Mittwoch, 31. Dezember 2014

The Theory of Everything

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.

Trotz einer Nervenerkrankung, die ihn schon als Jüngling an den Rollstuhl fesselte, ist Stephen Hawking zu einer Ikone der Physik geworden; seine Theorien haben die Wissenschaft nachhaltig geprägt. Mit The Theory of Everything wird ihm nun ein anrührendes, aber konventionelles Biopic gewidmet. 

Es gibt Elemente in diesem Film, denen eine gewisse Magie inne wohnt. Stephen Hawking, gespielt von Eddie Redmayne (My Week with Marilyn, Les Misérables) in einer klassischen Oscar-Darbietung im besten Sinne (betont originalgetreues Aussehen, aufwändiges Mienenspiel, welches aber niemals ins übertriebene Feixen abrutscht), der 1963 an einem Ball der Universität Cambridge seine zukünftige Ehefrau Jane Wilde (Felicity Jones) zum ersten Mal küsst, gehört dazu; ebenso der Kunstgriff, am Ende des Films Hawkings Leben, parallel zu einer seiner Theorien, rückwärts ablaufen zu lassen. Unterlegt von Jóhann Jóhannssons hervorragender Musik, üben diese Momente eine wahrhaftige Faszination aus, gelingt es ihnen doch, der erstaunlichen Vita des Protagonisten, dem nach seiner Krankheitsdiagnose – Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), in den USA auch bekannt als Lou Gehrig’s Disease – allerhöchstens noch zwei verbleibende Lebensjahre prognostiziert wurden, eine emotionale persönliche Note zu verleihen.

Solch inspirierte und inspirierende Aspekte bleiben aber leider rar im neuen Film von James Marsh, der sich nach zwei kritisch bejubelten Dokumentationen (Man on Wire, Project Nim) hier des Buches annimmt, welches Wilde über ihr Leben mit Hawking, von dem sie sich 1995 scheiden liess, geschrieben hat. Ansonsten ist The Theory of Everything ein Biopic, wie man es im Kino Jahr für Jahr mehrfach vorgesetzt bekommt: In knapp zwei Stunden werden die wichtigsten Stationen im Leben der Hauptfigur abgehandelt; ausstaffiert wird die Handlung mit sprechenden Anekdoten und Szenen aus dem Privatleben.



Jane Wilde (Felicity Jones) steht Physiker Stephen Hawking (Eddie Redmayne) nach seiner ALS-Diagnose zur Seite. 
© Universal Pictures Switzerland
Im Grossen und Ganzen gelingt das Marsh und Autor Anthony McCarten recht ansprechend. Sie erzählen eine solide strukturierte, durchaus spannend aufgezogene Lebensgeschichte, welche nicht nur informativ und, hauptsächlich dank der Leistungen Redmaynes und Jones‘, ab und an berührend, sondern auch äusserst ästhetisch, bisweilen sogar eigenwillig, bebildert ist. Doch über die Grenzen der etablierten Konventionen wird hier nicht hinaus gedacht: Plot-Entwicklungen sind allzu leicht vorhersehbar; nicht selten erweisen sich Regie-Entscheidungen als blosse Bedienung von Klischees.

Darüber hinaus scheint sich der Film auch nicht ganz darüber im Klaren zu sein, wie er mit Hawkings Biografie umzugehen hat. Sein Aufstieg zum weltberühmten Kosmologen spielt sich fast ausschliesslich off-screen ab; von vereinzelten Vorträgen und Theorie-Ansätzen abgesehen, bleiben dem Zuschauer seine Beiträge zum Fortschritt der Wissenschaft fast gänzlich verborgen. Auch die Entscheidung McCartens, Hawkings lange Jahre nicht explizit zugegebenen Atheismus zum Konfliktpunkt zwischen ihm und Jane Wilde zu erheben, wirkt wie eine dramaturgische Dissonanz. Wiederholt wird ohne erkennbaren Anlass die Gottesfrage in den Raum gestellt – und Hawking, aufgrund seiner Einstellung, dabei implizit Arroganz unterstellt –, was wohl als eine Art Motiv fungieren soll, den überwiegend befriedigenden Film aber lediglich sperrig und auf eigentümliche Weise moralisierend wirken lässt. Wenn sich künftige Generationen an die monumentale Lebensleistung Hawkings erinnern, wird The Theory of Everything höchstens als unterhaltsame Fussnote fungieren.

