Mittwoch, 4. Februar 2015

Birdman or (The Unexpected Virtue of Ignorance)

Wer sich zum Kern von Alejandro González Iñárritus Birdman vorarbeiten will, sieht sich mit einem dichten Geflecht aus Ironie, Selbstreflexivität und postmoderner Anspielungswut konfrontiert, welches das ganze Konstrukt im Grunde gegen jedwede Kritik immunisiert. Wirken gewisse Figuren geradezu grobschlächtig simpel gestrickt, lässt sich dies als beabsichtigter Kommentar auf ihre pathologische Oberflächlichkeit lesen. Möchte man sich über die streckenweise hölzern-theaterhaften Dialoge aufhalten, muss man die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass hier, wie etwa in Vanya on 42nd Street von Louis Malle oder La Vénus à la fourrure von Roman Polanski, lediglich Film und Bühne ineinander fliessen.

Doch Iñárritu lässt es nicht bei dieser Verschränkung von Theater und Kino – welche unterstrichen wird durch die digital erzeugte Illusion, Birdman sei in einer einzigen Einstellung gefilmt – bewenden: Sein Film, untermalt von Antonio Sánchez' stimmig-expressivem Schlagzeug-Score, überschreitet auch, symbolisch und buchstäblich, die Grenze zur dem Publikum vertrauten Realität. (Insofern hätte es nicht überrascht, wenn Iñárritu und Kameramann Emmanuel Lubezki auf die 3-D-Technik zurückgegriffen hätten.) Symbolisch, weil Michael Keaton – Tim Burtons Batman –, umgeben von anderen Comicverfilmungs-Veteranen wie Emma Stone (The Amazing Spider-Man) und Edward Norton (The Incredible Hulk), in die Rolle des Riggan Thomson schlüpft, eines abgehalferten Actionstars, dem um 1990 als Blockbuster-Superheld Birdman Hollywood zu Füssen lag und der sich nun am Broadway mit einer Bühnenadaption von Raymond Carvers Kurzgeschichte What We Talk About When We Talk About Love der gehobenen Kultur zuwenden möchte. Buchstäblich, weil Riggan sich wiederholt in Diskussionen mit der Birdman-Stimme in ihm verwickeln lässt, die sich schlussendlich auch direkt an den Kinozuschauer wendet und diesem eine Vorliebe für krachende Action statt "philosophisches Gefasel" ankreidet.

Der Film verfügt dank seines vielschichtigen Spiels mit erfundener und tatsächlicher Realität über einen doppelten Boden, der es ihm erlaubt, so zu wirken, als würde er alles oder nichts von dem, was er und seine Charaktere so treiben, Ernst nehmen. In weniger kompetenten Händen hätte dies schnell zu einer seelenlosen Meta-Etüde degenerieren können, einer Peer Gynt'schen Lauchzwiebel voller Schichten, aber ohne Kern. Doch der doppelte Boden hält: Birdman gelingt es, nicht zuletzt auf Grund seines erfrischend lockeren Umgangs mit dem eigenen Anspruch, einem seinen raffinierten Schwindel überzeugend als wundersamen Zaubertrick zu verkaufen, der sich, bei allem Augenzwinkern – ein angenehmer Kontrast zur leicht dogmatischen Ernsthaftigkeit eines Black Swan –, mit seriösen Themen perzeptiv auseinandersetzt.

Der einstige Actionstar Riggan Thomson (Michael Keaton) will nicht nur seine Karriere, sondern auch seine Beziehung zu seiner Tochter Sam (Emma Stone) retten.
© 2014 Twentieth Century Fox Film Corporation
So findet sich in Iñárritus Drehbuch – entstanden unter der Mitarbeit von Armando Bo, Nicolás Giacobone und Alexander Dinelaris Jr. – etwa die spannende und unumgänglich selbstreflexive Interpretation, dass Kunst an sich effektiv nichts anderes ist als ein aufwändiger Zaubertrick, der sein Publikum im Erfolgsfall in seinen Bann zu ziehen vermag und, in seltenen erlesenen Momenten, etwas über das Leben in seiner Gesamtheit zu sagen hat. Ganz der postmodernen Weltanschauung entsprechend, verlieren dabei sämtliche Distinktionen zwischen hoher und tiefer Kultur ihre Bedeutung. Für die hochnäsige Feuilleton-Kritikerin Tabitha Dickinson (Lindsay Duncan), die Riggans Stück ungesehen zu zerreissen gedenkt – der vielleicht eindimensionalste Charakter des Films –, ist dies unerträglich; für Roland Barthes, der standesgemäss von einem Interviewer zitiert wird, ist es selbstverständlich.

