Mitten in ein Deutschland der festgefahrenen Politik und des sich
einer Renaissance erfreuenden Spiessbürgertums platzt Frauke
Finsterwalder mit ihrem vom Schweizer "Skandal-Autor"
Christian Kracht (Imperium) mitverfassten Spielfilm-Debüt,
der episodischen schwarzen Komödie Finsterworld. Diese ist,
der Titel verrät es schon, vieles zugleich: ein Querschnitt durch
die zeitgenössische Bundesrepublik, eine moderne Hinterfragung
angeblicher deutscher Kulturkonstanten, ein ironisch gebrochener
persönlicher Blick der Regisseurin auf ihr Land.
Der Plot ist analog dazu angelegt, aufgesplittet in mehrere – sich
bisweilen überschneidende – Handlungsstränge, welche von zwölf
fokalisierenden Personen getragen werden. Vom allein stehenden
Fusspfleger Claude (Michael Maertens) leiten Finsterwalder und Kracht
zum Streifenpolizisten Tom (Ronald Zehrfeld) über, der sich wünscht
ein Plüschtier zu sein, während seine Freundin Franziska (Sandra
Hüller) mit ihrer Hartz-IV-Dokumentation – im Stile des "neuen
Neorealismus" – auf keinen grünen Zweig kommt. Derweil
besucht Claude die an den Rollstuhl gefesselte Rentnerin Sandberg
(Fassbinder-Kultaktrice Margit Carstensen), deren reicher Sohn Georg
(Bernhard Schütz) mit seiner Frau Inga (Corinna Harfouch) das
verhasste Europa endlich verlassen will und mit dem Mietauto in
Richtung Pariser Flughafen unterwegs ist.
Die
jüngere Generation – eine gelangweilte Privatschulklasse – sitzt
währenddessen in einem Reisebus, der sie zu einer KZ-Gedenkstätte
bringen soll. Doch weder Ingas und Georgs arroganter Sohn Maximilian
(Jakub Gierszał)
noch sein bester Freund (Max Pellny) noch die Aussenseiter Natalie
(eine schreckliche Carla Juri) und Dominik (Leonard Scheicher) haben
ein offenes Ohr für den mahnenden Vortrag ihres Lehrers (Christoph
Bach). Und abseits von alledem streift ein stiller Einsiedler
(Johannes Krisch) durch seinen Wald, wo er sich um einen verletzten
Raben kümmert.
Wie man sich denken kann, ist "Provokation" ein
Schlüsselwort in diesem exzentrischen Panoptikum eines sich im
ewigen Widerspruch mit sich selbst befindlichen Landes ("Es
ekelt einen an, aber es ist eben auch heimelig", sagt Claude
einmal – wenn auch über ein Volkslied). Die Freude von
Finsterwalder und Kracht am Herausfordern etablierter Normen und
Tabus ist kaum zu übersehen, von den mit abgeschabter Hornhaut
zubereiteten Keksen, die Claude seiner besten Kundin mitbringt, bis
zu den öden Privatschülern, welche den Appellen des
Exkursionsleiters an die deutsche Kollektivschuld nichts als
Augenrollen, saloppe Hitler-Witze und historischen Relativismus
entgegensetzen.
Filmemacherin Franziska (Sandra Hüller) ist auf der Suche nach der ultimativen dokumentarischen Authentizität. © Spot On |
Vielleicht
ist es gerade dieses spitzbübische Vergnügen an der gehobenen
Geschmacklosigkeit, insbesondere bezogen auf Geschichte und
Ideologie, die es erschweren, Finsterworld
als
sonderlich relevante Auseinandersetzung mit irgendwas anzuerkennen.
