Doch Überwachung, das wusste schon der englische Denker Jeremy Bentham, ist keine Einbahnstrasse. Im Gegenteil: Ist sich der Beobachtete seiner Situation nicht bewusst, dann sind die regulierenden, unterdrückenden Kapazitäten des Überwachers signifikant eingeschränkt. Nicht umsonst wirbt das totalitäre Regime in George Orwells dystopischem Roman Nineteen Eighty-Four mit dem oft falsch verstandenen Slogan "Big Brother Is Watching You". Nur wenn das überwachte Objekt weiss, dass es beobachtet wird, verfügt das überwachende Subjekt über wahre Macht; die Beobachtung muss internalisiert werden. Ob man tatsächlich abgehört, gefilmt oder beschattet wird, ist letztendlich unwichtig. In den allgegenwärtigen "Big Brother"-Plakaten müssen keine Kameras versteckt sein, damit Orwells Protagonist Winston Smith vor dem Willen der Regierung kuscht; es genügt, wenn er denkt, er könnte in jedem beliebigen Moment beobachtet werden.
Die ideale unterdrückende Überwachung ist also ein sich selbst aufrecht erhaltender Prozess, der laut Michel Foucault tief in die Gesellschaftsstrukturen der westlichen Welt eingedrungen ist: Gefängnisse, Schulen, Fabriken, Krankenhäuser – sie alle funktionieren mehr oder minder nach demselben architektonischen und ideologischen Prinzip, welches im Grunde jeder Form von Privatsphäre zuwider läuft.
Weder Snowden noch Regisseurin Laura Poitras tragen in der Dokumentation Citizenfour diesem komplexen Diskurs wirklich Rechnung; selbst die potenziellen Vorzüge, die Überwachung durchaus mit sich bringen kann, blendet der Film aus. Die einzige Spur einer detaillierten Auseinandersetzung mit dem Thema ist unbeabsichtigt: Die Paranoia, die Snowden während seiner Gespräche in einem Hongkonger Hotelzimmer mit Poitras sowie Greenwald und MacAskill an den Tag legt – er kappt die Telefonleitung und bedeckt sich am Laptop mit einer Decke –, zeugt davon, dass er wohl mehr als jeder andere von der NSA abgehörte Mensch ihre Überwachung verinnerlicht und sich ihren Methoden gefügt hat.
Im Juni 2013 trafen sich Regisseurin Laura Poitras und die Journalisten Ewen MacAskill und Glenn Greenwald (rechts) mit dem NSA-Whistleblower Edward Snowden (links). © Piffl Medien |
Somit steht praktisch vom ersten Moment an die
journalistische Integrität des Films im Zweifel. Was Poitras dem Zuschauer
bewusst als essenzielle investigative Dokumentation verkauft – als
"dritter Teil einer Trilogie über Amerika nach 9/11" –, ist näher an
einem politisch geladenen Pamphlet, einem Plädoyer für Snowden, dessen
Enthüllungen ihn in weiten Teilen der US-Politik zur Persona non grata, unter
der Bevölkerung wahlweise zu einem Helden oder einem Landesverräter gemacht
haben, denn an einem nüchternen Denkanstoss. Dass sich Citizenfour dazu
entschlossen hat, sich klar auf eine Seite zu schlagen und die Gegenseite, wenn
überhaupt, nur parteiisch verzerrt zu Wort kommen zu lassen, ist legitim. Ken
Loach verfuhr in The Spirit of '45, seiner leidenschaftlichen
Verteidigung des britischen Labour-Sozialismus, nach dem gleichen Prinzip. Doch
dadurch, dass Poitras geradezu axiomatisch die moralische Überlegenheit für
sich beansprucht, erhält ihr Film eine unsympathisch frömmlerische Aura.
Das ist besonders bedauerlich, da Citizenfour wohl auch ohne seinen moralisierenden Unterton eines seiner Hauptziele erreicht hätte: Poitras' Protokoll ihres E-Mail-Verkehrs und anschliessenden achttägigen Gesprächs mit Snowden (Deckname: "Citizenfour") im Juni 2013 in Hongkong gelingt es, die Person Edward Snowden direkt und ohne die Debatten- und Skandallinse darzustellen. Das Publikum macht Bekanntschaft mit einem sympathischen jungen Mann der ersten Internetgeneration, der trotz aller Nervosität und Paranoia mit merklicher Begeisterung über technische Feinheiten referieren und mit einnehmendem Schalk seine Situation reflektieren kann – ein Whistleblower von, wie es scheint, grösserem menschlichen Format als etwa ein Julian Assange, dem WikiLeaks-Gründer, der sich in den letzten Jahren als wahrer Meister der Selbstvermarktung erwiesen hat. Snowden wirkt bescheidener und weitaus weniger darauf bedacht, seinen Namen mit der Sache zu verknüpfen; man ist geneigt, diesem gewissenhaften Aufrüher den messianischen Anstrich seiner Motivation nachzusehen, uneigennützig zum Wohle des "public interest" zu handeln ("It gives me a good feeling to do something that's good for everybody").
