Donnerstag, 27. Februar 2014

Dallas Buyers Club

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.


Ein Musterbeispiel für hochkarätiges Filmemachen ist Dallas Buyers Club trotz seiner sechs Oscar-Nominationen zwar nicht; doch Jean-Marc Vallées faktenbasiertes Charakterdrama um einen geschäftstüchtigen texanischen AIDS-Kranken profitiert von der Überzeugungskraft seiner Hauptakteure.

Wer Kritik an narrativer Kunst betreibt, wird sich früher oder später mit der Crux der Gewichtung konfrontiert sehen. Inwiefern können einzelne herausragende Elemente die Last der weniger überzeugenden Aspekte ausgleichen? Kann eine Theateraufführung gefallen, wenn ein brillanter Text enttäuschend vorgetragen wird? Entschuldigt die Sprachvirtuosität eines Romanciers Defizite in der Plot-Konzeption? Vermögen im Kino überragende Schauwerte über allfällige inhaltliche Schwächen hinwegzutäuschen?

Letztere Frage stellt sich besonders oft in den Genres Action und Science-Fiction. Doch in abgewandelter Form trifft sie auch auf Dallas Buyers Club zu. Denn an sich ist Jean-Marc Vallées Film keine berauschende Angelegenheit; seine Oscar-Nominationen für das beste Originaldrehbuch, den besten Schnitt sowie den besten Film dürfen als vermessen bezeichnet werden. Das Porträt des Macho-Texaners Ron Woodroof (Matthew McConaughey), der 1985, auf dem Höhepunkt der AIDS-Epidemie, positiv auf HIV getestet wurde und dem daraufhin progonostiziert wurde, er würde innert Monatsfrist sterben, ist weder sonderlich raffiniert noch bemerkenswert subtil und leidet neben einem unsteten Fokus an seinem Hang dazu, die wahren Begebenheiten scheinbar nach Belieben umzugestalten.

Woodroof, der sich nach seiner Diagnose intensiv mit AIDS-Forschung auseinandersetzte, erkannte, dass viele Symptome der Krankheit mit Hilfe von in den USA nicht zugelassenen Medikamenten behandelt werden konnten. So verbrachte er den Rest seines Lebens – er starb 1992 – mit der illegalen Einfuhr und dem halblegalen Vertrieb solcher Mittel. Er ist in Dallas Buyers Club hin- und her gerissen zwischen zwei Darstellungen: Zum einen kommt seine (wahrscheinlich) genuine Persona zum Tragen – der eines gewieften Geschäftsmannes im klassisch amerikanischen Sinne, der noch aus der misslichsten Lage Profit zu schlagen weiss. Zum anderen erheben ihn die Autoren Craig Borten und Melisa Wallack zu einer kuriosen Symbolfigur, die auf mehreren Ebenen gegen soziale Ungerechtigkeit kämpft: Als er wegen seiner Krankheit aus seinem angestammten Milieu, der Rodeo-Cowboy-Szene, ausgeschlossen wird, überwindet er, auch dank seiner – zunächst rein geschäftlich motivierten – Freundschaft mit dem Transsexuellen Rayon (Jared Leto), seine aggressive Homophobie (Berichten zufolge war Woodroof in Tat und Wahrheit zwar bisexuell); derweil er mit seinem Medikamenten-Schmuggel die Macht der Pharma-Konzerne über die staatliche Food and Drug Administration herausfordert.

Nach seiner AIDS-Diagnose handelt der Texaner Ron Woodroof (Matthew McConaughey) mit in den USA nicht zugelassenen Medikamenten.
 © Ascot Elite
Diese Geschichte ist solide inszeniert – wenngleich unnötig verlängert durch Woodroofs Beziehung zu einer Ärztin (Jennifer Garner) –, leicht verdaulich und, bei aller Ernsthaftigkeit, gespickt mit überaus amüsanten Dialogen, weiss letztlich aber aus eigener Kraft nicht aufzuwühlen. Wahrlich zu begeistern wissen schlussendlich nur zwei Elemente von Dallas Buyers Club: Matthew McConaughey und Jared Leto beeindrucken beide mit Darbietungen der Superlative, welche, trotz unübersehbaren Stanislavski/Strasberg-Einschlags, niemals ins Unglaubwürdige überhöht werden. Während der nach 2000 beinahe im Sumpf seichter Liebeskomödien versunkene McConaughey seine Wiedergeburt als seriöser Mime virtuos komplettiert – sein ausgemergelter, charismatischer, unberechenbarer Ron Woodroof ist seine bislang beste Performance überhaupt –, beweist Leto, welcher völlig hinter seiner Figur verschwindet, mit verletzlicher Grazie seine Qualitäten. Wie in jüngerer Vergangenheit bereits La vie d'Adèle und Enough Said zeigt nun auch Dallas Buyers Club auf, welchen massiv wertsteigernden Effekt Schauspieler auf einen Film haben können.

★★★

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