★★★

Kinojahr 2014: Top 10

Die Facing the Bitter Truth-Jahresliste ist zur schönen Tradition geworden. Es folgt die Liste der besten Filme des Jahres 2014 (basierend auf den Schweizer Startdaten). Kommentare zu den Entscheidungen sind auf The Zurich English Student zu finden.

1
HER
(Spike Jonze, USA)


2
THE TALE OF PRINCESS KAGUYA
(Kaguya-hime no monogatari, Isao Takahata, Japan)


3
NEBRASKA
(Alexander Payne, USA)


4
THE WIND RISES
(Kaze tachinu, Hayao Miyazaki, Japan)


5
BOYHOOD
(Richard Linklater, USA)


6
THE GRAND BUDAPEST HOTEL
(Wes Anderson, Deutschland/UK)


7
MR. TURNER
(Mike Leigh, UK/Frankreich/Deutschland)


8
UNDER THE SKIN
(Jonathan Glazer, UK/USA/Schweiz)


9
LOCKE
(Steven Knight, UK)


10
WINTER SLEEP
(Kış Uykusu, Nuri Bilge Ceylan, Türkei)



HONOURABLE MENTIONS
  • 12 Years a Slave (Steve McQueen)
  • Calvary (John Michael McDonagh)
  • Gone Girl (David Fincher)
  • The Hunger Games: Mockingjay – Part 1 (Francis Lawrence)
  • Snowpiercer (Bong Joon-ho)

"Facing the Bitter Truth"-Filmpreis 2014

BESTER FILM


  • Boyhood
  • The Grand Budapest Hotel
  • Her
  • Locke
  • Mr. Turner
  • Nebraska
  • The Tale of Princess Kaguya
  • Under the Skin
  • The Wind Rises
  • Winter Sleep


BESTE REGIE


  • Wes Anderson – The Grand Budapest Hotel
  • Jean-Pierre Dardenne, Luc Dardenne – Deux jours, une nuit
  • David Fincher – Gone Girl
  • Jonathan Glazer – Under the Skin
  • Mike Leigh – Mr. Turner
  • Richard Linklater – Boyhood
  • Martin Scorsese – The Wolf of Wall Street


BESTER HAUPTDARSTELLER


  • Bruce Dern als Woodrow T. "Woody" Grant in Nebraska
  • Leonardo DiCaprio als Jordan Belfort in The Wolf of Wall Street
  • Ralph Fiennes als Monsieur Gustave H. in The Grand Budapest Hotel
  • Brendan Gleeson als Father James Lavelle in Calvary
  • Tom Hardy als Ivan Locke in Locke
  • Joaquin Phoenix als Theodore Twombly in Her
  • Timothy Spall als Joseph Mallord William Turner in Mr. Turner


BESTE HAUPTDARSTELLERIN


  • Marion Cotillard als Sandra Bya in Deux jours, une nuit
  • Judi Dench als Philomena Lee in Philomena
  • Scarlett Johansson als The Woman in Under the Skin
  • Rosamund Pike als Amy Elliott-Dunne in Gone Girl
  • Léa Seydoux als Emma in La vie d'Adèle
  • Emma Thompson als Pamela "P. L." Travers in Saving Mr. Banks
  • Shailene Woodley als Hazel Grace Lancaster in The Fault in Our Stars


BESTER NEBENDARSTELLER


  • Chris Cooper als Charles Aiken in August: Osage County
  • Willem Dafoe als Peter van Houten in The Fault in Our Stars
  • Kevin Durand als Officer Caruso in Fruitvale Station
  • Tom Hanks als Walt Disney in Saving Mr. Banks
  • Ethan Hawke als Mason Evans Sr. in Boyhood
  • Jim Norton als Father Sheridan in Jimmy's Hall
  • Wu Jiang als Dahai in A Touch of Sin


BESTE NEBENDARSTELLERIN


  • Demet Akbağ als Necla in Winter Sleep
  • Patricia Arquette als Olivia Evans in Boyhood
  • Margo Martindale als Mattie Fae Aiken in August: Osage County
  • Julianne Moore als Havana Segrand in Maps to the Stars
  • Melisa Sözen als Nihal in Winter Sleep
  • Tilda Swinton als Mason in Snowpiercer
  • Uma Thurman als Mrs. H. in Nymph()maniac


BESTE VOICEOVER-PERFORMANCE


  • Steve Alpert als Castorp in The Wind Rises
  • Will Arnett als Batman in The Lego Movie
  • Bradley Cooper als Rocket in Guardians of the Galaxy
  • Djimon Hounsou als Drago Bludvist in How to Train Your Dragon 2
  • Scarlett Johansson als Samantha in Her
  • Ben Kingsley als Archibald Snatcher in The Boxtrolls
  • Andrew Scott als Donal in Locke


BESTES SCHAUSPIEL-ENSEMBLE


  • American Hustle
  • Calvary
  • Deux jours, une nuit
  • Fruitvale Station
  • The Grand Budapest Hotel
  • Nebraska
  • Winter Sleep


BESTES ORIGINALDREHBUCH


  • Wes Anderson, Hugo Guinness – The Grand Budapest Hotel
  • Nuri Bilge Ceylan, Ebru Ceylan – Winter Sleep
  • Spike Jonze – Her
  • Steven Knight – Locke
  • Richard Linklater – Boyhood
  • John Michael McDonagh – Calvary
  • Bob Nelson – Nebraska


BESTES ADAPTIERTES DREHBUCH


  • Mathieu Amalric, Stéphanie Cléau – La chambre bleue (basierend auf dem Roman La chambre bleue von Georges Simenon)
  • Mark Bomback, Rick Jaffa, Amanda Silver – Dawn of the Planet of the Apes (basierend auf der Prämisse des Romans La planète des singes von Pierre Boulle und des Films Planet of the Apes von Franklin J. Schaffner)
  • Bong Joon-ho, Kelly Masterson – Snowpiercer (basierend auf dem Comic La Transperceneige von Jacques Lob, Benjamin Legrand und Jean-Marc Rochette)
  • Walter Campbell, Jonathan Glazer – Under the Skin (basierend auf dem Roman Under the Skin von Michel Faber)
  • Steve Coogan, Jeff Pope – Philomena (basierend auf dem Buch The Lost Child of Philomena Lee von Martin Sixsmith)
  • Gillian Flynn – Gone Girl (basierend auf dem Roman Gone Girl von Gillian Flynn)
  • Cyril Gély, Volker Schlöndorff – Diplomatie (basierend auf dem Theaterstück Diplomatie von Cyril Gély)


BESTER NICHT-ENGLISCHSPRACHIGER FILM


  • La chambre bleue
  • Class Enemy
  • Deux jours, une nuit
  • Diplomatie
  • Der Goalie bin ig
  • The Salt of the Earth
  • The Tale of Princess Kaguya
  • A Touch of Sin
  • The Wind Rises
  • Winter Sleep


BESTER ANIMATIONSFILM


  • The Boxtrolls
  • How to Train Your Dragon 2
  • The Lego Movie
  • The Tale of Princess Kaguya
  • The Wind Rises


BESTE KAMERA


  • Sean Bobbitt – 12 Years a Slave
  • Phedon Papamichael – Nebraska
  • Dick Pope – Mr. Turner
  • Rodrigo Prieto – The Homesman
  • Larry Smith – Calvary
  • Gökhan Tiryaki – Winter Sleep
  • Hoyte van Hoytema – Her


BESTER SCHNITT


  • Boyhood – Sandra Adair
  • Gone Girl – Kirk Baxter
  • The Grand Budapest Hotel – Barney Pilling
  • Locke – Justine Wright
  • Nightcrawler – John Gilroy
  • Philomena – Valerio Bonelli
  • Saving Mr. Banks – Mark Livolsi


BESTE FILMMUSIK


  • Marco Beltrami – The Homesman
  • Alexandre Desplat – The Grand Budapest Hotel
  • Warren Ellis – 20,000 Days on Earth
  • Joe Hisaishi – The Tale of Princess Kaguya
  • Mica Levi – Under the Skin
  • Trent Reznor, Atticus Ross – Gone Girl
  • Howard Shore – Maps to the Stars
Spezielle Erwähnung:
  • Mark Ortons Hauptthema in Nebraska


BESTE AUSSTATTUNG


  • 12 Years a Slave – Alice Baker, Adam Stockhausen
  • Dawn of the Planet of the Apes – James Chinlund
  • The Grand Budapest Hotel – Adam Stockhausen
  • Her – K. K. Barrett
  • The Hobbit: The Battle of the Five Armies – Dan Hennah
  • The Homesman – Meredith Boswell, Wendy Ozols-Barnes
  • Mr. Turner – Dan Taylor


BESTE SPEZIALEFFEKTE


  • Captain America: The Winter Soldier
  • Dawn of the Planet of the Apes
  • Godzilla
  • Guardians of the Galaxy
  • The Hobbit: The Battle of the Five Armies
  • Interstellar
  • X-Men: Days of Future Past