Das ist besonders bedauerlich, da Citizenfour wohl auch ohne seinen moralisierenden Unterton eines seiner Hauptziele erreicht hätte: Poitras' Protokoll ihres E-Mail-Verkehrs und anschliessenden achttägigen Gesprächs mit Snowden (Deckname: "Citizenfour") im Juni 2013 in Hongkong gelingt es, die Person Edward Snowden direkt und ohne die Debatten- und Skandallinse darzustellen. Das Publikum macht Bekanntschaft mit einem sympathischen jungen Mann der ersten Internetgeneration, der trotz aller Nervosität und Paranoia mit merklicher Begeisterung über technische Feinheiten referieren und mit einnehmendem Schalk seine Situation reflektieren kann – ein Whistleblower von, wie es scheint, grösserem menschlichen Format als etwa ein Julian Assange, dem WikiLeaks-Gründer, der sich in den letzten Jahren als wahrer Meister der Selbstvermarktung erwiesen hat. Snowden wirkt bescheidener und weitaus weniger darauf bedacht, seinen Namen mit der Sache zu verknüpfen; man ist geneigt, diesem gewissenhaften Aufrüher den messianischen Anstrich seiner Motivation nachzusehen, uneigennützig zum Wohle des "public interest" zu handeln ("It gives me a good feeling to do something that's good for everybody").
Snowden kontaktierte Poitras Anfang 2013, weil sie sich als Kritikerin der amerikanischen Geheimdienste einen Namen gemacht hat. © Piffl Medien |
Diese erfrischende Vermenschlichung des Nachrichtenthemas
Snowden kommt dank der Unmittelbarkeit zustande, die Poitras mit einer
atmosphärischen Cinéma-vérité-Ästhetik erzielt. Die thrillerartige Zuspitzung
der Enthüllungen im Hongkonger Luxushotel verleiht dem Film eine eindringliche
Spannung, die weit über die Kontroverse des Themas hinausgeht. So sehr sich
Poitras in der journalistischen Korrektheit vergreift, erweist sie sich doch als
mehr als nur fähige Filmemacherin, die mit Musikuntermalung und durchdachten,
durchaus subtilen Pillow Shots hervorragend umzugehen weiss. Darum scheitert Citizenfour
als Dokumentarfilm nicht: Kombiniert mit der ansprechenden Präsenz
Snowdens, weiss er gerade als non-fiktive erzählerische Stilübung zu fesseln.
Ob Snowden nun ein Held oder ein Verbrecher ist, liegt – ob es der Film will oder nicht – beim Zuschauer. Sein Ansporn und seine Ansichten mögen sich nicht mit der ideologischen Realität von Überwachung decken; die Diskussion, ob die unbestritten erschreckenden Verantwortungs-Übergriffe von NSA und GCHQ, die Hunderte Millionen unbescholtener Bürger routinemässig ausspionieren, tatsächlich eine Gefahr für die amerikanische oder gar die westlichen Demokratien darstellen, ist eine, die es sich in grösserer Ausführlichkeit zu führen lohnt. Doch was Snowden offen legte, sollte zweifellos Anstoss zu regen Debatten sowie den nötigen Reformen führen; die Vergleiche mit dem legendären Daniel Ellsberg, der 1971 die brisanten Pentagon Papers über die Details des Vietnamkriegs zur Presse durchsickern liess, erscheinen angebracht. Die Verfolgung, der Snowden seitens seines Heimatlandes seit bald zwei Jahren ausgesetzt ist und die ihn ironischerweise zur Flucht ins Russland Vladimir Putins gezwungen hat, ist ein unerhörtes Unrecht und dürfte als eines der dunkelsten Kapitel der Amtszeit Barack Obamas in die Geschichte eingehen. Zu diesem Schluss wäre man wohl aber auch ohne den makellos gemachten, aber allzu sensationalistisch und intellektuell unseriös vorgetragenen Citizenfour gelangt.
Ob Snowden nun ein Held oder ein Verbrecher ist, liegt – ob es der Film will oder nicht – beim Zuschauer. Sein Ansporn und seine Ansichten mögen sich nicht mit der ideologischen Realität von Überwachung decken; die Diskussion, ob die unbestritten erschreckenden Verantwortungs-Übergriffe von NSA und GCHQ, die Hunderte Millionen unbescholtener Bürger routinemässig ausspionieren, tatsächlich eine Gefahr für die amerikanische oder gar die westlichen Demokratien darstellen, ist eine, die es sich in grösserer Ausführlichkeit zu führen lohnt. Doch was Snowden offen legte, sollte zweifellos Anstoss zu regen Debatten sowie den nötigen Reformen führen; die Vergleiche mit dem legendären Daniel Ellsberg, der 1971 die brisanten Pentagon Papers über die Details des Vietnamkriegs zur Presse durchsickern liess, erscheinen angebracht. Die Verfolgung, der Snowden seitens seines Heimatlandes seit bald zwei Jahren ausgesetzt ist und die ihn ironischerweise zur Flucht ins Russland Vladimir Putins gezwungen hat, ist ein unerhörtes Unrecht und dürfte als eines der dunkelsten Kapitel der Amtszeit Barack Obamas in die Geschichte eingehen. Zu diesem Schluss wäre man wohl aber auch ohne den makellos gemachten, aber allzu sensationalistisch und intellektuell unseriös vorgetragenen Citizenfour gelangt.
★★
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen