Johannes
Holzhausen lässt all diese widersprüchlichen Ansätze in seine
Direct-Cinema-Dokumentation Das grosse
Museum einfliessen und zeigt zugleich auf, dass dieser Nimbus des
altehrwürdigen Kunst-Heterotopias ein hart erarbeiteter ist. Über zwei Jahre
hat die Produktion des Films in Anspruch genommen; er kartografiert die
Wiedereröffnung der habsburgischen Kunstkammer im Kunsthistorischen Museum Wien
– in der jüngeren Vergangenheit von Arthouse-Filmern wie Lech Majewski (The Mill and the Cross) und Jem Cohen (Museum Hours) als Kulisse benutzt – vom
Umbau bis zur offiziellen Gala-Einweihung.
Dazwischen
ist Holzhausen mit seiner Kamera dabei, wie Deckenverzierungen aufgefrischt, Exponate
restauriert und Parkettböden mit roher Gewalt aufgerissen und anschliessend neu
verlegt werden, wie sich das Personal von Generaldirektorin und PR-Chef bis hin
zur alt gedienten Raum-Aufseherin auf die neue Herausforderung vorbereitet.
Trotz seiner ostentativ "neutralen" Verfahrensweise findet der Film
gerade im bisweilen fast nonchalanten Umgang mit der Würde des Ortes Momente
des feinen Humors: Hier ist eine Reinigungskraft mit einem Staubsauger im
Schritt einer griechischen Statue zu Gange; dort jagt ein Angestellter auf der
Suche nach einer Akte mit einem Kickboard durch das weitläufige Archivbüro.
"Scheisse, Scheisse, Scheisse", murmelt ein junger Restaurator in
breitem Wienerisch, als der Mechanismus eines ausgeklügelt automatisierten
Modellschiffes aus dem 16. Jahrhundert zu klemmen scheint – bevor er es wenig
später in seiner ganzen vergoldeten Pracht dem Direktor des British Museum
vorführt.
Kunst muss leiden: Im Kunsthistorischen Museum in Wien wird umgebaut. © Xenix Filmdistribution |
In
Das grosse Museum wird die
Aussergewöhnlichkeit des KHM gleichzeitig herunter gebrochen und zementiert.
Szenen, in denen in sterilen Sitzungszimmern über den Schriftsatz der neuesten
Werbekampagne ("Die eckige Drei ist ein absolutes No-Go", "Mir
gefällt das Wort 'gültig' nicht") oder die Umsatzrechnung ("Wir
werden vom internationalen touristischen Publikum verglichen") debattiert
wird, oder wo die KHM-Repräsentanten gezeigt werden, die während einer Auktion
um ein die Sammlung vervollständigendes Verkaufsstück buhlen, haben etwas
Ikonoklastisches. Indem dem Kinopublikum der fest im geschäftlichen
Wettbewerbsalltag verankerte Kontext des Hauses bewusst wird, dessen
Ausstellungsräume reichlich mit Werken von Rubens, van Eyck und Bruegel bestückt
sind, geht zweifellos ein Stück der Gebäude-Mystik verloren.
Doch
in dieser Entmystifizierung findet Holzhausen auch eine neue Art, sich der
Kunst zu stellen und sich mit ihr auseinanderzusetzen. Dem Zuschauer wird ein
neuer Blick auf jene Gegenstände gewährt, welche er sonst nur als unantastbare,
in Glasvitrinen und hinter unsichtbaren Alarmauslösern verbarrikadierte
Kostbarkeiten kennt; in Das grosse Museum
werden sie fassbar, ja geradezu lebendig. Königskronen werden dem
Ausstellungskontext entrissen, ihr Samtbezug auf Unreinheiten untersucht;
Statuen verlieren vorübergehend ihren Kopf; in Gemälden werden die Grabungen
mikroskopisch kleiner Käfer rekonstruiert. Dass der Kunstdiskurs auch hinter
den Mauern des Kunsthistorischen Museums noch nicht abgeschlossen ist, belegt
die Szene, in der zwei Kunsthistorikerinnen mit einem Emissär des belgischen
Rubenianums darüber diskutieren, wie viel von Peter Paul Rubens tatsächlich in
einem kleinen Bild steckt.
In der habsburgischen Kunstkammer werden zahllose Schätze ausgestellt. © Xenix Filmdistribution |
Zwischen
ästhetischem und menschlichem Inventar findet hier ohnehin eine Annäherung
statt: Während die Kunstwerke im Laufe der Kunstkammer-Vorbereitung aus ihrer
teils jahrhundertealten Starre gezerrt werden, ist das Museums-Management äusserst
erpicht darauf, dass jeder Angestellte die "stilvolle und zeitlose"
Institution, in deren Namen er arbeitet, perfekt widerspiegelt; die humane
Präsenz soll zur Verlängerung des Gebäudes werden. Wer in den Ruhestand geht,
wird selber zu einem Fall für die Archivierung: Die Arbeitsakte wird zu einer
verschlossenen Mappe, welche im labyrinthischen Kellergewölbe des KHM, unweit
Hunderter von nicht ausgestellten Objekten, in ein Regal eingeordnet wird. Ganz
nach Eisenstein "verschmelzen" Mensch und Kunst miteinander.
Einziger
Wermutstropfen in diesem faszinierenden Film ist die Tatsache, dass sich
Holzhausen, wie es scheint implizit, mit fremden Federn schmückt. Nicht nur das
übergreifende Konzept, sondern sogar spezifische Passagen von Das grosse Museum scheinen direkt aus
Nicolas Philiberts La ville Louvre aus
dem Jahr 1990 entlehnt zu sein. Auch dort wurde umgebaut; auch dort wurde vor
an Wänden angelehnten Gemälden – stellenweise fast mit identischen Worten –
über deren Inszenierung beraten; auch Philibert richtete die Kamera verschmitzt
auf nervöse, leicht genervte Warentransporteure; auch er verwandelte die
menschlichen Akteure zum Schluss in Exponate. Die nachhallendste Entsprechung
ist diejenige von Holzhausens Kickboard-Bürohengst: Philibert (wenn auch mit
verdächtig kontinuierlichem Schnitt) sah einem Louvre-Mitarbeiter dabei zu, wie
er auf Rollschuhen durch die Gänge flitzte.
Das Museum – Mausoleum und Archiv. © Xenix Filmdistribution |
Das grosse Museum ist
also ein verkapptes Remake. Holzhausen hat La
ville Louvre nach eigener Angabe gesehen, doch das läge bald 20 Jahre
zurück; sein Einfluss beschränke sich auf "nebulöse Erinnerungen".
Die frappierende Ähnlichkeit der beiden Werke spricht aber – leider – eine
andere Sprache. Kunst, das lässt sich in beiden feststellen, beruht auf
inspirierenden Präzedenzen und auf Aneignungen, die längst nicht alle als
proper bezeichnet werden können. Doch mindestens den Gefallen einer Erwähnung
im Abspann oder auf der Film-Website hätte Holzhausen Philibert erweisen sollen.
Da man nach einer solchen aber vergeblich sucht, hinterlässt sein ansonsten makelloser
Film einen leicht bitteren Nachgeschmack.
★★★★
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