Nicht nur Suzanne Collins' Hunger Games-Bücher, sondern auch deren Verfilmungen sind kluge, figurenzentrierte Kritiken an politischem Stillstand und medialer Manipulation. Auch der erste Teil des in zwei Tranchen erscheinenden Trilogie-Abschlusses Mockingjay weiss zu überzeugen.
Trotz
kritischen Beifalls sowohl für Gary Ross' The Hunger Games (2012) als auch für
Francis Lawrences Catching Fire (2013) hat die Hunger Games-Franchise nach
wie vor gegen ein Stigma zu kämpfen. Die Tatsache, dass diese dystopischen
Science-Fiction-Blockbuster – mit ihrem Titel gebenden Wettkampf, in dem sich
24 Jugendliche zum Amüsement einer dekadenten Diktatur einmal jährlich bis auf
den Tod bekämpfen, thematisch irgendwo zwischen Lord of the Flies und Kinji
Fukasakus Battle Royale anzusiedeln – auf einer Reihe von Bestsellern aus dem
Young-Adult-Genre basieren, scheint sie im kollektiven Bewusstsein von
ernsthafter Diskussion auszuschliessen; sie bleiben auf den Mainstream
zugeschnittenes Popcorn-Kino. Dass der letzte Teil der Serie – wie Harry
Potter and the Deathly Hallows (2010/11) und The Twilight Saga: Breaking
Dawn (2011/12) davor – wohl nicht nur aus künstlerischem Antrieb heraus auf
zwei Filme aufgeteilt wird, erschwert es einem, gegen die reine Mainstream-Schubladisierung
zu argumentieren.
Doch Mockingjay – Part 1 von Francis Lawrence, geschrieben von Peter Craig (The Town) und Danny Strong (preisgekrönt für den TV-Film Game Change), wartet neben seinen vereinzelten, äusserst wirkungsvoll inszenierten Action-Sequenzen und seiner detailliert-subtilen Figurenzeichnung mit Bildern und Subtext auf, welche den Anspruch der Franchise eindrücklich unterstreichen. Panem, das postapokalyptische Land auf dem Boden der heutigen USA, in dem das Kapitol unter Präsident Coriolanus Snow (Donald Sutherland) zwölf Distrikte unterdrückt und versklavt, befindet sich seit den gewaltsam abgebrochenen Hungerspielen in Catching Fire in Aufruhr. Die Distrikte rebellieren gegen Snows Joch, das Kapitol entsendet "Friedenswächter", welche Aufrührer öffentlich hinrichten lassen. Distrikt 12, die Heimat von Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence, einmal mehr mit famoser Leinwandpräsenz), der zweifachen Hunger-Games-Überlebenden und Symbolfigur der Rebellen, wurde dem Erdboden gleich gemacht; eine der drastischsten Einstellungen des Films zeigt einen mit Skeletten und verkohlten Leichen übersäten Platz. Nun lebt Katniss im längst zerstört geglaubten Distrikt 13, wo unter der Führung von Präsidentin Alma Coin (Julianne Moore) die endgültige Revolution vorbereitet wird. Zu diesem Zweck soll die schwer traumatisierte 17-Jährige in einer Reihe von Propaganda-Filmen mitwirken, doch es fällt ihr schwer, den Enthusiasmus von Coin und Kapitol-Überläufer Plutarch Heavensbee (der grossartige Philip Seymour Hoffman) zu teilen, befindet sich doch ihr Hunger-Games-Partner Peeta Mellark (Josh Hutcherson) in den Fängen des Kapitols.
Rebellenführerin
Alma Coin (Julianne Moore, rechts) will Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence)
als Werbeträgerin der Revolution gegen das tyrannische Kapitol einsetzen.
© Impuls Pictures AG
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Der
hochgradig atmosphärische Mockingjay ist introvertierter als seine beiden
Vorgänger. Regisseur Lawrence nutzt die ihm zur Verfügung stehende Zeit, um Charaktere
und ihre Beziehungen untereinander zu vertiefen, Spannung auf- und die Welt von
Panem auszubauen – ein Vorzug der Filme gegenüber ihren Buchvorlagen ist die
über Katniss' Ich-Erzählung hinaus gehende Reichweite –, den Fokus auf die
Mechanismen der Macht zu legen. Während Snow die Sicherheit des Status quo
predigt und vor dem gefährlichen Chaos eines Systemwechsels warnt – Parolen,
die im Zeitalter der neu erstarkenden kapitalistischen Klassengesellschaft und
der "Privileg-Oligarchie" (Zitat Donald Sutherland) durchaus vertraut klingen
–, bedient sich auch Distrikt 13 unlauterer Methoden im Kampf um Kontrolle;
Integrität spielt im Krieg eine untergeordnete Rolle. Doch Lawrence gelingt es
stets, das Kleine mit dem Grossen zu verbinden: Grandios die Szene, in der
Jennifer Lawrence zu einem gesanglichen Intermezzo anhebt, bevor ihr Lied, eine
melancholische Mörderballade, plötzlich aus den Kehlen Hunderter Rebellen
erklingt, die sich auf dem Weg befinden, einen Kapitol-Damm zu sprengen. Mockingjay – Part 1 beweist allen Genre-Vorurteilen zum Trotz eine
bewundernswert umgesetzte politische Sensibilität; eine bessere, seriösere
Blockbuster-Reihe hat Hollywood zur Zeit nicht zu bieten.
★★★★
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