Donnerstag, 10. April 2014

Nymph()maniac – Volume II

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.


Das Opus magnum, das womöglich keines hätte sein sollen: Nach einem fulminanten ersten Teil verliert sich Volume II von Lars von Triers Nymph()maniac, seiner episodenhaften Auseinandersetzung mit Sex, skrupelloser Weiblichkeit und der Macht der Erzählung, in der Repetition.

Mit der Dogme-95-Bewegung hat Lars von Trier schon längst gebrochen; Idioterne (1998) blieb der einzige Film, den der Mitbegründer der dänischen Avantgarde-Kollektive dazu beisteuerte – bloss eine Fussnote im Werk des Regisseurs von Breaking the Waves, Dogville und Antichrist. Und doch ist es immer wieder eine kleine, im Grunde irrationale Überraschung zu sehen, wie weit er sich von den Dogme-Geboten distanziert hat. Der Handkamera ist er treu geblieben, mitunter auch der Regel, nur natürliches Licht zu verwenden, und in ein Genre lassen sich seine Filme noch immer nicht einordnen; doch inzwischen haben CGI und digitale Nachbearbeitung ebenso Eingang in sein Handwerk gefunden wie zeitlich und örtlich abstrahierte Schauplätze und "unechte" Drehorte (man denke an die Theater-Ästhetik von Dogville). Dieser nonchalante Bruch mit der eigenen Vergangenheit hat in gewisser Hinsicht in Nymph()maniac – Volume I seinen Höhepunkt erreicht; mit ihren verspielten Verfremdungseffekten und augenzwinkernden Einspielern ist die Biografie der sexsüchtigen Joe (Charlotte Gainsbourg), wie diese sie dem Junggesellen Seligman (Stellan Skarsgård) darlegt, vielleicht der befreiteste Eintrag in von Triers Filmografie.

Und obwohl Volume II dort ansetzt, wo sein Vorgänger aufgehört hat – im Moment, in dem Joe feststellt, dass sie durch ihre Beziehung zu Jerôme (Shia LaBeouf) ihr sexuelles Empfinden verloren zu haben scheint –, vermag er dessen Faszination nicht gänzlich zu reproduzieren. Zwar mag Seligman noch immer allerlei historische Präzedenzen beiziehen, um Joes Verhalten zu umschreiben – von Beethoven, Bach und Wagner bis zu Thomas Mann und Sigmund Freud –, Joe weiterhin unablässig nach Eskapaden Ausschau halten – vom mysteriösen K (Jamie Bell) lässt sie sich in Sadomasochismus unterweisen, von L (Willem Dafoe) in mafiösen Geschäften –, von Trier die Filmgeschichte in seine Inszenierung einfliessen lassen – neben Fassbinder und Tarkovsky zitiert er mit einem Verweis auf den oft diskutierten Prolog von Antichrist sogar sich selbst; aber es fehlt die Verve, welche Volume I zu einem derart lebhaften Stück Provokation machte. Die Stilmittel verlieren durch allzu häufige Anwendung ihre Schärfe; wie der Nymphomanin die Lust am Sex kommt dem Zuschauer die Begeisterung für das Leinwandgeschehen abhanden.

Auf der Suche nach neuen sexuellen Abenteuern entdeckt Joe (Charlotte Gainsbourg) den Sadomasochismus.
© Ascot Elite
Klar, dieser Effekt ist zu einem gewissen Grad kalkuliert. Natürlich demonstriert von Trier damit seine Macht als Regisseur, indem er dem sich mit seiner Vision anfreundenden Zuschauer wieder ein Schnippchen schlägt. Das ist sein Stil, so kennt man ihn, so wird er dereinst in die Annalen eingehen. Doch in diesem Fall untergräbt diese Entwicklung die inhaltlichen Ansprüche des Films. Denn Nymph()maniac ist auch in seiner anderweitig eher enttäuschenden zweiten Hälfte voll von spannenden Ansätzen: Von Trier erkundet die Verwandtschaft von Sex und Religion, von der Passion Christi und den Peitschenhieben, denen sich Joe in Ks "Therapiestunden" aussetzt. Mit unverhohlener Ironie lässt er Seligman die geschundene Hauptfigur als Auflehnung der jahrhundertelang unterdrückten Frau gegen die Scheinheiligkeit der männlich-bourgeoisen Moralgesellschaft lesen. Und im Kern der Handlung steckt nach wie vor die Möglichkeit, dass die ganze vierstündige Geschichte nur eine Erfindung Joes ist, der erzählenden Scheherazade, die schlussendlich die Waffe auf ihr Publikum richtet – ein passendes Bild für das Kino des Lars von Trier.

★★★

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