Kleinere Unstimmigkeiten hindern zwar Neele Vollmars
Kinderbuch-Verfilmung Rico, Oskar und die Tieferschatten an
wahrer cineastischer Grösse; doch mit seinem verqueren Charme, "geerbt" von Kästner und Lindgren, schafft es der Film dennoch
spielend, Klein und Gross zu unterhalten.
Rico (Anton Petzold) ist zehn Jahre alt und nach eigener Ansicht "tiefbegabt". Was das bedeutet, erklärt er dem Zuschauer nach
einer hübsch animierten Einleitung gleich selber: Er denke viel
nach, mehr als die meisten Leute, die ihn trotzdem gemeinhin für
geistig minderbemittelt halten. Bei so vielen Gedanken, die wie
Bingo-Kugeln in seinem Kopf herumrollen, kann es schon einmal
vorkommen, dass sich der unternehmungslustige Berliner Junge nicht
mehr an den Heimweg erinnert, auch wenn ihn nur noch ein
Zebrastreifen von der eigenen Haustüre trennt.
Rund um dieses liebenswert exzentrische Kind und dessen Art, die Welt
zu sehen, ist Andreas Steinhöfels 2008 veröffentlichter Bestseller Rico, Oskar und die Tieferschatten angelegt, ein Buch, das in
einem nicht allzu weit von der Realität entfernten Deutschland
spielt. Sowohl der Roman als auch Neele Vollmars werkgetreue Adaption
handeln unter anderem von Kindesentführung und der prekären
finanziellen Situation der unteren Mittelschicht. Ob sie 2000 Euro
Lösegeld denn bezahlen könnte, die der "Schnäppchenentführer"
Mister 2000, welcher derzeit in Berlin sein Unwesen treibt, für die
von ihm gekidnappten Kinder verlangt, will Rico von seiner
hingebungsvollen Mutter (Karoline Herfurth) wissen, die in einem
Nachtclub einer nicht näher definierten Arbeit nachgeht. "Seh' ick
so aus?", gibt diese trocken zurück.
Das
Berlin von Steinhöfel und Vollmar wirkt mit seinen schrägen Typen –
Ekel Fitzke (Milan Peschel), Schnulzen-Fanatikerin Dahling (Ursela
Monn), Hausmeister Marrak (Axel Prahl, der eine verblüffende
Ähnlichkeit mit Slavoj Žižek
aufweist), eine herrische Eisverkäuferin (Anke Engelke) –, mit
seinen Yuppies (ein wunderbar gegen den Strich besetzter David Kross)
und Hipstern, mit seinen Prostituierten und Stadtstreichern
stellenweise wie die Kinderausgabe von Sven Regeners Vision der
Bundeshauptstadt. Nicht selten erinnert es, gerade nachdem sich Rico
mit dem achtjährigen Oskar (Juri Winkler), einem stets einen Helm
tragenden, hochbegabten Sonderling, anfreundet, auch an jenes aus den
Büchern Erich Kästners – Ricos Ermittlungen, als Oskar spurlos
verschwindet, tragen unverkennbar Züge von Emil Tischbeins
Berlin-Odyssee in Emil und die Detektive; sein strategisches
Vorgehen wiederum evoziert die Abenteuer von Astrid Lindgrens
jugendlichem Meisterdetektiv Kalle Blomqvist.
Tief- und hochbegabt: Rico (Anton Petzold, mit Eiswaffel) und Oskar
(Juri Winkler, mit Helm) werden dicke Freunde.
© 2014 Twentieth Century Fox Film Corporation.
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Und wie schon Gerhard Lamprechts 1931 gedrehte Verfilmung des
Kästner-Klassikers zeichnet sich auch Rico, Oskar und die
Tieferschatten weniger durch die schauspielerischen
Glanzleistungen seiner Darsteller – gerade Juri Winkler bekundet
Mühe damit, seine Dialogzeilen natürlich wirken zu lassen – oder
ästhetische Innovation aus als durch seine feine Darstellung davon,
wie ein Kind die deutsche Weltstadt zu einer exakt verorteten Zeit
erlebt. Diese immer wider aufblitzende Beobachtungsgabe von Vollmars
Film entschuldigt auch für die Forrest Gump-Verklärung, die
seinem Protagonisten zuteil wird. Dessen bedenkliche Absage an Oskars
Intelligenz – "Deine Laune ist immer im Keller, weil du so schlau
bist" – wird als tiefgründige Weisheit dargestellt, was dem
ansonsten so sympathischen Film, der im Abspann bereits seine eigene
Fortsetzung ankündigt, nicht gut zu Gesicht steht.
★★★
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