Mittwoch, 24. Dezember 2014

The Homesman

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.

Um Konventionen kümmert sich Schauspiel-Haudegen Tommy Lee Jones in seiner zweiten Kino-Regiearbeit wenig. Obgleich auf den ersten Blick ein Western alter Schule, erweist sich The Homesman als ein intimes, subtil revisionistisches Genre-Charakterstück fernab aller Romantisierung.

Der klassische Western, in dem der Held im weissen Cowboyhut gegen blutrünstige Indianer und gewissenlose Gesetzesbrecher kämpft, ist seit bald 60 Jahren Geschichte, spätestens seit John Wayne, die ikonenhafte Legende des Genres, in John Fords Meisterwerk The Searchers (1956) mit den Abgründen der eigenen Figur konfrontiert wurde. 1962 doppelte Ford, wieder mit Wayne, nach: The Man Who Shot Liberty Valance befasste sich mit der Vergänglichkeit der Heldenrolle; man könnte dieses nicht minder grandiose Werk als Geburt des Post-Westerns bezeichnen. Der Rest, wie es so schön heisst, ist Geschichte: Von Spaghetti- und Acid- über Aussie- und Euro- bis hin zu Spät- und Neo-Western wurden seither alle möglichen Variationen des Genres durchgespielt.

Auch The Homesman lässt sich in solche Post-Schemata einordnen. Tommy Lee Jones' Adaption von Glendon Swarthouts gleichnamigem Roman ist ein faszinierendes Amalgam von feministischem, revisionistischem und düsterem Gothic Western, irgendwo zwischen Nicholas Rays Johnny Guitar, William Wellmans The Ox-Bow Incident, Clint Eastwoods Unforgiven und Sergio Corbuccis ikonoklastischem Il grande silenzio. Der Film handelt von Mary Bee Cuddy (Hilary Swank), die im Nebraska-Territorium der 1850er Jahre auf eigene Faust eine Farm bestellt und eigentlich ganz froh um einen helfenden Ehemann an ihrer Seite wäre. Denn der Alltag in der – atemberaubend fotografierten – Einöde ist hart, so hart, dass innert kürzerster Zeit drei Frauen (Grace Gummer, Miranda Otto, Sonja Richter) aus Mary Bees Gemeinde den Verstand verloren haben. (Vermittelt wird dies in einer Reihe ungemein atmosphärischer Rückblenden, die einen unweigerlich an die "mad woman in the attic" in Charlotte Brontës Jane Eyre denken lassen.) Mary Bee meldet sich freiwillig, das Trio per Kutsche ins zivilisierte Iowa zu transportieren – eine fünfwöchige Reise durch die Wüste, auf der sie Unterstützung vom kleinkriminellen George Briggs (Tommy Lee Jones) erhält, den sie vor dem Lynchtod rettet.

Der schurkische George Briggs (Tommy Lee Jones) hilft der einsamen Mary Bee Cuddy (Hilary Swank) dabei, drei verrückte Frauen in die Zivilisation zurückzubringen.
©Praesens Film
Jones arbeitet geschickt mit einer neuen Sicht auf das altehrwürdige Genre. Nicht nur setzt er sich überaus differenziert mit der Situation der Frauen in diesem Umfeld auseinander – von ihren naiven, allzu ehrgeizigen Gatten zum Pionier-Dasein als Köchin und Gebärerin gezwungen –, er beschäftigt sich auch mit der Problematik etablierter Geschlechterrollen: Briggs hat ebenso mit den an ihn "als Mann" gestellten Erwartungen zu kämpfen wie Mary Bee mit der Tatsache, dass sie potentiellen Gefährten "too bossy" ist.

Letzten Endes profiliert sich der Film aber gerade deswegen, weil er über den blossen Perspektivenwechsel hinaus geht. Gleich an mehreren Stellen bricht Jones nicht bloss Western-, sondern allgemeine Kino-Konventionen auf unerwartete, ja krasse Art und Weise. Romantik wird ersetzt durch eine kompromisslos beklemmende Stimmung – auch Marco Beltramis herausragender Musik zu verdanken –, deren Effektivität von der tonal deplatzierten komödiantischen Seite der Briggs-Figur kaum beeinträchtigt wird. The Homesman liefert einen wunderbaren Beleg dafür, dass der schon oft tot gesagte Western noch atmet – und angenehm zu überraschen vermag.

★★★★

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen