Könnte die Leinwandadaption eines Mundartromans von Pedro Lenz der
Anstoss sein, den das Schweizer Kino gebraucht hat, um aus seiner
Qualitätskrise herauszufinden, seine selbst auferlegte Flucht nach
innen aufzugeben? Möglich ist es, wirkt doch Der Goalie bin ig
wie ein Befreiungsschlag.
"Früher
war alles besser" lautet ein ebenso alter wie falscher Gemeinplatz,
der sich gerade in der Schweiz seit geraumer Zeit wieder grosser
Beliebtheit erfreut. In Medien und an Stammtischen wird gewettert
gegen die angeblich unaufhaltsame Teuerung von einem Glas Wein, einer
Stange Bier, einer Tasse Kaffee, wenngleich man unter
Berücksichtigung von Inflation wohl zu dem Schluss kommen würde,
dass sich die Preise in Tat und Wahrheit kaum verändert haben. Auch
die scheinbare Abstumpfung der Jugend durch die zahlreichen
technischen Wunderwerke des 21. Jahrhunderts ist vielen ein Dorn im
Auge – in Unwissenheit darüber, dass die gleichen Befürchtungen
bereits nach Erfindung des Buchdrucks geäussert wurden. Die Liste
derartiger Beispiele ist schier endlos; je länger man sich damit
befasst, desto offensichtlicher wird, dass die Plattitüde letztlich
ähnlich aussagekräftig ist wie die Abwandlung derselben, welche der
deutsche Kabarettist Jochen Malmsheimer einst vornahm: "Früher war
vieles früher".
Doch das Gefühl hat im Laufe der vergangenen Jahre auch im Schweizer
Kino Einzug gehalten. Der Markt für dokumentarische Idealisierungen
einer archaischen Urschweiz – ob cineastisch hochstehend oder nicht
–, bevölkert von Fahnenschwingern, Bauernbräuchen und
Alpaufzügen, boomt: von Heimatklänge über Die
Wiesenberger und Alpsegen bis zu Alice Schmids
durchschlagendem Erfolg Die Kinder vom Napf. Weiter von jenen
heilen Welten könnte Sabine Boss' Der Goalie bin ig – ausser
vielleicht in seinem allzu sonnigen dritten Akt – nicht entfernt
sein. Der Film, so deutet es jedenfalls die subtil-atmosphärische
Ausstattung an, spielt in der Vergangenheit, wohl in den
Achtzigerjahren, als in Kneipen geraucht wurde, als auf der
Hundert-Franken-Note noch kein Alberto Giacometti zu finden war, als
die Heroinsucht ein verhältnismässig weit verbreitetes Problem war.
Während sein Kumpel Ueli (Pascal Ulli, links) weiterhin fixt,
versucht Goalie (Marcus Signer) nach einem Gefängnisaufenthalt, sein
Leben in den Griff zu bekommen.
© Ascot Elite
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Geleitet von der rauen, diskursiven Prosa Pedro Lenz' – welcher
selber als französischer Drogendealer in einer kleinen Rolle mittut
und dessen einzige Dialogzeile ("Je ne parle pas allemand")
augenzwinkernd auf die Sprache seiner Literatur verweist –, erzählt
Boss vom Fixer Goalie (Marcus Signer mit der stoischen Melancholie
des jüngeren Robert Redford), der für seinen besten Freund Ueli
(der hervorragende Pascal Ulli) ein Päckchen Stoff über die Grenze
schmuggelte und daraufhin für ein Jahr nach Witzwil ins Gefängnis
wanderte. Nun ist Goalie zurück im Berner Peripherie-Kaff
Schummertal, wo er, clean und pleite, sich nach einer ehrlichen
Arbeit umsieht und der Kellnerin Regula (Sonja Riesen) den Hof macht.
Doch der Schummertaler Drogenszene zu entfliehen, ist nicht einfach.
Mit Ausnahme der deplatziert wirkenden Spanien-Reise seines
Protagonisten sowie der sporadischen Ausflüge an die Grenze zum
Krimi-Plot ist der Film eine für Schweizer Produktionen ungewohnt
naturalistische – als Kontrast bietet sich derzeit etwa der
hemdsärmelig-steife Akte Grüninger an –, durch und durch
fesselnde Milieu-Studie, welche nicht selten Sven Regeners Roman Herr Lehmann evoziert. Lenz' Bern ist nahe verwandt mit
Regeners Berlin, wo die Taugenichtse auf die Tunichtgute treffen und
man der Tristesse des Lebens mit Bier und Zigaretten beizukommen
versucht. Es ist eine Thematik, die man zuletzt angesichts der
Idyllversessenheit des Schweizer Kinos – frei nach Goalie: "För
öppis hetme jo ne Vergangeheit. Di isch zwar ou nid nume schön,
aber die chani wenigschtens eso verzöue, wien ig wott" –
schmerzlich vermisst hat.
★★★★
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