Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.
Drei Filme hat Spike Jonze in den letzten 15 Jahren gedreht, allesamt
brillant; sie etablierten ihn als eines von Hollywoods grössten
Regie-Talenten. Nun hat sich der einstige Videoclip- und Werbefilmer
mit Her, einer ebenso emotionalen wie intelligenten
Tragikomödie, selber übertroffen.
Der Realitätsbegriff zieht sich wie ein roter Faden durch das Œuvre
des Spike Jonze. Während seine Langspielfilme sich in
unterschiedlicher Form mit konstruktivistischen Ideen beschäftigten
– in Being John Malkovich entdeckt John Cusack ein Tor ins
Bewusstsein des Titel gebenden Schauspielers, in Adaptation
sprengt ein Drehbuch den fiktiven Rahmen des Films, Where the Wild
Things Are verlegt die Imagination eines Kindes in die
Wirklichkeit –, verbindet er in seinen Kurzfilmen diese Ansätze
mit einer Reflexion darüber, inwiefern die Liebe, deren Schönheit
er genauso zelebriert wie ihre potentiell selbstzerstörerische
Wirkung, damit zusammenhängt. Im animierten Mourir auprès de
toi (2011) endet die von Moby Dick an den Rand einer Katastrophe
gebrachte Beziehung zweier Buchdeckel-Figuren erst im Tod, nur um
dann von der Unsterblichkeit der Fiktion errettet zu werden; in I'm
Here (2010) kommt die Dimension der Technologie hinzu, als ein
Roboter (Andrew Garfield) sich in eine zerbrechliche Artgenossin
verliebt, welcher er nach und nach seinen ganzen Körper schenkt.
So gesehen, ist Her eine Verschmelzung dieser Themenbereiche.
Theodore Twombly (Joaquin Phoenix mit einem Karriere-Glanzlicht),
professioneller Briefschreiber bei "BeautifulHandwrittenLetters.com",
lädt sich während der Scheidung von seiner Jugendliebe Catherine
(Rooney Mara) ein neues personalisiertes Computer-Betriebssystem
herunter. Das intuitive Programm nennt sich Samantha (famos
gesprochen von Scarlett Johansson) und fasziniert den einsamen
Theodore mit Charme und verblüffender Menschlichkeit. Bald schon
nimmt er mit seiner nur stimmlich anwesenden Gefährtin eine
romantische Beziehung auf. Jonzes Interesse an den Mechanismen der
Liebe wird mit dem Sinnieren darüber verbunden, wie real der Dialog
zwischen einem Menchen und einem gemeinhin als leblos erachteten
Objekt – hier einer künstlichen Intelligenz – sein kann,
inwieweit man von einem genuinen Austausch sprechen kann.
"Your Voice in My Head": Theodore Twombly (Joaquin Phoenix)
verliebt sich in sein Computer-Betriebssystem, dessen Stimme
(Scarlett Johansson) er per Kopfhörer empfängt.
© Ascot Elite
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Vorgetragen wird dies mit viel Witz, Feinsinn sowie darstellerischer
und dramaturgischer Virtuosität (der Drehbuch-Oscar für Jonzes
erstes alleine verfasstes Skript ist hochverdient). Jonze kreiert in Her eine stimmige nahe Zukunft, zirka 2025, deren Atmosphäre
ohne jede Künstlichkeit, sondern mit erzählerischer Raffinesse und
K. K. Barretts hervorragender Ausstattung vermittelt wird. Theodore
lebt in einem freundlichen, überwiegend toleranten Los Angeles des
weit verbreiteten Wohlstands, der funktional-eleganten
Retro-Ästhetik, der weichen LED-Beleuchtung, der einfach zu
bedienenden Touchscreens. Seine Mitmenschen sind wie er selber im
Internetzeitalter aufgewachsen; Leute wie er, die im Zwiegespräch
mit ihren per Kopfhörer stets erreichbaren Betriebssystemen,
scheinbar mit sich selbst redend, durch den Tag gehen, sind die Norm.
Doch Jonze erhebt während seines Filmes nie den Zeigefinger. Die
Liebe zwischen Theodore, der von menschlichen Partnerinnen
überfordert und missverstanden wird – grandios die
Gegenüberstellung des Chat-Sex, den er erst mit einer Frau und dann
mit Samantha hat –, und der wissbegierigen Samantha wird, entgegen
dem Trend thematisch ähnlicher Produktionen, nicht aus
kulturpessimistischer Sicht gezeigt. Vielmehr nimmt Her seine
zentrale Romanze – mit allen ihren Hochs, Tiefs und praktischen
Schwierigkeiten – absolut ernst; die Dynamiken, die zwischen
Theodore, Samantha, Catherine sowie Theodores bester Freundin (Amy
Adams) wirken, werden in ihrer ganzen Komplexität ausgeleuchtet.
Spike Jonze ist mit seinem neuesten Film ein anregendes, bewegendes
Meisterwerk gelungen, vielleicht sogar ein künftiger Klassiker des
Web-2.0-Kinos.
★★★★★
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