Wes Andersons haarklein komponierte Filme konstituieren ein eigenes kleines Universum, in dem man sich nur zu gerne verliert; viele sind geneigt, ihn zu den originellsten Regisseuren des jüngeren US-Kinos zu zählen. The Grand Budapest Hotel untermauert diesen Ruf aufs Trefflichste.
Kein
Anderson-Projekt wäre komplett, ohne dass Einspruch erhoben würde
gegen die Ästhetik – Pastellfarben, symmetrische Einrichtungen,
horizontale Kamerabewegungen, Guckkasten-Blickwinkel –, die der
eigenwillige Texaner seit seinem Langspielfilm-Debüt, Bottle
Rocket (1996), in den Werken Rushmore (1998), The Royal
Tenenbaums (2001), The Life Aquatic with Steve Zissou
(2004), The Darjeeling Limited (2007), Fantastic Mr. Fox
(2009) und Moonrise Kingdom (2012) kontinuierlich entwickelt
und verfeinert hat. Ihren prominentesten Kritiker hat die
deutsch-amerikanische Koproduktion The Grand Budapest Hotel in
David Denby gefunden, welcher unlängst im renommierten New
Yorker-Magazin schrieb: "Knowingness and formalist
whimsy should not be confused with art – or at least not with major
art".
Es ist sprechend, dass ausgerechnet ein Film wie The Grand
Budapest Hotel, ein Werk, das mit unglaublicher Verspieltheit auf
die frühen Jahre des Kinos Bezug nimmt – mit seinen Phantom Rides
auf den Dächern von Autos und Lokomotiven, mit seinen gemalten
Kulissen, wo pittoreske Finesse Vorrang vor Realismus hat –, der
vielleicht ältesten Debatte ausgesetzt wird, die das Medium kennt:
der Frage, auf welche Arten des bewegten Bildes sich der Begriff der
Kunst überhaupt anwenden lässt.
Längst hat sich das Kino als "siebte Kunst" etabliert und
verdankt sein Fortbestehen als solche, knapp 120 Jahre nach der
ersten öffentlichen Filmvorführung, nicht zuletzt Stilisten wie
Anderson, deren persönlicher Gestaltungswille ganz im Sinne des
Autorengedankens ist, jenes Grundpfeilers der Kunst. Denbys
Andeutung, Andersons Kino basiere primär auf ausgeklügeltem
Formalismus, mag zwar keineswegs verkehrt sein; doch ist es gerade
diese formale Kohärenz, dieses Talent, eine stringente Vision immer
wieder neu aus- und aufzulegen, welche dem Anderson'schen Film-Korpus
seine Faszination verleiht. Emotionalität ist darin in
unterschiedlichen Graden zu finden – wobei The Darjeeling
Limited und Moonrise Kingdom allein bereits den Vorwurf
widerlegen, rigoroser Formalismus bedeute zugleich Gefühlskälte –,
doch auch diese oft trügerisch distanziert wirkende Melancholie ist
ein fester Bestandteil von Andersons Welt.
Auf dieser beruht auch The Grand Budapest Hotel, eine
altmodisch aufgezogene Verfolgungsjagd durch ein fiktives
osteuropäisches Land Anfang der Dreissigerjahre, die an die
Studio-Krimis des klassischen Hollywood, etwa jene eines Ernst
Lubitsch, erinnert. Erzählt wird in diesem rasanten, starbesetzten,
wunderbar aberwitzigen Abenteuer, welches narrativ gleich dreifach
eingerahmt ist, von der Tragik romantischer Nostalgie: "I think his
world had vanished long before he ever entered it", sagt der
alternde Hotelbesitzer Zero (F. Murray Abraham) über seinen
einstigen Vorgesetzten, Gustave H. (Ralph Fiennes mit einer
brillanten komödiantischen Darbietung), den Chef-Concierge des Grand
Hotel Budapest. Mit ihm floh der junge Zero (Tony Revolori), ein
Page, 1932 vor dem Zorn erstarkender Faschisten sowie dem Schergen
(Willem Dafoe) eines zwielichtigen Erben (Adrien Brody), der den Mord
an seiner Mutter (Tilda Swinton) Monsieur Gustave anhängen will.
Die formalen Vergnügen sind hier unmittelbarer erkennbar als die
emotionalen Aspekte, doch darob verliert der Film kein Iota seines
Reizes: Andersons Kompositionen wie auch seine gewitzte
Bilddramaturgie – in drei Leinwandformaten – bleiben makellos,
seine skurrilen Szenarien und Dialoge begeistern mit gewohnter
Schärfe, seine Detailverliebtheit animiert zu wiederholten
Visionierungen. Wie ein Überbleibsel aus einer vergangenen Zeit
verwandelt The Grand Budapest Hotel den Kinosaal wieder in den
magischen Ort der frühen Jahre des Mediums.
★★★★★
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