Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.
In seiner erst zweiten Regiearbeit, der schwarzen Tragikomödie Calvary, wandelt der Ire John Michael McDonagh auf den Pfaden von Buñuel, Bresson und Bergman. Seine Aufmerksamkeit gilt dem sisyphusartigen Kampf des guten Samariters gegen den Zynismus, den Undank und die Gleichgültigkeit seiner Mitmenschen.
In seiner erst zweiten Regiearbeit, der schwarzen Tragikomödie Calvary, wandelt der Ire John Michael McDonagh auf den Pfaden von Buñuel, Bresson und Bergman. Seine Aufmerksamkeit gilt dem sisyphusartigen Kampf des guten Samariters gegen den Zynismus, den Undank und die Gleichgültigkeit seiner Mitmenschen.
Der Film beginnt denkbar drastisch: "I first tasted semen when I was seven years old", sagt eine Stimme im Off, verborgen hinter dem Trenngitter des von Father James Lavelle (Brendan Gleeson) besetzten Beichtstuhls in einer kleinen Kirche im ländlichen Nordwesten Irlands. Nach kurzem Zögern antwortet der Pfarrer: "That’s certainly a startling opening line". Einen Moment lang muss man befürchten, dass John Michael McDonagh im Anschluss an seinen Erstling, den grossartigen The Guard, denselben Weg wie sein Bruder Martin eingeschlagen haben könnte, der sich nach dem Erfolg von In Bruges ganz der cineastischen Meta-Spielerei hingegeben und mit Seven Psychopaths ein amüsant-selbstreflexives, letztlich aber doch enttäuschendes Zweitwerk abgeliefert hat. Doch mit Ausnahme dieser ersten Zeilen sowie eines späteren Dialogs über "third-act revelations" bleibt Calvary seinen Figuren und seinen durchaus ernsthaften Themen treu.
Father James' Gespräch mit dem Unbekannten – eine herausragende Sequenz, gefilmt in einer einzigen starren Einstellung – endet mit der Drohung des als Kind von einem Pfarrer vergewaltigten Beichteablegers, am konsternierten James ein Exempel statuieren zu wollen: Stellvertretend für den inzwischen verstorbenen Peiniger und seinesgleichen soll er, das Musterbeispiel des guten Geistlichen, am kommenden Sonntag eines gewaltsamen Todes sterben. Anstatt die Polizei zu verständigen (Beichtgeheimnis!), stellt sich der von Brendan Gleeson unübertrefflich prägnant verkörperte James seinem Schicksal und macht es sich zur Aufgabe, sein Amt weiterhin mit der gebotenen Würde auszuüben. Die ihm verbleibende Woche, seinen ganz persönlichen Gang zum Kalvarienberg zu Golgata, verbringt er damit, seiner Gemeinde auf den Zahn zu fühlen, sich unter seinen Schäfchen umzuhören, um Näheres über ihre Affären und ihre krummen Geschäfte zu erfahren. rhält er Besuch von seiner depressiven Tochter Fiona (Kelly Reilly), die ihm noch immer nicht verziehen hat, dass er nach dem Tod seiner Frau die Priesterweihe seiner Vaterrolle vorzog.
"Diary
of a County Sligo Priest": Der gute Pfarrer James (Brendan Gleeson) erhält eine
Morddrohung. © Ascot Elite Entertainment Group |
Wie den Coen-Briüdern in ihrem unterbewerteten Meisterstück A Serious Man gelingt McDonagh hier die erzählerisch wie ästhetisch tadellose Balance zwischen abseitigem, grimmigem, schmerzhaftem Humor und der dezenten Behandlung zutiefst existenzieller Themen; Calvary ist zugleich vorzügliche Unterhaltung und intelligentes philosophisches Filmschaffen.
★★★★★
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