Die Kamera schwebt sanft durch einen Himmel voller weisser Wolken, es
spielt eine melancholische instrumentale Neuinterpretation des
Kult-Stücks "Chim Chim Cher-ee" – der Höhepunkt von
Thomas Newmans ansonsten bestenfalls durchschnittlichem Score, dessen
Originalkompositionen sich oft gefährlich nahe an trällernder
Fahrstuhl-Musik bewegen –, Colin Farrell zitiert per Voiceover mit
nachdenklicher Stimme: "Winds in the East... Mist coming in...
Like something is brewing, about to begin... Can't put my finger on
what lies in store... But I feel what's to happen all happened
before".
So beginnt Saving Mr. Banks, John Lee Hancocks überaus
anregende Tragikomödie über den Kampf, welchen die Autorin P. L.
Travers (Emma Thompson) 1961 in Hollywood mit Walt Disney (Tom Hanks)
ausfocht, um eine werkgetreue Verfilmung ihres Romans über das
magische Kindermädchen Mary Poppins sicherzustellen. Doch der Reiz
dieser stellenweise freien Adaption wahrer Begebenheiten liegt nicht
primär in ihrer zeitgeschichtlich-journalistischen Dimension. Unter
der Ägide eines weniger effizienten Regisseurs – was Hancock an
Vision fehlt, kompensiert er mit seiner unbestrittenen Erfahrung –
hätte diese Geschichte, welche zahlreiche Exkurse in die Kindheit
von Travers unternimmt, wo sich die realen Vorlagen für ihre Figuren
finden, womöglich enttäuschend zahm gewirkt, wie die verharmloste
Darstellung einer eigentlich weitaus tiefer greifenden Thematik. Wäre
das Projekt in den falschen Händen gelandet, hätte die Kritik, die
Drehbuchautoren Kelly Marcel und Sue Smith würden die dunkleren
Seiten von Disneys Philosophie ausblenden, wohl mehr Gewicht gehabt.
Aber Saving Mr. Banks, logischerweise unter der
Schirmherrschaft der Disney-Studios entstanden, was den Machern
uneingeschränkten Zugriff auf die Archive des Unternehmens erlaubte
und darüber hinaus rechtliche Bedenken eliminierte, besticht
mit seiner Einfühlsamkeit den Charakteren gegenüber sowie mit
seiner ansteckenden Liebe zu jenem Film, der aus dem Konflikt
zwischen Travers und Disney hervorgegangen ist, Robert Stevensons
fünffach oscarprämiertes Musical Mary Poppins aus dem Jahr
1964. Wie schon Stevenson verfallen auch Hancock, Marcel und Smith
nie falscher Sentimentalität und verknüpfen die amüsante
Situationskomik der vom oberflächlichen Los Angeles abgestossenen
Travers mit ironisch gebrochenen Blicken hinter die Kulissen
Hollywoods – ganz im Sinn und Geist von Singin' in the Rain –,
der Frage, inwiefern das Leben die Kunst beeinflusst, sowie mit
subtilen, mitunter gar sublimen Szenen, die sich mit der Gefühlswelt
der Figuren auseinandersetzen. Mit Hilfe dieser Themen und Motive
argumentiert der Film, und dies überzeugend, dass der "Verlust"
von Travers, welche sich Zeit ihres Lebens nicht vollends mit Disneys
Mary Poppins zu arrangieren wusste, einer war, von dem die
Welt profitierte, dass Stevensons Musical Travers' Figuren gerechter
wurde als sie bereit war anzuerkennen.
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1906: Die junge P. L. Travers (Annie Rose Buckley) muss dabei zusehen, wie sich ihr hingebungsvoller Vater (Colin Farrell) um seine Gesundheit trinkt.
© Disney |
Allerdings müssen auch solche Interpretationen mit gebührender
Vorsicht getätigt werden, um Hancocks virtuos gemachtem Film keine
explizite Ideologie anzuhängen und ihn so seiner bewegenden
Menschlichkeit zu berauben. Nichts läge ihm ferner als einer Seite
im zentralen Konflikt Recht zu geben, als eine Person als gut oder
schlecht abzustempeln. Nirgendwo kommt dies besser zum Tragen als in
den Rückblenden in Travers' Kindertage im Australien des frühen 20.
Jahrhundert, als "P. L." noch Helen Goff (Annie Rose
Buckley) hiess und dabei zusehen musste, wie ihr herzensguter Vater
(Colin Farrell) seinen Kampf gegen die Alkoholabhängigkeit verlor.
Die Verbindungen zwischen
Mary Poppins und jenen
Kindheitserlebnissen mögen bisweilen allzu deutlich hervorgehoben
werden, doch dank eines Drehbuchs, welches auf gängige Stereotypen
verzichtet, und einer grundsoliden Darbietung von Colin Farrell, der,
obgleich er einen irischstämmigen Charakter spielt, von einem
ausgeprägten Dialekt absieht, erfüllen diese auf Gravitas
ausgerichteten Sequenzen ihren Zweck mühelos. Noch selten hat man im
Hollyood-Mainstream eine derart differenzierte Darstellung einer
alkoholkranken Figur gesehen.
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1961: Walt Disney (Tom Hanks) lädt die Autorin P. L. Travers (Emma Thompson) nach Hollywood ein, um sie dazu zu überreden, ihm die Filmrechte an Mary Poppins abzutreten.
© Disney |
Der Tonfall im primären Handlungsstrang ist entschieden fröhlicher:
Die Verbalduelle von Disney und Travers werden von den herausragenden
Hanks und Thompson mit der Präzision eines klassischen
Screwball-Comedy-Duos vorgetragen; die zähen Verhandlungen der
halsstarren Travers mit Skripteur Don DaGradi (Bradley Whitford) und
den Musikkomponisten und -textern Richard (Jason Schwartzman –
wundervoll) und Robert Sherman (B. J. Novak – wundervoll), welche
sie dazu bringen sollen, Disney die Filmrechte ihres Buches
abzutreten, enthalten viele witzige Dialoge und kreativ
eingeflochtene "Rohfassungen" späterer Song-Klassiker;
Paul Giamatti als Chauffeur entwickelt mit Thompson eine skurrile
Driving Miss Daisy-Dynamik. Doch auch hier wird nicht vor der
Ernsthaftigkeit zurückgeschreckt, gerade im letzten Drittel, als
Travers der Tatsache ins Auge blicken muss, dass ihre Figuren, ob
Familienmitglieder oder nicht, nicht nur ihr selbst gehören, und
dass die realistisch-gestrenge literarische Mary Poppins es verdient,
eine optimistischere Leinwand-Inkarnation zu erhalten. So ist
letztlich auch Hancocks Entscheidung, gewisse Aspekte der realen
Geschichte – Disneys gesundheitliche Probleme, Travers' Aversion
gegenüber animierter Sequenzen in
Mary Poppins, die sie noch
am Abend der Weltpremiere entfernen lassen wollte – aussen vor zu
lassen, im Grunde ein stimmiger Kniff: Kunst ist in
Saving Mr.
Banks genuiner als die kalte Realität. Denn "a spoonful of
sugar helps the medicine go down".
★★★★
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