Diese Interpretation mag wohl nicht gänzlich unzutreffend
sein – sowohl History als auch Promises sind einem Crash oder
einem eXistenZ cineastisch letztendlich überlegen –, doch besteht die
Gefahr, Reifung mit publikumswirksamer Einmittung gleichzusetzen. Cronenberg,
nicht selten zu Unrecht als David Lynch zweiten Grades katalogisiert, wird nie
ein Regisseur des klassischen Erzählkinos sein; ein Verharren im vermarktbaren
Psychodrama-Genre wäre seinem künstlerischen Anspruch nicht gerecht geworden.
Entsprechend folgte ein Bruch: 2012 verfilmte er Don
DeLillos einst verlachten Roman Cosmopolis und verschmolz darin seine
alten transhumanen Obsessionen mit der Dekonstruktion menschlicher Ideale, wie
sie in A History of Violence und Eastern Promises figurierten. Cosmopolis
ist eine brillante, abgründige Satire auf eine Gesellschaft, welche
bereitwillig genuine Menschlichkeit durch bedeutungslose Abstraktion ersetzt
hat. Die Kritik fiel jedoch vernichtend aus.
Beeindruckt hat das Cronenberg offenbar nicht. Das Nachfolgewerk
Maps to the Stars, nach einem Drehbuch von Bruce Wagner, folgt zwar
einer narrativ weniger reduzierten Handlung, macht aber ansonsten weiterhin
unbeirrt Gebrauch von all jenen Stilmitteln, die seinem Vorgänger zum
Vorwurf gemacht wurden: Die Grenze zwischen Tragödie und Farce ist fliessend,
der Tonwechsel oft irritierend abrupt; die Figuren sind bewusst flache
Konstrukte, humanoide Hüllen, welche hauptsächlich leere Woorthülsen
austauschen. Robert Pattinson, der in Cosmopolis die Hauptrolle des
egomanischen Multimilliardärs Eric Packer übernahm, ist sogar erneut in einer
Limousine unterwegs.
Agatha Weiss (Mia Wasikowska, links) findet in Hollywood Unterschlupf bei der von Wahnvorstellungen geplagten Schauspielerin Havannah Segrand (Julianne Moore). © Pathé Films AG |
Hier sitzt er jedoch als erfolgloser Schauspieler und
angehender Drehbuchautor Jerome am Steuer und chauffiert zu Beginn die junge
Agatha Weiss (Mia Wasikowska) durch ein geradezu grotesk hyperrealistisches
Beverly Hills, wo unter den weissen Buchstaben des Hollywood-Schriftzuges
Menschen mit überdimensionierten Egos an fataler Hybris und megalomanischen
Selbstzweifeln zu Grunde gehen. Unter ihnen befindet sich die alternde Diva
Havannah Segrand (Julianne Moore), die sich um einen Part in einem
Arthouse-Remake jenes Films bemüht, für den ihre inzwischen verstorbene Mutter,
von deren Geist (Sarah Gadon) sie verfolgt wird, einst eine Oscarnomination
erhielt. Anderswo erfahren Stafford (John Cusack) und Cristina Weiss (Olivia
Williams) von der Ankunft ihrer entfremdeten Tochter Agatha, die, so fürchten
sie, zurückgekommen ist, um ihrem 13-jährigen Bruder Benjie (Evan Bird) etwas
anzutun. Dieser, ein verwöhnter, arroganter Teenie-Filmstar, versucht indes
nach einem Drogenentzug sein Management wieder von seiner Verlässlichkeit zu
überzeugen.
Es ist schwer, eine so grossartige, eigensinnige Tour de
force wie Cosmopolis zu überbieten; es überrascht also kaum, dass der
philosophisch und ideologisch weniger weit reichende Maps to the Stars bei
aller satirischer Verve schlussendlich nicht ganz so tiefe Spuren hinterlässt.
Dennoch vertieft Cronenberg hier seine sardonische Abrechnung mit einer
Menschheit, die ihre Gefühle auf widersinnige Konstrukte wie Prominenz,
materielle Werte und eine idealisierte Vergangenheit projiziert. Die Mischung
aus überspitztem Melodrama und unverhohlener Persiflage – die beiden
klimaktischen Akte der Gewalt wirken beinahe wie eine bizarre Form von
Slapstick – widerspiegelt die zugleich bemitleidenswerten und geradezu
schmerzhaft amüsanten Charaktere, die sich in ihren überwiegend
selbstverschuldeten Situationen als hilflose Opfer grosser kosmischer
Verschwörungen sehen, allen voran die schrille Havannah, welche von Julianne
Moore grandios als zu gross geratener – oder auch: niemals erwachsen gewordener
– Teenager verkörpert wird.
Stafford Weiss (John Cusack) befürchtet, seine Tochter Agatha ist nach Beverly Hills gekommen, um Rache an ihrem Bruder, dem Teen-Star Benjie (Evan Bird), zu nehmen. © Pathé Films AG |
Cronenbergs Hollywood ist ein Ort der hohlen
Retorten-Gefühle, wo weder im öffentlichen noch im privaten Raum jemals die
Wahrheit gesagt und die menschliche Interaktion von nichts anderem als mehr
oder weniger erfolgreich aufrecht erhaltenen Fassaden bestimmt wird. Die
logische Folge davon ist, dass dem Film somit selber die emotionale
Dimension fehlt, was ihm aber im Ganzen kaum schadet. Denn an tröstlichen
Lichtblicken hat Cronenberg kein Interesse. Hinter seinen eigenen
Genre-Fassaden ist Maps to the Stars kalte, berechnende, herausfordernde
Subversion.
★★★★
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