Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.
Eine
Ära geht zu Ende: Nach elf Filmen gab der japanische Animationsmeister Hayao
Miyazaki, Mitbegründer des weltberühmten Studio Ghibli, im August 2013 seinen
Rücktritt bekannt. Sollte sich dieser bestätigen, so hat er mit The Wind
Rises ein grandioses Altersopus hinterlassen.
Wozu
braucht diese Welt Kunst? Wenn es möglich ist, diese leider immer noch allzu
häufig gestellte Frage in Form eines Films zu beantworten, dann hat es Miyazaki
mit seiner Biografie des japanischen Flugzeugdesigners Jiro Horikoshi
(1903–1982), dem führenden Ingenieur hinter den gefürchteten
Weltkriegs-Kampffliegern Mitsubishi A5M und Mitsubishi A6M Zero, geschafft. The
Wind Rises – der Titel ist von der Linie "Le vent se lève! Il faut tenter de
vivre!" aus Paul Valérys Gedicht "Le Cimetière marin" abgeleitet – ist ein
zutiefst bewegendes cineastisches Gedicht, eine abwechselnd erhebende und
melancholische Ode ans Schöpfertum, dessen Werke den kühnsten Träumen Form zu
geben und Flügel zu verleihen vermögen, schliesslich aber von der pragmatisch
gesinnten Menschheit wieder zurecht gestutzt und an den profanen Utilitarismus
gekettet werden.
Der
vom Fliegen begeisterte Jiro (gesprochen von Hideaki Anno, selber ein
bedeutender Anime-Künstler) entschliesst sich im Kindesalter dazu, wie sein
Idol, Flugpionier Giovanni Battista Caproni (Nomura Mansai), Flugzeuge nicht
steuern, sondern entwerfen zu wollen. Verrichtet er als arrivierter Mitsubishi-Designer
seine Arbeit aber im Namen der Ästhetik, sind Vorgesetzte, Regierung und
deutsche Bündnispartner jedoch nur an einem interessiert: Wie lassen sich die
Horikoshi-Modelle bewaffnen? Während einer Sitzung gibt Jiro zu bedenken, sein
neuester Entwurf würde sich ohne eingebaute Gewehre erheblich flinker bewegen,
was seine Kollegen in brüllendes Gelächter ausbrechen lässt. (Neben allem
anderen ist The Wind Rises auch ein Film darüber, wie sich Japan zwischen den
Weltkriegen darum bemühte, den Weg in die Moderne zu finden.)
Dass
Technik eine autonome Kunstform ist, dass ihre inhärente Schönheit erst unter
politisch-ideologischem Missbrauch dem oft beklagten zerstörerischen Potential
weicht – all dies beschreibt der Pazifist Miyazaki mit beeindruckender
Subtilität. Ein blutrotes Feuerband am Horizont genügt ihm, eine Parallele
zwischen dem verheerenden Kanto-Erdbeben von 1923 – eine fantastische,
beängstigende, an Szenen in Isao Takahatas Grave of the Fireflies erinnernde
Sequenz, in der Bilder und Tondesign perfekt ineinander greifen – und dem
Kriegsschrecken zu ziehen, den Jiros Flieger ab den Dreissigerjahren in alle
Winkel des pazifischen Raumes brachten.
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"Jiro
Dreams of Flying": Jiro Horikoshi (Stimme: Hideaki Anno) stellt seine
Leidenschaft für das Entwerfen von Flugzeugen in den Dienst der japanischen
Regierung.
© Frenetic Films
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Doch
der dramaturgisch bisweilen etwas unstete Film erzählt nicht vom moralischen
Scheitern seines Protagonisten, der sich trotz grosser Liebe zu seiner
tuberkulosekranken Ehefrau Nahoko (Miori Takimoto) nie ganz von seiner
zeitraubenden Arbeit lösen kann. Vielmehr porträtiert Miyazaki mit Jiro den
archetypischen Künstler, welcher dazu gezwungen ist, seine frei schwebenden
Träume mit den Anforderungen der Realität zu vereinen. So ist The Wind Rises
letztlich auch ein anmutiges Selbstporträt, in dem das vielleicht prominenteste
Motiv aus Miyazakis Schaffen – das Fliegen – endgültig ins Zentrum gerückt und
ästhetisch perfektioniert wird. Nach den Titelfiguren in Nausicaä of the
Valley of the Wind, My Neighbor Totoro, Kiki’s Delivery Service und Porco
Rosso, der Heldin des Oscargewinners Spirited Away sowie allen Beteiligten
im unterbewerteten Meisterstück Castle in the Sky erhebt sich nun der Meister
in Gedanken selber in die Höhe. Das Resultat sind farbenprächtige Tableaux von
berückender Schönheit; The Wind Rises rangiert unter den visuell
begeisterndsten Ghibli-Werken. "Ein Künstlerleben", meint Caproni einmal zu
Jiro, "währt zehn gute Jahre". Miyazakis währte deren 35.
★★★★★
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