Samstag, 24. Januar 2015

Wild

Das wohl auffälligste Symbol in Jean-Marc Vallées Adaption von Cheryl Strayeds autobiografischem Bestseller Wild: From Lost to Found on the Pacific Crest Trail ist das Bild eines Fuchses, welcher der Protagonistin, beherzt gespielt von Reese Witherspoon, zum ersten Mal auf einem verschneiten Wanderweg-Abschnitt in Kalifornien begegnet. Zwei weitere Begegnungen folgen, beide wahrscheinlich eingebildet. Der Fuchs kann für so manches stehen – Cheryls mentale Verlorenheit nach dem Krebstod ihrer Mutter (Laura Dern), die Wildheit in ihrem Herzen, die sie dazu verleitet, sich nach diesem einschneidenden Ereignis dem Exzess hinzugeben, ihren Mann (Thomas Sadoski) zu betrügen und mit Heroin zu experimentieren.

Doch was die nur halbherzig realisierte Metapher auch heraufbeschwört, ist die unheimliche Fuchs-Puppe in Lars von Triers Antichrist, die mit tiefer Stimme proklamierte: "Chaos reigns". Diese Zeile trifft sowohl auf Cheryls Leben als auch auf Vallées Wild zu: ein Flickenteppich aus Rückblenden, Wiederholungen, Parallelmontagen, imposanten Naturaufnahmen, Wander-Anekdoten, Voiceovers und schlaglichtartig aufblitzenden Bildern, integriert ins chronologisch erzählte Hauptnarrativ – Cheryls einsame Wanderung auf dem Pacific Crest Trail von Südkalifornien bis ins nordwestliche Washington im Jahr 1995.

Der assoziative Modus operandi von Vallée, mit dem er schon in Dallas Buyers Club experimentierte, und Romancier/Drehbuchautor Nick Hornby wird Strayeds "wilden" Jahren definitiv gerecht und verleiht dem Film scheinbar die Aura eines atmosphärischen, zutiefst persönlichen Bewusstseinsstromes. Diese entpuppt sich nach und nach jedoch als dünne Fassade; die Spuren, die Wild zu hinterlassen vermag, sind primär dem inspirierten Gebrauch der Songs von Simon & Garfunkel sowie Reese Witherspoons herausragender Darbietung zuzuschreiben.

Witherspoon gelingt es, dem Zuschauer eine an sich sehr schwierige Persönlichkeit einfühlsam näher zu bringen – ein Umstand, den der Film kaum je vorbehaltlos anerkennt. Strayed scheint befallen vom Narzissmus des Aussteigers – ein Phänomen, welches von Sean Penn im massiv überschätzten Into the Wild ohne jede kritische Brechung bejubelt wurde – mit ihrer Gewohnheit, in den Wanderweg-Gästebüchern literarische Zitate nicht nur mit dem Autorennamen, sondern auch mit ihrem eigenen zu unterschreiben. Doch Witherspoons kernig-nüchterne Interpretation gibt dieser Cheryl Strayed das nötige Profil, die nötige psychologische Tiefe, um ihre Reise bedeutsam wirken zu lassen.

"Tracks": Cheryl Strayed (Reese Witherspoon) wandert auf dem Pacific Crest Trail.
© 2014 Twentieth Century Fox Film Corporation
Ohne sie wäre die Figur gefangen in einem deklamatorischen Drehbuch, das darauf beharrt, mit plumper Exposition und abgedroschen wirkenden inneren Monologen zu operieren. Mit Ausnahme der allerletzten Szene – wirksam gerade wegen ihrer Mischung aus magischer Überhöhung und sachlicher Unmittelbarkeit – interessiert die Geschichte trotz – und nicht wegen – der chaotischen Erzählweise, die mitunter mehr den Anschein eines Gimmicks denn einer thematischen Notwendigkeit macht. Auch Vallées manipulativer Hang zur emotionalen Verkürzung, der sich in Dallas Buyers Club andeutete, ist hier ersichtlich, bis hin zum Punkt des Selbstplagiats: Bekenntnisse von Figuren und Einstellungen mit poetischem Anstrich – aus den Schmetterlingen, die Matthew McConaughey bedeckten, werden Frösche auf Reese Witherspoons Schlafsack – ersetzen tatsächliche Charakterentwicklung.

Der Frankokanadier Vallée erweist sich in seinen englischsprachigen Projekten weiterhin als Regisseur mit begrenztem filmischem Vokabular. Wie Dallas Buyers Club vor ihm lässt Wild die Ambition erkennen, eine wahre Geschichte menschlich bewegend aufzuarbeiten. Völlig gelungen ist ihm dies nicht; auf Grund der ungeschickten Inszenierung spricht Vallées Film zwar an, berührt aber nicht.

★★★

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