Dolan als
Jungtalent zu bezeichnen, würde der Wahrheit also nur zur Hälfte gerecht, angesichts
der stattlichen Erfahrung, die Kanadas cineastisches Enfant terrible bereits
vorzuweisen hat. So trägt denn Tom à la
ferme auch die Handschrift eines Künstlers, der seine Stimme als solcher,
seinen Stil gefunden hat und nun darum bemüht ist, ihn in neue Richtungen
weiterzuentwickeln. Die Adaption dse Werks von Michel Marc Bouchard (Les feluettes, Les papillons de nuit, Le
désir) stellt einen klaren Bruch mit Dolans vorangegangenem Film Laurence Anyways dar, einer im besten
Sinne grossspurigen Biografie einer transsexuellen Liebe.
Wo Laurence Anyways zum beinahe dekadenten
Pomp neigte – mit seinen üppigen Einrichtungen, überbordenden Gefühlen und seiner
mehrere Jahrzehnte umspannenden Handlung –, optiert Tom à la ferme für intensive Schlichtheit. Inszenierung und Mise en
scène – ein Hang zu leicht entsättigten Crèmefarben und Grautönen, unerzwungenen
Symmetrien, Nahaufnahmen und Handkamera – mögen sich im Grunde gleich geblieben
sein, doch die Schnörkel aus Laurence
Anyways sind einer erzählerisch wie ästhetisch vergleichsweise spartanischen
Philosophie gewichen. Zwar zeigt sich Dolan nach wie vor als herausragender
Stilist, unter dessen scharfen Augen jede Einstellung zur Perfektion komponiert
ist – allerdings ohne je dogmatisch zu wirken –, doch der Akzent in Tom à la ferme liegt auf einer
unterschwellig bedrohlichen Atmosphäre, die Konflikte, welche unter der dünnen
Oberfläche gutbürgerlichen Dekorums brodeln, dem Subtext von Dialogfetzen und
verstohlenen Blicken.
Insofern passt
sich Dolan als Regisseur dem Stoff an, den er zusammen mit Bouchard fürs Kino
adaptiert hat. Als Protagonist figuriert Tom (Dolan selbst), ein junger Mann
aus der Montréaler Werbebranche, der sich zur Beerdigung seines Lebenspartners
Guillaume in die ländliche Provinz begibt, wo dessen Familie einen Bauernhof
bestellt. Mangels eines Hotels zieht Tom vorübergehend dort ein, wo er
Guillaumes Mutter Agathe (Lise Roy), welche im festen Glauben lebt, ihr Sohn
sei heterosexuell gewesen, und seinen homophoben – und latent homosexuellen –
Bruder Francis (Pierre-Yves Cardinal) kennen lernt, der über Guillaumes
Sexualität im Bilde ist und alles daran setzt, die Illusion seiner Mutter
aufrecht zu erhalten.
Auf dem
Bauernhof der Familie seines verstorbenen Liebhabhers trifft Tom (Xavier
Dolan, rechts) auf den homophoben Francis (Pierre-Yves Cardinal). © filmcoopi |
Wie genau sich
Francis' Bestreben, Tom mittels einer Mischung aus Einschüchterung und
faszinierender Verschlossenheit als eine Art Guillaume-Ersatz auf Agathes Hof
festzuhalten, in diesen Plan einfügt, darüber gibt Dolans Film kaum schlüssig
Auskunft, doch genau das trägt zum Reiz der Affiche bei: Tom à la ferme deutet seine Geschichte mehr an als dass er sie
erzählt; es liegt beim Zuschauer, die tieferen dramaturgischen Zusammenhänge
aus dem Geflecht von Motivationen, Traumata und psychologischen Eigenheiten
herauszulesen, mit dem Dolan seinen auf drei – nach der Ankunft von Toms
Arbeitskollegin (Évelyne Brochu), die sich als Guillaumes trauernde Freundin
ausgibt, vier – Personen reduzierten Figurenkreis ausstattet.
Emotional mag
dies nur über bedingte Zugkraft verfügen, doch erinnert Dolans sorgfältiges,
äusserst subtil, ja reduktionistisch vorgetragenes Ausloten
zwischenmenschlicher Spannungen und Komplikationen an gewisse Werke Alfred
Hitchcocks – eine Assoziation, die durch den gewollt expressiven Score im Stile
Bernard Herrmanns noch verstärkt wird. Was aber letzten Endes den stärksten
Eindruck hinterlässt, ist die graziöse Leichtigkeit, die Eleganz, mit der Tom à la ferme Stimmung und Atmosphäre
konstruiert und so dem Zuschauer die tatsächliche wie metaphorische Beengtheit
des Protagonisten ungemein effektiv vermittelt. In seinem vierten Film machen
sich bei Dolan keinerlei Anzeichen eines Qualitätsverlustes bemerkbar. Im
Gegenteil: Dies ist das Werk eines Regisseurs, der damit begonnen hat, seine
Kunst weiter zu entwickeln und zu vertiefen.
★★★★
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