Donnerstag, 29. Januar 2015

Big Hero 6

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.

Seit 2009 verfügt Disney über die Rechte am Marvel-Universum. Doch mit Big Hero 6 erfährt erst jetzt eine Franchise des Comic-Riesen eine Animationsfilm-Behandlung. Der ebenso kinderfreundliche wie niveauvolle Superheldenfilm besticht mit Herz und fein ausgearbeiteten Charakteren.

Schon mit seinem Schauplatz setzt sich der Film von Don Hall und Chris Williams von der von korrupten Geschäftsmännern, finsteren Wissenschaftlern und grössenwahnsinnigen Verbrechern unterwanderten Comic-Schablonenstadt ab, in denen die maskierten Rächer gängigerweise ihren Tätigkeiten nachgehen. Während Superman durch Metropolis patrouilliert, Batman in Gotham City für Recht und Ordnung sorgt und diverse Marvel-Helden sich in Abstraktionen von Los Angeles und New York tummeln, spielt Big Hero 6 (basierend auf der gleichnamigen Comicreihe) im vergleichsweise beschaulichen San Fransokyo. Hier säumen japanische Kirschbäume die charakteristisch steilen Strassenfluchten San Franciscos. Die ikonischen roten Bögen der Golden Gate Bridge haben die Form von Torii, wie man sie aus der Architektur shintoistischer Schreine kennt; an den Wolkenkratzern und Neon-Schildern der Innenstadt stehen lateinische Buchstaben und Kanji-Schriftzeichen nebeneinander; im öffentlichen Verkehr haben die Figuren die Wahl zwischen einer Metro im amerikanischen Baustil und dem berühmten Shinkansen-Hochgeschwindigkeitszug. San Fransokyo ist ein wunderbar detailreicher Hybrid aus japanischer und westlich-amerikanischer Kultur – ein erfrischender, einfallsreich konzipierter Bruch mit den Konventionen des Superhelden-Genres.

Vielleicht weil sich Big Hero 6 an ein jüngeres Publikum wendet als Blockbuster wie Iron Man, Thor oder The Amazing Spider-Man“, bietet er (vergleichbar mit dem nachgerade radikal anderen Captain America: The Winter Soldier) auch erzählerisch eine willkommene Abwechslung zum etablierten Marvel-Plot, der, obschon der gezwungen düsteren DC-Alternative überlegen, selbst in äusserst unterhaltsamen Filmen wie The Avengers oder Guardians of the Galaxy ein wenig repetitiv wirkte. Das Skript von Robert L. Baird, Dan Gerson und Jordan Roberts läuft nicht schnurgerade auf den obligaten finalen Kampf gegen den Bösewicht hinaus – wichtiger sind Figurenzeichnung, Hintergründe, Weltenbildung.


Der 14-jährige Hiro (Stimme: Ryan Potter) findet im Pflegeroboter Baymax (Scott Adsit) einen treuen, wenn auch sehr ungewöhnlichen, Freund.
© Disney
So packt die Geschichte des 14-jährigen Tech-Genies Hiro Hamada (Stimme: Ryan Potter), der mit seinen Freunden Wasabi (Damon Wayans Jr.), GoGo (Jamie Chung), Fred (T. J. Miller) und Honey Lemon (Génesis Rodriguez) herausfinden will, warum sich ein Kabukimaske tragender Unbekannter an einer Erfindung Hiros vergriffen hat, nicht primär wegen der narrativen Wendungen, sondern weil hier ausnahmslos dreidimensionale, sorgfältig eingeführte und entwickelte Charaktere agieren. Dies gilt auch für Hiros treuesten Freund, welcher auf den meisten Filmplakaten verdientermassen die zentrale Position einnimmt: Der weisse Vinyl-Blob Baymax (hervorragend gesprochen von Scott Adsit), ein von Hiros Bruder Tadashi (Daniel Henney) gebauter Pflegeroboter, spielt den ruhenden Pol in Hiros chaotischer Helden-Entourage und begeistert mit seinem friedliebenden, sanften und herrlich bedächtigen Wesen, was viel zum sympathischen Witz von Big Hero 6 beiträgt. Auf seine Weise funktioniert Baymax, der bisweilen Erinnerungen an Brad Birds Iron Giant wach werden lässt, als ideale Mixtur von Mechanik und Menschlichkeit sogar als Metapher für den Film an sich: So wie er, obwohl er stets als programmierte Maschine erkennbar bleibt, mit seiner intuitiven Persönlichkeit und seinem fürsorglichen Gemüt berührt und unterhält, findet Big Hero 6 das Herz in der Blockbuster-Maschinerie.

★★★★★

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