Das Opus magnum, das womöglich keines hätte sein sollen: Nach einem
fulminanten ersten Teil verliert sich Volume II von Lars von
Triers Nymph()maniac, seiner episodenhaften Auseinandersetzung
mit Sex, skrupelloser Weiblichkeit und der Macht der Erzählung, in
der Repetition.
Mit der Dogme-95-Bewegung hat Lars von Trier schon längst gebrochen; Idioterne (1998) blieb der einzige Film, den der Mitbegründer
der dänischen Avantgarde-Kollektive dazu beisteuerte – bloss eine
Fussnote im Werk des Regisseurs von Breaking the Waves, Dogville und Antichrist. Und doch ist es immer wieder
eine kleine, im Grunde irrationale Überraschung zu sehen, wie weit
er sich von den Dogme-Geboten distanziert hat. Der Handkamera ist er
treu geblieben, mitunter auch der Regel, nur natürliches Licht zu
verwenden, und in ein Genre lassen sich seine Filme noch immer nicht
einordnen; doch inzwischen haben CGI und digitale Nachbearbeitung
ebenso Eingang in sein Handwerk gefunden wie zeitlich und örtlich
abstrahierte Schauplätze und "unechte" Drehorte (man denke an
die Theater-Ästhetik von Dogville). Dieser nonchalante Bruch
mit der eigenen Vergangenheit hat in gewisser Hinsicht in Nymph()maniac – Volume I seinen Höhepunkt erreicht; mit
ihren verspielten Verfremdungseffekten und augenzwinkernden
Einspielern ist die Biografie der sexsüchtigen Joe (Charlotte
Gainsbourg), wie diese sie dem Junggesellen Seligman (Stellan
Skarsgård) darlegt, vielleicht der befreiteste Eintrag in von Triers
Filmografie.
Und obwohl Volume II dort ansetzt, wo sein Vorgänger aufgehört
hat – im Moment, in dem Joe feststellt, dass sie durch ihre
Beziehung zu Jerôme (Shia LaBeouf) ihr sexuelles Empfinden verloren
zu haben scheint –, vermag er dessen Faszination nicht gänzlich zu
reproduzieren. Zwar mag Seligman noch immer allerlei historische
Präzedenzen beiziehen, um Joes Verhalten zu umschreiben – von
Beethoven, Bach und Wagner bis zu Thomas Mann und Sigmund Freud –,
Joe weiterhin unablässig nach Eskapaden Ausschau halten – vom
mysteriösen K (Jamie Bell) lässt sie sich in Sadomasochismus
unterweisen, von L (Willem Dafoe) in mafiösen Geschäften –, von
Trier die Filmgeschichte in seine Inszenierung einfliessen lassen –
neben Fassbinder und Tarkovsky zitiert er mit einem Verweis auf den
oft diskutierten Prolog von Antichrist sogar sich selbst; aber
es fehlt die Verve, welche Volume I zu einem derart lebhaften
Stück Provokation machte. Die Stilmittel verlieren durch allzu
häufige Anwendung ihre Schärfe; wie der Nymphomanin die Lust am Sex
kommt dem Zuschauer die Begeisterung für das Leinwandgeschehen
abhanden.
Auf der Suche nach neuen sexuellen Abenteuern entdeckt Joe (Charlotte
Gainsbourg) den Sadomasochismus.
© Ascot Elite
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Klar, dieser Effekt ist zu einem gewissen Grad kalkuliert. Natürlich
demonstriert von Trier damit seine Macht als Regisseur, indem er dem
sich mit seiner Vision anfreundenden Zuschauer wieder ein Schnippchen
schlägt. Das ist sein Stil, so kennt man ihn, so wird er dereinst in
die Annalen eingehen. Doch in diesem Fall untergräbt diese
Entwicklung die inhaltlichen Ansprüche des Films. Denn Nymph()maniac ist auch in seiner anderweitig eher
enttäuschenden zweiten Hälfte voll von spannenden Ansätzen: Von
Trier erkundet die Verwandtschaft von Sex und Religion, von der
Passion Christi und den Peitschenhieben, denen sich Joe in Ks "Therapiestunden" aussetzt. Mit unverhohlener Ironie lässt er
Seligman die geschundene Hauptfigur als Auflehnung der
jahrhundertelang unterdrückten Frau gegen die Scheinheiligkeit der
männlich-bourgeoisen Moralgesellschaft lesen. Und im Kern der
Handlung steckt nach wie vor die Möglichkeit, dass die ganze
vierstündige Geschichte nur eine Erfindung Joes ist, der erzählenden
Scheherazade, die schlussendlich die Waffe auf ihr Publikum richtet –
ein passendes Bild für das Kino des Lars von Trier.
★★★
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