Freitag, 7. Februar 2014

Akte Grüninger

Landauf, landab hängen in der Schweiz derzeit Plakate, die das Volk auf die bevorstehende Abstimmung "Gegen Masseneinwanderung" hinweisen. In den Kinos ist derweil das historische Drama Akte Grüninger zu sehen ist, gewidmet dem Titel gebenden St. Galler Polizeihauptmann Paul Grüninger, unter dessen Kommando zwischen 1938 und 1939, im Zuge des österreichischen Anschlusses an Hitlers Nazideutschland, mehreren tausend jüdischen Flüchtlingen illegal Asyl gewährt wurde.

Zu Zeiten des neu erstarkten Rechtspopulismus in der Schweiz, infolge dessen Ausländerfeindlichkeit zu ungeahnter Salonfähigkeit zurückzufinden scheint, sprechen die Thematik sowie das Timing des Kinostarts von Alain Gsporners neuem Film eine deutliche Sprache. Akte Grüninger appelliert an die bedingungslose, von der Politik abgekoppelte Menschlichkeit, die Hauptmann Grüninger (ein häufig allzu theaterhaft agierender Stefan Kurt) und Sidney Dreifuss (Anatole Taubman), Leiter der israelitischen Flüchtlingshilfe, an den Tag legen, um jüdischen Flüchtlingen die Einreise zu ermöglichen. Unter den wachsamen Augen eines Bundesabgeordneten (Maximilian Simonischek) setzen sie Beruf und Reputation aufs Spiel, um möglichst viele Asylsuchende vor der Deportation zurück ins Verderben zu bewahren.

Grüningers Vita – vom Fussballer beim Schweizer Meister SC Brühl St. Gallen zum grossen Humanisten, geehrt von Israel als ein "Gerechter unter den Völkern", im eigenen Land bis zu seinem Tod 1972 nicht rehabilitiert – gehört zweifellos zu den beeindruckendsten der jüngeren Schweizer Geschichte; sein Erbe bleibt ein Thema mit kontroversem Potential, wie etwa ein unlängst veröffentlichter Weltwoche-Artikel an den Tag legte. Doch man muss sich fragen, ob man bei der cineastischen Aufarbeitung seines Lebens mit Richard Dindos Dokumentation Grüningers Fall (1997) nicht besser bedient worden sei. Denn Akte Grüninger mag ein dankbares Übungsstück für den noch in die Rolle des Regisseurs von gewichtigeren Stoffen hinein wachsenden Gsporner sein – als prominenteste Arbeiten stehen für ihn bislang zwei Martin-Suter-Adaptionen (Lila, Lila, Der letzte Weynfeldt) sowie der Kinderfilm S'chline Gspängst zu Buche –, doch als ernsthafte Auseinandersetzung mit Zeitgeschichte vermag sein Drama nur mässig zu überzeugen.

Polizeihauptmann Paul Grüninger (Stefan Kurt, links) und Sidney Dreifuss (Anatole Taubman), Vorsitzender der israelitischen Flüchtlingshilfe, verhelfen Ende der Dreissigerjahre Tausenden von Juden zur illegalen Einreise in die Schweiz.
© Disney
Ähnlich wie Markus Imboden bei seinem Spielfilm Der Verdingbub gehen Gsporner und Markus Imboden ihre Materie mit ergebener, ja betroffener Aufrichtigkeit heran, was das Aufkommen von Subtilität weitestgehend verhindert – das alte Problem der Schweizer Filmföderung, von Komitees abhängig zu sein, macht sich einmal mehr bemerkbar. Kraftvolle Momente wie etwa Maximilian Simonischeks Unterredung mit einem ehemaligen Insassen des Konzentrationslagers Dachau werden untermininiert von bestenfalls krampfhafter, schlimmstenfalls plumper Überbetonung des historischen Hintergrundes: Immer wieder wird die ohnehin unnötig verschachtelte, von Rückblenden durchsetzte Dramaturgie von Archivaufnahmen aus dem Dritten Reich unterbrochen, über die pathetische Musik und, in einem besonders eklatanten Fehlgriff, ein Monolog Grüningers gelegt wird.

Auch gestalterisch bleibt Akte Grüninger nicht von zweifelhaften Entscheidungen verschont. Während sich Ausstattung und Schnitt auf solidem Niveau bewegen, ist die Bildarbeit, kurz gesagt, schrecklich. Matthias Fleischer, obgleich im Abspann grossspurig als "Director of Photography" aufgeführt, wird mit seiner unsauberen Kadrage keine Preise gewinnen: Ohne Unterlass schneidet der obere Bildrand die obere Kopfpartie der Schauspieler ab; Figuren lehnen sich ohne Sinn für Komposition aus der Einstellung heraus. Totalen wurden derweil einer ebenso radikalen wie irritierenden Tilt-Shift-Kur unterzogen, welche oft alles ausser der Bildmitte in undurchdringliche Unschärfe stürzt.

Robert Frei (Maximilian Simonischek) reist aus Bern an, um Grüninger auf die Finger zu schauen.
© Disney
So bleibt die scharfe Aktualität des Projekts der stärkste Vorzug des Films, obgleich er auch diese nach und nach einer ungeschickten Selbstverteidigungstaktik zu opfern droht. Schon früh werden SP-Untergebene des freisinnigen Grüningers als treibende Kräfte im Bemühen der St. Galler Kantonspolizei, Juden die Immigration zu erlauben, inszeniert – eine Darstellung, welche nach und nach aber auf nebulöse Art und Weise wieder relativiert wird, wohl um vordergründig die Verbindung zwischen Humanismus und politischer Gesinnung zu trennen. Akte Grüninger versteckt sich hinter seinem Porträt schmieriger, opportunistischer, letztlich scheinheiliger Sozialdemokraten wie dem National- und Regierungsrat Valentin Keel (Helmut Förnbacher) vor dem praktisch unausweichlichen Vorwurf – siehe Weltwoche – der (linken) Parteilichkeit. Dadurch wird der Film aber nicht ausgeglichen, sondern ebenso uncouragiert und harmoniesüchtig wie jene Zeitgenossen Grüningers, die er so leidenschaftlich kritisiert. Es stecken viel guter Wille und noch mehr Wahrheit in diesem Werk, welches sein Publikum in seinem besten Momenten daran erinnert, dass die Welt nicht an der Schweizer Grenze Halt macht, es noch nie gemacht hat. Doch Akte Grüninger ist zu zahnlos, ein zu unpolitischer Beitrag zu einem politisch derart aufgeladenen Thema, um wirklich zu berühren.

★★

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