Donnerstag, 13. Februar 2014

Der Goalie bin ig

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.


Könnte die Leinwandadaption eines Mundartromans von Pedro Lenz der Anstoss sein, den das Schweizer Kino gebraucht hat, um aus seiner Qualitätskrise herauszufinden, seine selbst auferlegte Flucht nach innen aufzugeben? Möglich ist es, wirkt doch Der Goalie bin ig wie ein Befreiungsschlag.

"Früher war alles besser" lautet ein ebenso alter wie falscher Gemeinplatz, der sich gerade in der Schweiz seit geraumer Zeit wieder grosser Beliebtheit erfreut. In Medien und an Stammtischen wird gewettert gegen die angeblich unaufhaltsame Teuerung von einem Glas Wein, einer Stange Bier, einer Tasse Kaffee, wenngleich man unter Berücksichtigung von Inflation wohl zu dem Schluss kommen würde, dass sich die Preise in Tat und Wahrheit kaum verändert haben. Auch die scheinbare Abstumpfung der Jugend durch die zahlreichen technischen Wunderwerke des 21. Jahrhunderts ist vielen ein Dorn im Auge – in Unwissenheit darüber, dass die gleichen Befürchtungen bereits nach Erfindung des Buchdrucks geäussert wurden. Die Liste derartiger Beispiele ist schier endlos; je länger man sich damit befasst, desto offensichtlicher wird, dass die Plattitüde letztlich ähnlich aussagekräftig ist wie die Abwandlung derselben, welche der deutsche Kabarettist Jochen Malmsheimer einst vornahm: "Früher war vieles früher". 

Doch das Gefühl hat im Laufe der vergangenen Jahre auch im Schweizer Kino Einzug gehalten. Der Markt für dokumentarische Idealisierungen einer archaischen Urschweiz – ob cineastisch hochstehend oder nicht –, bevölkert von Fahnenschwingern, Bauernbräuchen und Alpaufzügen, boomt: von Heimatklänge über Die Wiesenberger und Alpsegen bis zu Alice Schmids durchschlagendem Erfolg Die Kinder vom Napf. Weiter von jenen heilen Welten könnte Sabine Boss' Der Goalie bin ig – ausser vielleicht in seinem allzu sonnigen dritten Akt – nicht entfernt sein. Der Film, so deutet es jedenfalls die subtil-atmosphärische Ausstattung an, spielt in der Vergangenheit, wohl in den Achtzigerjahren, als in Kneipen geraucht wurde, als auf der Hundert-Franken-Note noch kein Alberto Giacometti zu finden war, als die Heroinsucht ein verhältnismässig weit verbreitetes Problem war.

Während sein Kumpel Ueli (Pascal Ulli, links) weiterhin fixt, versucht Goalie (Marcus Signer) nach einem Gefängnisaufenthalt, sein Leben in den Griff zu bekommen.
 © Ascot Elite
Geleitet von der rauen, diskursiven Prosa Pedro Lenz' – welcher selber als französischer Drogendealer in einer kleinen Rolle mittut und dessen einzige Dialogzeile ("Je ne parle pas allemand") augenzwinkernd auf die Sprache seiner Literatur verweist –, erzählt Boss vom Fixer Goalie (Marcus Signer mit der stoischen Melancholie des jüngeren Robert Redford), der für seinen besten Freund Ueli (der hervorragende Pascal Ulli) ein Päckchen Stoff über die Grenze schmuggelte und daraufhin für ein Jahr nach Witzwil ins Gefängnis wanderte. Nun ist Goalie zurück im Berner Peripherie-Kaff Schummertal, wo er, clean und pleite, sich nach einer ehrlichen Arbeit umsieht und der Kellnerin Regula (Sonja Riesen) den Hof macht. Doch der Schummertaler Drogenszene zu entfliehen, ist nicht einfach.

Mit Ausnahme der deplatziert wirkenden Spanien-Reise seines Protagonisten sowie der sporadischen Ausflüge an die Grenze zum Krimi-Plot ist der Film eine für Schweizer Produktionen ungewohnt naturalistische – als Kontrast bietet sich derzeit etwa der hemdsärmelig-steife Akte Grüninger an –, durch und durch fesselnde Milieu-Studie, welche nicht selten Sven Regeners Roman Herr Lehmann evoziert. Lenz' Bern ist nahe verwandt mit Regeners Berlin, wo die Taugenichtse auf die Tunichtgute treffen und man der Tristesse des Lebens mit Bier und Zigaretten beizukommen versucht. Es ist eine Thematik, die man zuletzt angesichts der Idyllversessenheit des Schweizer Kinos – frei nach Goalie: "För öppis hetme jo ne Vergangeheit. Di isch zwar ou nid nume schön, aber die chani wenigschtens eso verzöue, wien ig wott" – schmerzlich vermisst hat.

★★★★

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