Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.
Out
of the Furnace ist im wahrsten Sinne des Wortes "grosses" Kino
– grosse Namen, grossen Themen, grosse Emotionen. Im Milieu der
gebeutelten Stahlindustrie Pennsylvanias zeichnet Scott Coopers
zweiter Film ein düsteres amerikanisches Stimmungsbild.
Vergleicht man Coopers neues Werk mit seinem Regiedebüt, dem mit
zwei Oscars (Hauptdarsteller und Song) ausgezeichneten Musikdrama Crazy Heart (2009), fallen einem durchaus inhaltliche
Ähnlichkeiten auf. Beide erzählen vom Niedergang einer Figur, einer
Lebensart, eines Landes, von einer kathartischen Katastrophe, vom
Versuch einer Erlösung. Jeff Bridges' Country-Sänger Otis "Bad"
Blake tingelte in Crazy Heart durch Bowling-Bahnen, billige
Spelunken und triste Bars; den Frust darüber, bei Grossanlässen zum
Aufwärm-Akt degradiert worden zu sein, kontert er mit exzessivem
Alkoholkonsum, der ihn an den Rand des physischen und mentalen
Verderbens drängt. Out of the Furnace handelt vom
verantwortungsbewussteren Russell (Christian Bale, nach seinem
Schauspiel-Meisterstück in American Hustle mit einer
dezenteren, aber keineswegs unterlegenen Darbietung), einem
Stahlarbeiter aus dem grauen Industrie-Nest North Braddock,
Pennsylvania, der versucht, seinem unsteten Bruder Rodney (Casey
Affleck), einem traumatisierten Irakkriegs-Veteranen, ein geregeltes
Leben schmackhaft zu machen. Doch das Schicksal will es anders: Das
Stahlwerk steht vor der Schliessung; Russell baut einen Autounfall,
wandert ins Gefängnis und verliert seine Freundin (Zoë Saldana) an
einen Polizisten (Forest Whitaker); derweil Rodney seine halbmafiöse
Vaterfigur (Willem Dafoe) dazu überredet, ihn in die finsteren
Appalachen-Wälder New Jerseys zu schicken, um dort an den illegalen
Strassenkämpfen des psychopathischen Harlan DeGroat (Woody
Harrelson) teilzunehmen.
Doch obwohl sich dieser keinem klassischen dramatisch minutiös
strukturierten Plot folgende Film – Russells Gefängnisstrafe etwa
nimmt knapp 15 Minuten Laufzeit ein, bevor er wieder entlassen wird –
narrativ Crazy Heart zu gleichen scheint, verbinden ihn
stärkere Bande mit anderen Werken: Coopers Darstellung der dem
Untergang geweihten Industrielandschaften des amerikanischen
Nordostens evoziert David O. Russells fulminantes Boxerdrama The
Fighter (2010); die Krise der US-Industrie und ihrer Arbeiter –
welche stellvertretend für eine ganze Gesellschaft stehen – wurde
im vergangenen Jahr auch von Alexander Payne in der magistralen
Tragikomödie Nebraska beleuchtet; wie Andrew Dominiks
prätentiöser Killing Them Softly benutzt Cooper den Wahlkampf
2008 als zeitlichen Hintergrund; den Topos der
Hinterwäldler-Drogenszene kennt man aus Debra Graniks Winter's
Bone (mit dem sich Out of the Furnace in Dickon Hinchliffe
den Score-Komponisten teilt). Die nachgerade biblischen
Familienverstrickungen im Zentrum der Erzählung wiederum erinnern an
Derek Cianfrances eindrückliches Drama The Place Beyond the
Pines; ebenso die atemberaubende natürliche Schönheit North
Braddocks – bei Cianfrance war es Schenectady, New York –,
konterkariert durch die rauchenden Kaminschlote und die menschlichen
Verbrechen, welche hier in Szene gesetzt werden.
"Real Steel": Eine unglückliche Verkettung von Ereignissen
zwingt Stahlarbeiter Russell (Christian Bale) dazu, das Gesetz in die
eigene Hand zu nehmen.
© Ascot Elite
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Explizite sozipolitische Kommentare behält sich Cooper allerdings
vor. Sein Film bleibt stets im Parabelhaften verankert; er zeichnet
sich primär durch seine getragene Atmosphäre und eine Art
proletarische Schwermut aus. Rodney träumt davon, der eigenen
Versehrtheit zu entfliehen; Russell versucht sich mit dem Verlust
seiner Freundin zu arrangieren; auf einem Jagdausflug mit seinem
Onkel (Sam Shepard) entsagt er der Gewalt, nur um später zu einem
scheinbar kaltblütigen Rächer zu werden, wobei sich der Zuschauer
dabei ertappt, innerlich diese Form der archaischen, westernartigen
Selbstjustiz gut zu heissen. Von klaren Antworten auf die von ihm
aufgeworfenen moralischen und emotionalen Probleme sieht Out of
the Furnace weitgehend ab. Cooper belässt es dabei, diese Fragen
stimmungsvoll und hochgradig ästhetisch in den Raum zu stellen. Zwar
schafft es sein Film nicht ganz, einen zu einer tief greifenden
Diskussion zu animieren, doch gebührt ihm Lob dafür, über die
Grenzen einer in sich geschlossenen Erzählung hinaus zu denken.
★★★★
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