Donnerstag, 27. November 2014

The Hunger Games: Mockingjay – Part 1

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.

Nicht nur Suzanne Collins' Hunger Games-Bücher, sondern auch deren Verfilmungen sind kluge, figurenzentrierte Kritiken an politischem Stillstand und medialer Manipulation. Auch der erste Teil des in zwei Tranchen erscheinenden Trilogie-Abschlusses Mockingjay weiss zu überzeugen.

Trotz kritischen Beifalls sowohl für Gary Ross' The Hunger Games (2012) als auch für Francis Lawrences Catching Fire (2013) hat die Hunger Games-Franchise nach wie vor gegen ein Stigma zu kämpfen. Die Tatsache, dass diese dystopischen Science-Fiction-Blockbuster – mit ihrem Titel gebenden Wettkampf, in dem sich 24 Jugendliche zum Amüsement einer dekadenten Diktatur einmal jährlich bis auf den Tod bekämpfen, thematisch irgendwo zwischen Lord of the Flies und Kinji Fukasakus Battle Royale anzusiedeln – auf einer Reihe von Bestsellern aus dem Young-Adult-Genre basieren, scheint sie im kollektiven Bewusstsein von ernsthafter Diskussion auszuschliessen; sie bleiben auf den Mainstream zugeschnittenes Popcorn-Kino. Dass der letzte Teil der Serie – wie Harry Potter and the Deathly Hallows (2010/11) und The Twilight Saga: Breaking Dawn (2011/12) davor – wohl nicht nur aus künstlerischem Antrieb heraus auf zwei Filme aufgeteilt wird, erschwert es einem, gegen die reine Mainstream-Schubladisierung zu argumentieren.

Doch Mockingjay – Part 1 von Francis Lawrence, geschrieben von Peter Craig (The Town) und Danny Strong (preisgekrönt für den TV-Film Game Change), wartet neben seinen vereinzelten, äusserst wirkungsvoll inszenierten Action-Sequenzen und seiner detailliert-subtilen Figurenzeichnung mit Bildern und Subtext auf, welche den Anspruch der Franchise eindrücklich unterstreichen. Panem, das postapokalyptische Land auf dem Boden der heutigen USA, in dem das Kapitol unter Präsident Coriolanus Snow (Donald Sutherland) zwölf Distrikte unterdrückt und versklavt, befindet sich seit den gewaltsam abgebrochenen Hungerspielen in Catching Fire in Aufruhr. Die Distrikte rebellieren gegen Snows Joch, das Kapitol entsendet "Friedenswächter", welche Aufrührer öffentlich hinrichten lassen. Distrikt 12, die Heimat von Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence, einmal mehr mit famoser Leinwandpräsenz), der zweifachen Hunger-Games-Überlebenden und Symbolfigur der Rebellen, wurde dem Erdboden gleich gemacht; eine der drastischsten Einstellungen des Films zeigt einen mit Skeletten und verkohlten Leichen übersäten Platz. Nun lebt Katniss im längst zerstört geglaubten Distrikt 13, wo unter der Führung von Präsidentin Alma Coin (Julianne Moore) die endgültige Revolution vorbereitet wird. Zu diesem Zweck soll die schwer traumatisierte 17-Jährige in einer Reihe von Propaganda-Filmen mitwirken, doch es fällt ihr schwer, den Enthusiasmus von Coin und Kapitol-Überläufer Plutarch Heavensbee (der grossartige Philip Seymour Hoffman) zu teilen, befindet sich doch ihr Hunger-Games-Partner Peeta Mellark (Josh Hutcherson) in den Fängen des Kapitols.


Rebellenführerin Alma Coin (Julianne Moore, rechts) will Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence) als Werbeträgerin der Revolution gegen das tyrannische Kapitol einsetzen.

© Impuls Pictures AG

Der hochgradig atmosphärische Mockingjay ist introvertierter als seine beiden Vorgänger. Regisseur Lawrence nutzt die ihm zur Verfügung stehende Zeit, um Charaktere und ihre Beziehungen untereinander zu vertiefen, Spannung auf- und die Welt von Panem auszubauen – ein Vorzug der Filme gegenüber ihren Buchvorlagen ist die über Katniss' Ich-Erzählung hinaus gehende Reichweite –, den Fokus auf die Mechanismen der Macht zu legen. Während Snow die Sicherheit des Status quo predigt und vor dem gefährlichen Chaos eines Systemwechsels warnt – Parolen, die im Zeitalter der neu erstarkenden kapitalistischen Klassengesellschaft und der "Privileg-Oligarchie" (Zitat Donald Sutherland) durchaus vertraut klingen –, bedient sich auch Distrikt 13 unlauterer Methoden im Kampf um Kontrolle; Integrität spielt im Krieg eine untergeordnete Rolle. Doch Lawrence gelingt es stets, das Kleine mit dem Grossen zu verbinden: Grandios die Szene, in der Jennifer Lawrence zu einem gesanglichen Intermezzo anhebt, bevor ihr Lied, eine melancholische Mörderballade, plötzlich aus den Kehlen Hunderter Rebellen erklingt, die sich auf dem Weg befinden, einen Kapitol-Damm zu sprengen. Mockingjay – Part 1 beweist allen Genre-Vorurteilen zum Trotz eine bewundernswert umgesetzte politische Sensibilität; eine bessere, seriösere Blockbuster-Reihe hat Hollywood zur Zeit nicht zu bieten.

★★★★

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