Kunst ist Wahrheit und Lüge zugleich: Dieser verschachtelte Widerspruch verdichtet sich in Birdman zur Figur des Mike Shiner (Norton, bisweilen auf den Spuren seiner Rolle in Fight Club), der als selbstverliebter Stanislavski-Strasberg-Darsteller nur auf der Bühne er selbst sein kann und abseits davon zu genuinen Gefühlen unfähig ist. Der Film lässt aber offen, ob es sich dabei um die grundlegende Tragik oder die narzisstische Affektiertheit seines Berufs handelt. In einer der besten Szenen wankt indes Riggan in einen Schnapsladen, während auf der Strasse hinter ihm ein Schauspieler Macbeths "Tomorrow and tomorrow and tomorrow"-Soliloquie in die Nacht hinaus schreit, in der nicht nur die vergängliche menschliche Existenz mit dem Bühnendasein eines Mimen und seiner Figur verglichen wird, sondern auch der Urheber erzählender Kunst – Gott, der Autor, der Interpret – als "fool" und "idiot" bezeichnet wird. Die Soliloquie bildet in vielerlei Hinsicht das Herzstück des Films. Sie vereint den postmodernen Zusammenbruch von Hierarchien – das hehre Leben geht Hand in Hand mit der profanen Unterhaltung –, die Beziehung zwischen Fiktion, ihrem Vermittler und dessen Realität sowie die Flüchtigkeit menschlichen Daseins in sich.

Riggans ohnehin angeschlagene Psyche wird vom narzisstischen Theatermimen Mike Shiner (Edward Norton) arg auf die Probe gestellt.
© 2014 Twentieth Century Fox Film Corporation
Letzteres ist es auch, worum sich Riggans Geschichte mit all ihren Verästelungen letztendlich dreht. Der Konflikt mit seiner Birdman-Persona, sein Versuch, das Verhältnis zu seiner Tochter (Stone), zu seiner Ex-Frau (Amy Ryan) und zu seiner Freundin und Co-Schauspielerin (Andrea Riseborough) zu retten, die Verbissenheit, mit der er und sein Anwalt (Zach Galifianakis) um das Gelingen des Carver-Projekts kämpfen – all das ist ein Ausdruck von Riggans Angst, der Welt, wenn überhaupt, nur als maskierter Hampelmann in Erinnerung zu bleiben. Zwar verweist der Film mit einem diesbezüglichen Monolog Emma Stones wohl mit zu viel Nachdruck auf diese Dimension der Erzählung, doch der Punkt verliert deswegen kaum an Überzeugungskraft.

Die häufige Erwähnung von Popkultur-Phänomenen wie Facebook, Twitter, iPhone-Journalismus, Hunger Games, Iron Man und X-Men mutet auf den ersten Blick wie plumpe Spezifität mit technophobem Anstrich an, erweist sich jedoch allmählich als gerissener Kommentar auf das Paradox, dass sich die 2010er Jahre darauf spezialisiert zu haben scheinen, alles aufzuzeichnen und gleichzeitig alles zu vergessen. Nicht wenige, wenn nicht alle, Anspielungen, und vielleicht sogar Birdman selber, werden in einigen Jahrzehnten obskure Referenzen sein – "hohes" Kulturgut für die Tabitha Dickinsons der Zukunft. Sich in diesem Klima selber unsterblich machen zu wollen, wie Riggan es verzweifelt versucht, ist ein Schrei ins Nichts. Doch Iñárritus unvollkommener, aber endlos faszinierender Film, emotional getragen von Michael Keatons grandioser, trotz aller Ironie tief empfundener Darbietung, ist es wert, dass man sich an ihn erinnert.

★★★★★

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