Montag, 24. März 2014

Finsterworld

Mitten in ein Deutschland der festgefahrenen Politik und des sich einer Renaissance erfreuenden Spiessbürgertums platzt Frauke Finsterwalder mit ihrem vom Schweizer "Skandal-Autor" Christian Kracht (Imperium) mitverfassten Spielfilm-Debüt, der episodischen schwarzen Komödie Finsterworld. Diese ist, der Titel verrät es schon, vieles zugleich: ein Querschnitt durch die zeitgenössische Bundesrepublik, eine moderne Hinterfragung angeblicher deutscher Kulturkonstanten, ein ironisch gebrochener persönlicher Blick der Regisseurin auf ihr Land.

Der Plot ist analog dazu angelegt, aufgesplittet in mehrere – sich bisweilen überschneidende – Handlungsstränge, welche von zwölf fokalisierenden Personen getragen werden. Vom allein stehenden Fusspfleger Claude (Michael Maertens) leiten Finsterwalder und Kracht zum Streifenpolizisten Tom (Ronald Zehrfeld) über, der sich wünscht ein Plüschtier zu sein, während seine Freundin Franziska (Sandra Hüller) mit ihrer Hartz-IV-Dokumentation – im Stile des "neuen Neorealismus" – auf keinen grünen Zweig kommt. Derweil besucht Claude die an den Rollstuhl gefesselte Rentnerin Sandberg (Fassbinder-Kultaktrice Margit Carstensen), deren reicher Sohn Georg (Bernhard Schütz) mit seiner Frau Inga (Corinna Harfouch) das verhasste Europa endlich verlassen will und mit dem Mietauto in Richtung Pariser Flughafen unterwegs ist.

Die jüngere Generation – eine gelangweilte Privatschulklasse – sitzt währenddessen in einem Reisebus, der sie zu einer KZ-Gedenkstätte bringen soll. Doch weder Ingas und Georgs arroganter Sohn Maximilian (Jakub Gierszał) noch sein bester Freund (Max Pellny) noch die Aussenseiter Natalie (eine schreckliche Carla Juri) und Dominik (Leonard Scheicher) haben ein offenes Ohr für den mahnenden Vortrag ihres Lehrers (Christoph Bach). Und abseits von alledem streift ein stiller Einsiedler (Johannes Krisch) durch seinen Wald, wo er sich um einen verletzten Raben kümmert.

Wie man sich denken kann, ist "Provokation" ein Schlüsselwort in diesem exzentrischen Panoptikum eines sich im ewigen Widerspruch mit sich selbst befindlichen Landes ("Es ekelt einen an, aber es ist eben auch heimelig", sagt Claude einmal – wenn auch über ein Volkslied). Die Freude von Finsterwalder und Kracht am Herausfordern etablierter Normen und Tabus ist kaum zu übersehen, von den mit abgeschabter Hornhaut zubereiteten Keksen, die Claude seiner besten Kundin mitbringt, bis zu den öden Privatschülern, welche den Appellen des Exkursionsleiters an die deutsche Kollektivschuld nichts als Augenrollen, saloppe Hitler-Witze und historischen Relativismus entgegensetzen.
 
Filmemacherin Franziska (Sandra Hüller) ist auf der Suche nach der ultimativen dokumentarischen Authentizität.
© Spot On
Vielleicht ist es gerade dieses spitzbübische Vergnügen an der gehobenen Geschmacklosigkeit, insbesondere bezogen auf Geschichte und Ideologie, die es erschweren, Finsterworld als sonderlich relevante Auseinandersetzung mit irgendwas anzuerkennen. Zwar tischt der Film einem Anspielungen auf und Persiflagen über verschiedene deutsche Obsessionen auf – Franziskas Suche nach der "authentischen" Dokumentation, die Verachtung der Hautevolee für das eigene zubetonierte Land (Inga: "Ich hasse Deutschland!"), die romantische Verbundenheit mit der einheimischen Natur, die Sehnsucht nach einer unbelasteten Vergangenheit –, doch letzten Endes landet er stets viel zu schnell wieder bei den altbekannten Themen: Nazis, Grossdeutschland, Hitler – Themen, deren Provokations-Potential spätestens seit Dani Levys Mein Führer kleiner scheint, als es womöglich sein sollte. Gedanken darüber, dass Hitler die einzige deutsche Figur mit der verbindenden Ikonizität eines Mickey Mouse ist, oder über die Überlegenheit des arischen Modegeschmacks über den der BRD amüsieren mehr als sie schockieren.

Dass dies bis zu einem gewissen Grad beabsichtigt ist, ist nicht von der Hand zu weisen, zeigt diese narrative Form von Reductio ad Hitlerum doch auf, wie tief die deutsche Faszination mit der eigenen Vergangenheit auch fast sieben Jahrzehnte nach Kriegsende noch sitzt. Aber dem Ganzen fehlt letztlich eben die Finesse; wahrlich überzeugende Verweise bleiben Mangelware. Heraus stechen allenfalls Franziska, die ihre Dokumentaristen-Vorurteile gegen ausgetretene Themenpfade überwindet und nach Afrika fährt, um dort, wie einst Leni Riefenstahl, eine zweite Karriere zu beginnen, sowie Natalie, die sich im Laufe des Films von der weltoffenen Ghost World-Leserin in ein oberflächliches deutsches "Mädel" verwandelt.
 
Auf dem Schulausflug ins KZ umgarnt Maximilian (Jakub Gierszał) die Aussenseiterin Natalie (Carla Juri).
© Spot On
Alternativen haben Kracht und Finsterwalder indes nur begrenzt anzubieten, zumal jene Subplots, die sich nicht vordergründig mit den Verfehlungen Deutschlands, heute und gestern, beschäftigen, kaum zu packen wissen. Dort verabschiedet sich Finsterworld zwar zwischenzeitlich von den grossen Topoi und versucht sich an der intimeren Provokation in der Art von Ulrich Seidl, den Finsterwalder an einem Punkt sogar explizit referenziert. Doch auch hier provoziert sie ins Leere; die Inszenierung unbequemer Dialoge bleibt stets reiner Selbstzweck. (Inhaltlich mag sich der Film an Seidl orientieren; ästhetisch evoziert er mit seinen unbehaglich sonnendurchfluteten Bildern eher Das letzte Schweigen, Baran bo Odars in allen Belangen überlegenen Blick ins finstere Herz der Bundesrepublik.) 

Finsterwalder und Kracht sind nicht Seidl, Finsterworld keine Paradies-Trilogie, die angestrebte Satire auf ein bis zur Lächerlichkeit verunsichertes, dysfunktionales Volk weniger ein nachhallendes Erstlingswerk eines visionären Regie-Talents als ein oftmals gefälliges, in seiner Vollständigkeit aber defunktes Kuriositätenkabinett. Es unterhält gerade gut genug; doch der Graben zwischen Anspruch und Resultat ist zu breit, als dass man dies schon als Erfolg werten könnte.

★★

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