In Relatos salvajes, international vertrieben unter dem Titel Wild Tales, zerlegt der Argentinier Damián Szifrón mit sechs schwarzhumorigen Kurzfilmen die Bestie Mensch und ihren naiven Stolz über die eigene Zivilisiertheit auf genüssliche und vergnügliche Art und Weise.
Geschichte Nummer eins dauert nur knapp fünf Minuten: Eine Gruppe von Flugzeugpassagieren entdeckt, dass sie alle denselben Pechvogel nicht nur kennen, sondern auch ihren Teil zum Scheitern seines Lebens beigetragen haben. Die Situation evoziert die heitere Flug-Farce Los amantes pasajeros, doch anders als Pedro Almodóvar, der als Produzent bei Relatos salvajes mitwirkte, macht Szifrón kurzen Prozess und lässt den Flieger ungespitzt in den Garten eines älteren Ehepaars donnern. Begleitet von Gustavo Santaolallas grossartigem musikalischen Hauptthema – ein Hauch von Morricone –, folgt der Vorspann: Die Namen von Darstellern – der bekannteste unter ihnen wohl Ricardo Darín (El aura, XXY, El secreto de sus ojos, Un cuento chino) –, Technikern und Geldgebern werden über Bilder von Löwen, Adlern, Haien, Tigern und allerlei anderen Wildtieren eingeblendet. Der Mensch ist und bleibt ein wildes Tier, so die Andeutung, selbst in der zivilisiertesten Umgebung.
Von der rabiaten Flugzeug-Ouvertüre arbeitet sich der Film vor zu einem Restaurant in der Pampa, wo sich eine junge Frau (Julieta Zylberberg) an einem Gast rächt, dessen Finanz-Betrügereien ihren Vater in den Selbstmord getrieben haben. Via einer skurril-stationären Neuauflage von Steven Spielbergs Duel – das Segment trägt den sprechenden Titel "El más fuert" ("Der Stärkste") – erreicht Szifrón die Stadt: Hier erleidet ein Sprengmeister (Darín) dank privatwirtschaftlicher Bürokratie einen Nervenzusammenbruch; dort bemüht sich die Schickeria darum, ihrem Gärtner (Germán de Silva) ein Verbrechen anzuhängen. Und zum Schluss wird eine Hochzeitsfeier gnadenlos in ihre blutigen Einzelteile zerlegt.
"Das Phantom der Zivilisiertheit": Damián Szifróns Episodenfilm macht auch vor dem heiligen Brauch der Hochzeit nicht Halt (im Bild: Diego Gentile und Érica Rivas). © Pathé Films AG |
★★★★
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