Mit Hilfe der Internet-Plattform Kickstarter ist es Regisseur, Autor
und Kameramann Jeremy Saulnier gelungen, seinen neuesten Film fast
ausschliesslich über Crowdfunding zu finanzieren. Das Resultat der
innovativen Kampagne ist das archaische Rachedrama Blue Ruin.
Saulniers zweite Regiearbeit wirkt wie ein geistiger Verwandter von
Jeff Nichols' Debüt, dem ausserhalb der USA kaum beachteten
Arkansas-Familiendrama Shotgun Stories, welches, wie auch
Saulniers Erstling, die Horrorkomödie Murder Party, 2007
erschien. Beide zeigen ein Amerika, das sich an die Visionen anlehnt,
welche John Steinbeck und William Faulkner in ihren Romanen prägten
– ein Amerika der Familienfehden, der Waffensammlungen und der
Geister der Vergangenheit, die das Land unentwegt heimsuchen.
Nichols' Film beeindruckte mit seiner dichten Atmosphäre, seinem
düsteren Blick auf die geradezu biblischen Verhältnisse im Herzen
der Vereinigten Staaten und mit dem Kunststück, die zentralen
Konflikte so aufzulösen, dass – trotz des Titels – während der
gesamten 90 Minuten Laufzeit nicht ein einziger Schuss fiel.
Blue Ruin übernimmt Stimmung und Subtext von Shotgun
Stories, doch eine gewaltlose Beilegung ihrer Differenzen bleibt
Saulniers Protagonisten nicht vergönnt. Vielmehr beleuchtet der Film
die tragische Spirale der Gewalt, in die sie mit ihren
alttestamentarischen Vorstellungen von Schuld und Sühne geraten (und
der wohl auch Nichols' Figuren anheim gefallen wären, hätten sie
jemals Gebrauch von ihren Flinten gemacht). Stein des Anstosses ist
hier die Ermordung eines Ehepaars in den frühen Neunzigerjahren. Die
mittlerweile erwachsenen Waisen Sam (Amy Hargreaves) und Dwight
(Macon Blair – hervorragend) sind mit dem Trauma unterschiedlich
umgegangen: Während Erstere zwei Kinder hat und einer einträglichen
beruflichen Tätigkeit nachgeht, ist Letzterer ein bärtiger
Landstreicher, der in seiner mobilen Rostlaube schläft und in
Mülltonnen nach Essbarem sucht. Als der für den Mord an seinen
Eltern verurteilte Wade Cleland aus dem Gefängnis entlassen wird,
stellt Dwight ihm nach und bringt ihn um. Damit setzt er nicht nur
sich selber, sondern auch Sam und ihre Töchter, dem Zorn des
Cleland-Clans aus.
Der Rachefeldzug von Dwight (Macon Blair) führt ihn in eine fatale
Spirale der Gewalt.
© Praesens Film
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Anders als etwa dem atmosphärisch vergleichbaren Out of the
Furnace fehlt Blue Ruin eine explizit als solche erkennbare
politische Dimension. Saulnier erweist sich hier nicht als
soziokulturell motivierter Chronist, sondern als überaus begabter
Geschichtenerzähler in der Tradition von Hitchcock und Ford. Sein
wortkarger Thriller lebt von der beklemmenden Stimmung, dem Gefühl,
dass die Hauptfigur – welche nach dem Mord an Wade sich beinahe zur
Unkenntlichkeit frisiert – jeden Moment von seinen Verfolgern
gestellt werden könnte. Reisserisch oder unnötig blutrünstig wird
der Film trotz diverser schockierend drastischer Gewaltmomente indes
nie. Und auch die moralische Problematik des Rachegedankens lässt
Saulnier nicht aussen vor: Im letzten Akt blättert Dwight nachgerade
melancholisch durch ein Fotoalbum der Clelands, in dem Schnappschüsse
von Angel-Ausflügen, Hauskatzen und spielenden Kindern zu sehen
sind.
Untermalt wird die gekonnt aufgezogene Handlung von überzeugender
Kameraarbeit, deren Subtilität aber immer wieder einem etwas
aufdringlichen Blaufilter zum Opfer fällt; derweil sich das
begrenzte Budget des Projekts besonders im bisweilen unsauberen
Tonschnitt bemerkbar macht. Doch dies sind geringfügige Probleme in
einem ansonsten hochklassigen Stück Erzählkino.
★★★★
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