Donnerstag, 19. Februar 2015

Inherent Vice

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.

Kultautor Thomas Pynchon rettet Paul Thomas Anderson vor sich selber. Hat der von nicht wenigen als Genie verehrte Autorenfilmer bislang eher mit bemühend prätentiösem Kino auf sich aufmerksam gemacht, zeigt er sich in der Pynchon-Adaption Inherent Vice angenehm undogmatisch.

Es ist was faul im Hippie-Mekka Los Angeles. Der Titel dieser postmodernen Neo-Noir-Geschichte verrät es schon: Inherent Vice, "natürliche Mängel" – ein Begriff aus dem Versicherungs- und Archivierungswesen, der die fundamentale Eigenschaft aller Materialien beschreibt, irgendwann zu verderben. Fäulnis und Zerfall liegen im System selber verborgen. Wir befinden uns im Jahr 1970 und dort, wo noch kurz zuvor der Traum der freien Liebe und des auf Marihuana gründenden Weltfriedens die Nachkriegsgeneration verzauberte, gärt es inzwischen: In Vietnam tobt ein sinnloser Krieg, dem abertausende junge Amerikaner zum Opfer fallen; unter Präsident Nixon boomt der Neokonservatismus; es bilden sich nazistische Gegenreaktionen auf die Bürgerrechtsbewegung der Sechzigerjahre; die Hoffnung der Ära hat spätestens mit den Verbrechen von Charles Manson und seiner Hippie-Kommune in blanke Paranoia umgeschlagen. Der Traum ist geplatzt; was bleibt, sind Ruinen, Wracks, Desillusionierte, Verräter – Mittzwanziger, die im Drogenrausch des Summer of Love am Heroin hängen geblieben sind, Aktivisten, die von diversen Bundespolizeien als Informanten rekrutiert wurden.

Und mittendrin schlägt sich Privatdetektiv Larry "Doc" Sportello (Joaquin Phoenix) irgendwie durchs Leben. Stets den Joint im Anschlag, stolpert er in Inherent Vice in ein dicht gesponnenes Netz aus Intrigen, krummen Geschäften, Drogenschiebereien und Zahnarzt-Kartellen, in dem die Indizien schnell nicht mehr von bizarren Zufällen, roten Heringen und hanfbedingten Halluzinationen zu unterscheiden sind. Was mit einem Hilferuf seiner Ex-Freundin Shasta Fay Hepworth (Katherine Waterston) beginnt, verwandelt sich schnell in ein haarsträubendes Puzzle, in dem Doc an eine schier endlose Reihe zwielichtiger Figuren und deren Interessen gerät. LAPD-Inspektor und Möchtegern-Schauspieler "Bigfoot" Bjornsen (ein wunderbarer Josh Brolin) möchte Doc als Undercover-Agenten für seine Zwecke gewinnen; Ex-Kommunist Coy Harlingen (Owen Wilson) will sein altes Leben wieder haben; derweil Doc mit seinem Anwalt Sauncho Smilax (Benicio del Toro in einer Rolle, wie sie einst Peter Falk gespielt hätte) herauszufinden versucht, inwiefern ein Immobilienhai (Eric Roberts) in die Machenschaften der Organisation "Golden Fang" verwickelt ist.

Im Los Angeles der Manson-Paranoia versucht Privatdetektiv Doc Sportello (Joaquin Phoenix, links) einen kniffligen Fall zu lösen. LAPD-Inspektor Bjornsen (Josh Brolin) ist ihm dabei nur bedingt behilflich.
© 2014 Warner Bros. Ent.
Der immer wieder an Robert Altmans The Long Goodbye erinnernde Film, obschon keinesfalls eine sklavische Adaption, ist Pynchon in Reinform: undurchdringlich, bevölkert von grotesken Figuren mit noch groteskeren Namen, ein Musterbeispiel für die Grundidee des amerikanischen Literatur-Postmodernismus, dass Wahrheit subjektiv und echte Realitätserkennung nicht selten ein Ding der Unmöglichkeit ist. Zu sehen, wie Anderson, welcher allein für das hervorragende Drehbuch zeichnet, die Vision eines anderen auf die Leinwand bannt, ist nach den bleiernen There Will Be Blood und The Master eine wahre Wohltat; der abseitige Humor Pynchons ein willkommener Ersatz für die erzwungene Ernsthaftigkeit, mit der Anderson normalerweise operiert. So fällt es auch leichter, sich an seinen unbestrittenen filmhandwerklichen Qualitäten zu erfreuen – seinem Auge fürs Detail, seinem Sinn für Zeitkolorit. Trotz aller ironisch-satirischen Verfremdung ist das L.A. des Hippie-Hangovers in Inherent Vice, dank authentischer Dialoge, vorzüglicher Mise en scène und Robert Elswits zeitgemässer Kameraarbeit, ein Ort voller Leben und Charakter, in dessen skurrilen Endzeit-Wahnsinn man nur zu gerne zweieinhalb Stunden lang versinkt.

★★★★

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