei (Maximilian Simonischek) reist aus Bern an, um Grüninger auf die Finger zu schauen. © Disney |
So bleibt die scharfe Aktualität des Projekts der stärkste Vorzug
des Films, obgleich er auch diese nach und nach einer ungeschickten
Selbstverteidigungstaktik zu opfern droht. Schon früh werden
SP-Untergebene des freisinnigen Grüningers als treibende Kräfte im
Bemühen der St. Galler Kantonspolizei, Juden die Immigration zu
erlauben, inszeniert – eine Darstellung, welche nach und nach aber
auf nebulöse Art und Weise wieder relativiert wird, wohl um
vordergründig die Verbindung zwischen Humanismus und politischer
Gesinnung zu trennen. Akte Grüninger versteckt sich hinter
seinem Porträt schmieriger, opportunistischer, letztlich
scheinheiliger Sozialdemokraten wie dem National- und Regierungsrat
Valentin Keel (Helmut Förnbacher) vor dem praktisch unausweichlichen
Vorwurf – siehe Weltwoche – der (linken) Parteilichkeit.
Dadurch wird der Film aber nicht ausgeglichen, sondern ebenso
uncouragiert und harmoniesüchtig wie jene Zeitgenossen Grüningers,
die er so leidenschaftlich kritisiert. Es stecken viel guter Wille
und noch mehr Wahrheit in diesem Werk, welches sein Publikum in
seinem besten Momenten daran erinnert, dass die Welt nicht an der
Schweizer Grenze Halt macht, es noch nie gemacht hat. Doch Akte
Grüninger ist zu zahnlos, ein zu unpolitischer Beitrag zu einem
politisch derart aufgeladenen Thema, um wirklich zu berühren.
★★
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