Mit der Verfilmung von Letzterem hat sich zwar das Blatt
vielleicht nicht gewendet, doch wurde dem Subgenre damit zumindest ein
überzeugender, solider Eintrag geschenkt. (Ersteres soll Gerüchten zufolge in
absehbarer Zukunft von Stephen Daldry auf die Leinwand gebracht werden.) Regie
führte Rob Marshall, der 2002 mit dem preisgekrönten Chicago dem
Hollywood-Filmmusical neues Leben einhauchte; James Lapines Drehbuch, obschon
an manchen Stellen gekürzt und zurecht gestutzt, hält sich weit gehend an die
1986 von Lapine selber verfasste Bühnen-Vorlage.
Mit Hilfe eines kinderlosen Bäckerpaares (Emily Blunt, James
Corden) im Zentrum der Geschichte verwebt Into the Woods die klassischen
Märchen Aschenputtel, Rotkäppchen, Rapunzel sowie Jack
and the Beanstalk zu einem ebenso fantasievollen wie kritisch-ironischen
Mash-Up, in dessen Verlauf die dunklen Seiten – von den einschlägigen
Disney-Adaptionen gerne übergangen – und die psychologischen Abgründe dieser
Märchenstoffe frei gelegt werden. Da überrascht es auch nicht, dass es Bruno
Bettelheims Buch The Uses of Enchantment war, das Sondheim (A Funny
Thing Happened on the Way to the Forum, Sweeney Todd, West Side
Story) und Lapine als Inspiration zu ihrem Musical diente – eine Freud'sche
Analyse der Symbolik bekannter Volksmärchen.
Wegen eines
Fluchs der Hexe (Meryl Streep) bleibt der Kinderwunsch von Bäckerin
(Emily Blunt) und Bäcker (James Corden) unerfüllt. © The Walt Disney Company Switzerland |
Wie schon auf der Broadway-Bühne spielt sich Into the
Woods, grob gesagt, in zwei Hauptakten ab. Eine lebhafte Ouvertüre, in der
sich die Kamera mit der Flinkheit einer Busby-Berkeley-Nummer durch den Raum
bewegt, etabliert die Umstände, unter denen sich das Figuren-Ensemble
anschickt, das sichere Dorf zu verlassen und in den finsteren Wald zu einzudringen:
Jack (Daniel Huttlestone) wird von seiner Mutter (Tracey Ullman) ins
Nachbardorf geschickt, wo er seine geliebte weisse Kuh verkaufen soll.
Cinderella (Anna Kendrick) schleicht sich trotz des Verbots ihrer bösen
Stiefmutter (die ideal besetzte Christine Baranski) in einem goldenen Kleid zum
Ball des Prinzen (Chris Pine). Und Little Red Riding Hood (Lilla Crawford)
bricht auf, um ihrer kranken Grossmutter Kuchen und Brot zu bringen.
Währenddessen erfahren Bäcker und Bäckerin von ihrer Nachbarin, der Hexe (Meryl
Streep), dass ihre Kinderlosigkeit auf einen Fluch zurückzuführen ist, für
dessen Umkehr sie vier Objekte beschaffen sollen: Eine Kuh so weiss wie Milch,
einen Schuh so pur wie Gold, einen Umhang so rot wie Blut und Haare so gelb wie
Mais. Was folgt, ist eine wilde Hetzjagd durch den verzauberten Wald im Stile
von Shakespeares Midsummer Night's Dream, in dem unter anderen auch noch
die in einen Turm gesperrte Rapunzel (MacKenzie Mauzy) und ihr Prinz (Billy
Magnussen) nach ihrem persönlichen Happy End suchen.
Auf der Suche
nach den Zutaten, die den Fluch rückgängig machen können, trifft das
Bäckerpaar auf den aufmüpfigen Jack (Daniel Huttlestone). © The Walt Disney Company Switzerland |
Haben die Protagonisten aber erst einmal ihr "Und wenn
sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute" erreicht – nach
aufgeschlitzten Wölfen, abgeschnittenen Zehen und Fersen und ausgestochenen
Augen, wie es bei den Gebrüdern Grimm geschrieben steht –, lässt der Film nicht
von ihnen ab: Wie dauerhaft die märchenhafte Seligkeit ist, muss sich in Akt
zwei erst noch herausstellen.
Ganz so radikal wie Sondheims und Lapines Original geht
dieser Into the Woods zwar nicht vor, doch auch Marshall weiss den alten
Geschichten durchaus mit hinterlistiger Subversion zu begegnen. Zwischen den
Beinen seines bösen Wolfs (Johnny Depp) ist im Gegensatz zum Bühnen-Pendant
kein penisförmiger Fortsatz zu finden, doch die Implikation, dass in Rotkäppchen
Pädophilie und sexuelles Erwachen eine Rolle spielen, wird dennoch mit
schelmischem Schalk vermittelt – wozu nicht zuletzt die kecke Lilla Crawford
und besonders der voller Energie aufspielende Depp, der die Lethargie seiner
jüngeren Darbietungen hinter sich lässt und sich in der vielleicht besten Form
seit Alice in Wonderland zeigt, beitragen. Die Bedeutung der Hexenfigur
wiederum wird – trotz einer signifikanten Subplot-Beschneidung gegenüber dem
Quellenmaterial – von Marshall, Lapine und der furiosen Meryl Streep auf
spannende Art und Weise und mit einer Reihe pointierter und stilsicher
inszenierter Lieder neu ausgehandelt; ihr zwielichtiges Handeln erhält
Motivation, ihre Taten eine gewisse Resonanz. Für den satirisch-komödiantischen
Höhepunkt sorgen indes die beiden Prinzen – ein Traumpaar aus der Warte von
Dogberry und Verges –, deren wunderbar überzeichneter Liebes-Klagegesang
"Agony" die fundamentale Belanglosigkeit ihresgleichen darlegt.
Und auch Cinderella (Anna Kendrick) spielt beim Abenteuer der Bäcker eine Rolle. © The Walt Disney Company Switzerland |
Doch obwohl sie unverkennbar der Lächerlichkeit preisgegeben
werden, sind es nicht die Prinzen, die das härteste Los des Films trifft. Die
der Produktion auferlegten Kürzungen, die sich insbesondere während des zweiten
Akts bemerkbar machen – und die, angesichts der Fülle von Figuren, das Ganze
etwas überladen wirken lassen –, nehmen gewissen Szenen die nötige Rahmung, um
den erwünschten Effekt zu erzielen. So wird Rapunzel nicht nur ihres tragischen
Endes, sondern überhaupt eines konkreten Endes beraubt; derweil das Schicksal
der Bäckerin durch die Abfolge der Geschehnisse einen leisen, aber klar
feststellbaren, frauenfeindlichen Unterton erhält.
Letztlich erfüllt Into the Woods seinen Auftrag als
Adaption gerade gut genug. Erzählerischen Unzulänglichkeiten und der Tatsache,
dass gewisse Darsteller beim Singen natürlicher agieren als beim Sprechen
(Emily Blunt, Daniel Huttlestone), stehen die vorzüglichen Schauwerte
Ausstattung und Kostüme gegenüber sowie der weitgehende Verzicht auf allzu
ausuferndes CGI, welches Burtons Alice, Raimis Oz und Robert
Strombergs Maleficent ihre berüchtigte Plastik-Ästhetik verlieh. Dass
Marshalls Film funktioniert, das muss festgehalten werden, ist wohl nicht so
sehr sein eigenes Verdiens als vielmehr jenes von Sondheim und Lapine. Kann man
als Kinozuschauer das Original auf der Bühne nicht erleben, stellt Into the
Woods eine taugliche Notlösung dar.
★★★
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