Sein vielleicht grösster Erfolg, The Wind That Shakes the
Barley, ist zum Standardwerk über den irischen Unabhängigkeitskampf geworden.
In einem seiner wohl letzten Filme, dem packenden Drama Jimmy's Hall, kehrt
Working-Class-Seismograph und Sozialdrama-Meister Ken Loach auf die grüne Insel
zurück.
In einem Schaffen, das sich nicht über wiederkehrende
Figuren, sondern konstante Motive, nicht über reziklierte Stoffe, sondern ein
tief in der sozialistischen Tradition verwurzeltes politisches Bewusstsein
definiert, ist Jimmy's Hall womöglich das einzige Werk von Ken Loach (Kes, Riff-Raff, Raining Stones, Looking for Eric, The Angels' Share), 78,
welches die Züge einer Fortsetzung trägt. Das Jahr ist 1932, zehn Jahre nach
dem im dritten Akt von The Wind That Shakes the Barley (Palme-d'Or-Gewinner
2006) beschriebenen Bürgerkrieg, in dem die ideologischen Strömungen Irlands
gegeneinander um die Konditionen ihrer Unabhängigkeit vom Britischen Empire
kämpften. Als Sieger zogen in den Zwanzigerjahren die Verfechter der
pro-britischen Freistaat-Lösung vom Schlachtfeld; die radikal-republikanischen
Kräfte sahen sich – trotz faktischer Selbstbestimmung – nach wie vor am
Gängelband Londons. 1932 aber keimte Hoffnung auf, als mit Éamon de Valera ein
einstiger Rebell in Dublin das Zepter übernahm. Unter seiner Führung gingen die
während des Bürgerkriegs unterlegenen Republikaner eine Allianz mit der
katholischen Kirche ein, was nicht nur zu einem neu erstarkten Nationalgefühl
führte, sondern auch den Grundstein für Jahrzehnte der verstockt-bigotten
Quasi-Theokratie legte.
Somit schreibt der auf wahren Begebenheiten beruhende Jimmy's Hall, dessen Tonfall weitaus heiterer ist als es der historische
Hintergrund vermuten liesse, nach Land and Freedom, The Wind That Shakes the
Barley sowie der Dokumentation The Spirit of '45 ein weiteres Kapitel in
Loachs kommunistisch gefärbter Geschichte des 20. Jahrhunderts. Einmal mehr
ortet Loach die wahren Helden der Historie abseits der grossen politischen
Bühne, welche von Opportunisten und deren Ränkespielen dominiert wird – in
selbstversorgerischen, klassenlos organisierten Volkskommunen. Entsprechend ist
hier nicht de Valera die irische Ikone dieses wegweisenden geschichtlichen
Moments, sondern der Kommunist Jimmy Gralton (Barry Ward), welcher 1932 nach
23-jährigem Aufenthalt in den USA in seine Heimat im ländlichen County Leitrim
zurückkehrt und dort seinen alten Tanzsaal wieder eröffnet, wo die überwiegend
arbeitslose Dorfgemeinschaft singen, lesen und boxen lernen, über die Gedichte
William Butler Yeats' diskutieren und samstagabends zu traditionellen und
jazzigen Klängen gleichermassen tanzen kann – ein veritabler irischer
Mikrokosmos. Die ausgedehnten Szenen, in denen Loach der Musik ihren Spielraum
gibt, gehören zu den Höhepunkten des Films.
Gesang, Tanz und Politik: Kommunist Jimmy Gralton (Barry
Ward, Mitte) stellt sich im ländlichen Irland mit einer Festhalle dem
verstockten Establishment.
© filmcoopi
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Mit seinem linksproletarischen Populismus ist Gralton den
etablierten Honoratioren der Landbevölkerung – den "masters and pastors", wie
es eine seiner Mitstreiterinnen so schön ausdrückt – ein Dorn im Auge: Graf
O'Keefe (Brían F. O'Byrne) fürchtet um seine Macht als Pächter; Pfarrer
Sheridan (Jim Norton – der diabolische Bischof Brennan in der Kult-Sitcom Father Ted) sieht im Atheisten Gralton neben einem gottlosenn Verführer auch
eine Gefahr für die noch fragile nationale Einheit. Es brauche nur einen
charistmatischen Kommunisten, so Sheridan zu seinem Assistenten (Sherlock-Bösewicht Andrew Scott), um das vom Wirtschaftskollaps von 1929
nicht unberührte Irland wieder ins Chaos und in die rote Anarchie zu stürzen.
Doch Loach, der damit wohl auch an die Möglichkeiten des Sozialismus in den
finanziell gebeutelten 2010er Jahren denkt, sieht in Sheridan keinen
fundamentalistischen Miesepeter; er ist der Vertreter eines jungen Landes am
Scheideweg, dessen Suche nach Identität es in den vermeintlich sicheren
kulturellen Isolationismus gedrängt hat. Gegen diesen Rückzug vermag auch
Gralton nicht anzukommen; als einziger Ire der Geschichte wird er auf
Lebenszeit des eigenen Landes verwiesen. Seine Verabschiedung am Ende des Films
spiegelt Loachs Hinweise auf ein baldiges Ende seiner Karriere wider. Beide
jedoch haben den Blick auf die junge Generation gerichtet, welche verspricht,
den Kampf weiterzuführen. Wer ist würdig, das Erbe dieser grossen Rebellen und
Störefriede – Gralton und Loach – anzutreten?
★★★★