Zwar tischt der Film einem Anspielungen auf und Persiflagen über
verschiedene deutsche Obsessionen auf – Franziskas Suche nach der
"authentischen" Dokumentation, die Verachtung der
Hautevolee für das eigene zubetonierte Land (Inga: "Ich hasse
Deutschland!"), die romantische Verbundenheit mit der
einheimischen Natur, die Sehnsucht nach einer unbelasteten
Vergangenheit –, doch letzten Endes landet er stets viel zu schnell
wieder bei den altbekannten Themen: Nazis, Grossdeutschland, Hitler –
Themen, deren Provokations-Potential spätestens seit Dani Levys Mein
Führer kleiner
scheint, als es womöglich sein sollte. Gedanken darüber, dass
Hitler die einzige deutsche Figur mit der verbindenden Ikonizität
eines Mickey Mouse ist, oder über die Überlegenheit des arischen
Modegeschmacks über den der BRD amüsieren mehr als sie schockieren.
Dass
dies bis zu einem gewissen Grad beabsichtigt ist, ist nicht von der
Hand zu weisen, zeigt diese narrative Form von Reductio ad Hitlerum
doch auf, wie tief die deutsche Faszination mit der eigenen
Vergangenheit auch fast sieben Jahrzehnte nach Kriegsende noch sitzt.
Aber dem Ganzen fehlt letztlich eben die Finesse; wahrlich
überzeugende Verweise bleiben Mangelware. Heraus stechen allenfalls
Franziska, die ihre Dokumentaristen-Vorurteile gegen ausgetretene
Themenpfade überwindet und nach Afrika fährt, um dort, wie einst
Leni Riefenstahl, eine zweite Karriere zu beginnen, sowie Natalie,
die sich im Laufe des Films von der weltoffenen Ghost
World-Leserin
in ein oberflächliches deutsches "Mädel" verwandelt.
Auf dem Schulausflug ins KZ umgarnt Maximilian (Jakub Gierszał) die Aussenseiterin Natalie (Carla Juri). © Spot On |
Alternativen
haben Kracht und Finsterwalder indes nur begrenzt anzubieten, zumal
jene Subplots, die sich nicht vordergründig mit den Verfehlungen
Deutschlands, heute und gestern, beschäftigen, kaum zu packen
wissen. Dort verabschiedet sich Finsterworld
zwar
zwischenzeitlich von den grossen Topoi und versucht sich an der
intimeren Provokation in der Art von Ulrich Seidl, den Finsterwalder
an einem Punkt sogar explizit referenziert. Doch auch hier provoziert
sie ins Leere; die Inszenierung unbequemer Dialoge bleibt stets
reiner Selbstzweck. (Inhaltlich mag sich der Film an Seidl
orientieren; ästhetisch evoziert er mit seinen unbehaglich
sonnendurchfluteten Bildern eher Das
letzte Schweigen,
Baran bo Odars in allen Belangen überlegenen Blick ins finstere Herz
der Bundesrepublik.)
Finsterwalder und Kracht sind nicht Seidl, Finsterworld keine Paradies-Trilogie, die angestrebte Satire auf ein bis zur Lächerlichkeit verunsichertes, dysfunktionales Volk weniger ein nachhallendes Erstlingswerk eines visionären Regie-Talents als ein oftmals gefälliges, in seiner Vollständigkeit aber defunktes Kuriositätenkabinett. Es unterhält gerade gut genug; doch der Graben zwischen Anspruch und Resultat ist zu breit, als dass man dies schon als Erfolg werten könnte.
Finsterwalder und Kracht sind nicht Seidl, Finsterworld keine Paradies-Trilogie, die angestrebte Satire auf ein bis zur Lächerlichkeit verunsichertes, dysfunktionales Volk weniger ein nachhallendes Erstlingswerk eines visionären Regie-Talents als ein oftmals gefälliges, in seiner Vollständigkeit aber defunktes Kuriositätenkabinett. Es unterhält gerade gut genug; doch der Graben zwischen Anspruch und Resultat ist zu breit, als dass man dies schon als Erfolg werten könnte.
★★
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