Donnerstag, 20. November 2014

The Salt of the Earth

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat. 

Seine Bilder faszinieren seit den Siebzigerjahren die ganze Welt; nun beleuchtet Wim Wenders den Mann hinter der Kamera. Die bewegende Dokumentation The Salt of the Earth über den Fotografen Sebastião Salgado erzählt von der Vielfältigkeit, der Schrecklichkeit und der Schönheit unseres Planeten. 

Für Wenders, den Schöngeist des Neuen Deutschen Films (Alice in den Städten, Im Lauf der Zeit, Der Himmel über Berlin), war der Dokumentarfilm nie ein Ort für Werke, deren einziger Zweck die Faktenvermittlung ist. Seine Non-Fiction-Beiträge zur siebten Kunst – wie etwa auch jene seines NDF-Kollegen Werner Herzog – sind keine trockenen Abschlussarbeiten, sondern persönliche Stimmungsbilder mit ästhetischem Anspruch: Tokyo-Ga handelt ebenso von seinem Regie-Idol Yasujiro Ozu wie von dessen Einfluss auf ihn; Buena Vista Social Club verbindet Musik- und Sozialhistorie, Pina machte das Dokumentarkino mit der 3-D-Technik vertraut. (Herzog versuchte mit Cave of Forgotten Dreams ein Jahr später dasselbe.)

The Salt of the Earth bildet diesbezüglich keine Ausnahme. Zwar ist der Film im Grossen und Ganzen in linearer Chronologie des Lebens von Sebastião Salgado strukturiert, doch unter Wenders und Co-Regisseur Juliano Ribero Salgado, Salgados ältestem Sohn, wird aus dieser Vita ein vielschichtiges Porträt eines Mannes und der Welt, die er seit 40 Jahren unermüdlich bereist. 1944 im Herzen Brasiliens geboren, wird Salgado, über den Umweg eines erfolgreich abgeschlossenen Wirtschaftsstudiums, zu einem "Sozialfotografen". Ab Mitte der Siebzigerjahre zieht er für diverse Buchprojekte kreuz und quer durch die Kontinente: Er bildet die "anderen Amerikas" von Argentinien bis Mexiko ab, beschäftigt sich intensiv mit der Sahelzone, hält Hungersnöte in Äthiopien, Mali und im Niger sowie die Völkermorde in Ruanda und Jugoslawien auf wuchtigen Schwarzweissfotos fest – bevor er psychisch an seine Grenzen stösst und sich der Ethnografie und dem Naturschutz widmet. Seit den Neunzigerjahren treibt er Wiederaufforstungsprojekte im atlantischen Regenwald voran und reist in den tiefsten Dschungel, um Naturvölker zu fotografieren.


Regisseur Wim Wenders (links) erweist dem brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado (rechts) mit „The Salt of the Earth“ sein filmische Reverenz.
© filmcoopi
Obschon der Film an Wenders' Bewunderung für den sozial engagierten Weltenbummler aufgehängt ist, hält sich der Regisseur mit Kommentaren und persönlichen Einblicken respektvoll zurück, wenngleich auch er ab und an in die Herzog'sche Falle tappt, gewisse Tatsachen allzu pathetisch kontextualisieren zu wollen. Seine Rolle ist letztlich auf die des Chronisten beschränkt, der dem Zuschauer Salgados Familie vorstellt, über die kuriose Erfahrung, einen Film über einen Fotografen zu drehen, sinniert ("Der schiesst zurück!") und per verspieltem Jump Cut das Zepter an Salgado Junior übergibt.

Das Zentrum von The Salt of the Earth – nicht nur thematisch, sondern auch dramaturgisch – ist Salgado, welcher den Zuschauer durch seine unzähligen Bilder führt, deren Entstehungsgeschichte beschreibt und aus ihnen seine Schlüsse zieht – "der Mensch ist ein schreckliches Tier"; "Gewalt ist nicht das Monopol weit entfernter Länder"; "was in Äthiopien passierte, war brutale politische Unehrlichkeit". Wenders inszeniert diese Reminiszenzen äusserst effektiv: Oft sind nur die Fotos selber zu sehen; minutenlang wird man mit schonungslosen Abbildungen menschlichen Leids konfrontiert – Leichenberge in einem Flüchtlingslager, verhungernde und bereits verhungerte Kinder, mit Skeletten übersäte Kirchen und Schulzimmer. Salgados Reise durch die eigene Karriere wird so zur kathartischen Erfahrung, seine Evolution vom Sozial- zum Naturfotografen zum Sinnbild einer Welt, die trotz, oder gerade wegen, ihrer Krisen lernen muss zu versuchen, eine bessere, harmonischere Zukunft zu schaffen. 

★★★★

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