Sonntag, 30. März 2014

Captain America: The Winter Soldier

Es scheint, als hätten NSA-Affäre und schier unbegrenzte Kompetenzen von CIA und FBI nicht nur die Vereinigten Staaten in eine tiefe Sinnkrise gestürzt, sondern den symbolischen, den Landesnamen tragenden Marvel-Comichelden gleich mit. Captain America alias Steve Rogers (Chris Evans), der während des Zweiten Weltkriegs dank eines geheimen Militärexperiments vom schmächtigen Hänfling zum übermenschlich starken Supersoldaten mutierte, sieht sich in The Winter Soldier, Joe und Anthony Russos Sequel zur Herkunftsgeschichte The First Avenger (2011), einer undurchdringlichen, gänzlich konfusen Welt gegenüber gestellt, die von den klar erkennbaren – wenngleich hoffnungslos verallgemeinerten – Rollenverteilungen des Krieges zwischen Alliierten und Achsenmächten weiter nicht entfernt sein könnte.

Er, der noch vor Kriegsende während eines Einsatzes im Nordpol-Permafrost verloren ging und erst 65 Jahre später unter der Aufsicht von S.H.I.E.L.D.-Geheimdienstchef Nick Fury (Samuel L. Jackson mit gewohnt überragender Leinwandpräsenz) wieder aufgetaut und ihn die Avengers-Superheldentruppe aufgenommen wurde, wird konfrontiert mit einer Welt der Kriege, die nicht als solche deklariert werden, deren wahre Gründe im Namen der "nationalen Sicherheit" unter Verschluss gehalten werden, deren Kombattanten miteinander verschworen, verbrüdert, verworren sind – bisweilen sogar ohne es selber zu wissen. Eine Figur, deren Name einen Staat und implizit ein Ideal kennzeichnet, hat in dieser postmodernen Welt einen schweren Stand.

"This isn't freedom, this is fear", konstatiert der Captain, ein Überbleibsel des vielleicht letzten "gerechten" Krieges der Menschheitsgeschichte, als Fury ihm eine neue Drei-Schiff-Flotte fliegender Flugzeugträger vorführt, der es die Satellitentechnologie erlaubt, "Terroristen abzuschiessen, bevor sie überhaupt aus ihrem Loch kriechen". Furys Replik: "Greatest generation? You guys did some nasty stuff". Wenn Krieg per se unmoralisch ist, kann dann einer nobler sein als der andere?

Captain America alias Steve Rogers (Chris Evans, links) ist mit den Methoden seines Vorgesetzten Nick Fury (Samuel L. Jackson) nicht einverstanden.
Captain America: The Winter Soldier kreist mit überraschender – und angesichts der Tatsache, dass das Regie-Brüderpaar bislang vorab mit dem Owen-Wilson-Vehikel You, Me and Dupree in Erscheinung getreten ist, verblüffend souverän gehandhabter – Gravitas um solche und ähnliche Fragen und Motive. Als Fury bei seinem Freund und Weggefährten Alexander Pierce (der nuanciert sinistre Robert Redford) in Ungnade fällt, bricht die Sicherheit von S.H.I.E.L.D rund um die Avengers Fury, Captain America und Natasha Romanoff alias Black Widow (Scarlett Johansson) in sich zusammen. Der amerikanische Albtraum aus dem Kalten Krieg bewahrheitet sich; die Geheimdienste sind unterwandert, der Feind kontrolliert alles von der Verkehrsampel bis zur Nuklearrakete, sämtliche Wände haben Ohren. In seinen eindringlichsten Momenten – unter ihnen jene beeindruckende Sequenz, in der ein digitales Abbild des einstigen Nazi-Schergen Arnim Zola (Toby Jones) den Masterplan seiner Organisation offenlegt – verhält sich The Winter Soldier wie Alan J. Pakulas Paranoia-Klassiker The Parallax View.

Und doch, bei allem politischen Scharfsinn, ist dies durch und durch ein Marvel-Film: Stan Lees obligater Gastauftritt (wunderbar!) fehlt ebenso wenig wie die ausgedehnten Actionszenen – packend inszeniert, wenn auch stellenweise seltsam saltofixiert –, die Verweise auf das anhaltende Avengers-Narrativ – Joss Whedons Age of Ultron startet im Mai 2015 und erhält hier in einer Mid-Credits-Szene zwei neue Charaktere aus dem Marvel-Legendarium – und Figuren wie "Banner, Stark und Strange" (Hulk, Iron Man, Dr. Strange), ein mächtiger Gegenspieler für den Helden (Sebastian Stan als Winter Soldier, ein Schatten aus Steve Rogers' Vergangenheit, stets begleitet von einem äusserst effektiven Musikthema), ein neuer Sekundär-Protagonist (der kriegsversehrte Falcon, gespielt von Anthony Mackie, der sich auf seine Rolle in The Hurt Locker zu besinnen scheint) sowie die leichteren Momente der Charakterkomödie und der fein kalkulierten Anspielungen, zu denen eine köstlich subtile Verneigung vor Samuel L. Jackson und Pulp Fiction gehört.

Der mysteriöse Winter Soldier stellt Captain America vor beträchtliche Schwierigkeiten.
Zwar mag sich der erstaunlich stilsicher inszenierte Film mit seinen 136 Minuten letztendlich zu viel Zeit nehmen und trotz hohem Unterhaltungswert bleibt die diesbezügliche Qualität von Whedons The Avengers unerreicht; doch er erweist sich dennoch als das wohl beste Einzelabenteuer aus Marvels Avengers-Kanon, gerade weil er auf einer ernsten, hochaktuellen, unzweifelhaft legitimen Basis ruht. Am Ende steht nicht die Pax Americana, sondern die Subversion: die Trennung der personifizierten amerikanischen Werte von den korrumpierten Institutionen. Wie die besten Comics rezipiert und verarbeitet Captain America: The Winter Soldier den Zeitgeist und übersetzt die grossen Themen der Gegenwart in eine bekömmliche, aber deswegen keinesfalls weniger perzeptive Geschichte von maskierten Rächern und finsteren Superschurken.

★★★★

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