Er, der noch vor Kriegsende während eines Einsatzes im
Nordpol-Permafrost verloren ging und erst 65 Jahre später unter der
Aufsicht von S.H.I.E.L.D.-Geheimdienstchef Nick Fury (Samuel L.
Jackson mit gewohnt überragender Leinwandpräsenz) wieder aufgetaut
und ihn die Avengers-Superheldentruppe aufgenommen wurde, wird
konfrontiert mit einer Welt der Kriege, die nicht als solche
deklariert werden, deren wahre Gründe im Namen der "nationalen
Sicherheit" unter Verschluss gehalten werden, deren Kombattanten
miteinander verschworen, verbrüdert, verworren sind – bisweilen
sogar ohne es selber zu wissen. Eine Figur, deren Name einen Staat
und implizit ein Ideal kennzeichnet, hat in dieser postmodernen Welt
einen schweren Stand.
"This isn't freedom, this is fear", konstatiert der
Captain, ein Überbleibsel des vielleicht letzten "gerechten"
Krieges der Menschheitsgeschichte, als Fury ihm eine neue
Drei-Schiff-Flotte fliegender Flugzeugträger vorführt, der es die
Satellitentechnologie erlaubt, "Terroristen abzuschiessen, bevor
sie überhaupt aus ihrem Loch kriechen". Furys Replik: "Greatest
generation? You guys did some nasty stuff". Wenn Krieg per se
unmoralisch ist, kann dann einer nobler sein als der andere?
Captain America alias Steve Rogers (Chris Evans, links) ist mit den Methoden seines Vorgesetzten Nick Fury (Samuel L. Jackson) nicht einverstanden. |
Captain
America: The Winter Soldier kreist
mit überraschender – und angesichts der Tatsache, dass das
Regie-Brüderpaar bislang vorab mit dem Owen-Wilson-Vehikel You,
Me and Dupree in Erscheinung
getreten ist, verblüffend souverän gehandhabter – Gravitas um
solche und ähnliche Fragen und Motive. Als Fury bei seinem Freund
und Weggefährten Alexander Pierce (der nuanciert sinistre Robert
Redford) in Ungnade fällt, bricht die Sicherheit von S.H.I.E.L.D
rund um die Avengers Fury, Captain America und Natasha Romanoff alias
Black Widow (Scarlett Johansson) in sich zusammen. Der amerikanische
Albtraum aus dem Kalten Krieg bewahrheitet sich; die Geheimdienste
sind unterwandert, der Feind kontrolliert alles von der Verkehrsampel
bis zur Nuklearrakete, sämtliche Wände haben Ohren. In seinen
eindringlichsten Momenten – unter ihnen jene beeindruckende
Sequenz, in der ein digitales Abbild des einstigen Nazi-Schergen
Arnim Zola (Toby Jones) den Masterplan seiner Organisation offenlegt
– verhält sich The Winter Soldier wie
Alan J. Pakulas Paranoia-Klassiker The Parallax View.
Und
doch, bei allem politischen Scharfsinn, ist dies durch und durch ein
Marvel-Film: Stan Lees obligater Gastauftritt (wunderbar!) fehlt
ebenso wenig wie die ausgedehnten Actionszenen – packend
inszeniert, wenn auch stellenweise seltsam saltofixiert –, die
Verweise auf das anhaltende Avengers-Narrativ
– Joss Whedons Age of Ultron startet
im Mai 2015 und erhält hier in einer Mid-Credits-Szene zwei neue
Charaktere aus dem Marvel-Legendarium – und Figuren wie "Banner,
Stark und Strange" (Hulk, Iron Man, Dr. Strange), ein mächtiger
Gegenspieler für den Helden (Sebastian Stan als Winter Soldier, ein
Schatten aus Steve Rogers' Vergangenheit, stets begleitet von einem
äusserst effektiven Musikthema), ein neuer Sekundär-Protagonist
(der kriegsversehrte Falcon, gespielt von Anthony Mackie, der sich
auf seine Rolle in The Hurt Locker zu
besinnen scheint) sowie die leichteren Momente der Charakterkomödie
und der fein kalkulierten Anspielungen, zu denen eine köstlich
subtile Verneigung vor Samuel L. Jackson und Pulp Fiction
gehört.
Der mysteriöse Winter Soldier stellt Captain America vor beträchtliche Schwierigkeiten. |
Zwar
mag sich der erstaunlich stilsicher inszenierte Film mit seinen 136
Minuten letztendlich zu viel Zeit nehmen und trotz hohem
Unterhaltungswert bleibt die diesbezügliche Qualität von Whedons
The Avengers unerreicht;
doch er erweist sich
dennoch als das wohl beste Einzelabenteuer aus Marvels
Avengers-Kanon, gerade
weil er auf einer ernsten, hochaktuellen, unzweifelhaft legitimen
Basis ruht. Am Ende steht nicht die Pax Americana, sondern die
Subversion: die Trennung der personifizierten amerikanischen Werte
von den korrumpierten Institutionen. Wie die besten Comics rezipiert
und verarbeitet Captain America: The Winter Soldier den
Zeitgeist und übersetzt die grossen Themen der Gegenwart in eine
bekömmliche, aber deswegen keinesfalls weniger perzeptive Geschichte
von maskierten Rächern und finsteren Superschurken.
★★★★
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