Freitag, 6. März 2015

Samba

1925 drehte René Clair die kuriose Stummfilm-Komödie Paris qui dort, in der die Bewohner der französischen Hauptstadt unter mysteriösen Umständen in Schlafstarre versetzt werden, woraufhin einige Immune die stillstehenden Strassen zu ihrer persönlichen Partymeile umfunktionieren. Der Kurzfilm hat Éric Toledano und Olivier Nakache, die 2012 mit Intouchables einen europaweiten Hit inszenierten, in der Produktion ihres neuen Werks wohl kaum beeinflusst, doch so wie Clair die Vision eines ewig schlafenden Paris präsentierte, zeigen Nakache und Toledano in Samba eine Metropole, in der die Arbeit nie zu Ende geht. Man hätte den Film gut und gerne auch Paris qui travaille nennen können.

Freizeit findet in diesem Paris nicht statt. Samba zeigt Menschen, die in Asylzentren arbeiten, in Friseursalons, Müllverarbeitungsanlagen, Anwaltskanzleien, Callcentern, Kiosken, Handyläden, Hotels und Restaurants. Wer nicht arbeitet, will arbeiten: Man steht Schlange vor der Temporär-Jobvermittlung; man wartet am Ufer der Seine auf Handwerker auf der Suche nach Schwarzarbeiter-Gehilfen; man versucht, sein Burnout so schnell wie möglich zu überwinden. Passanten, Bus- und Metropassagiere befinden sich entweder auf dem Weg von oder zur Arbeit; wer keinen Job hat – wie der Protagonist Samba Cissé (Omar Sy), der nach zehn Jahren illegalem Aufenthalt in Frankreich aufgegriffen und zum heimlichen Geldverdienen verdonnert wird –, fährt in Anzug und Krawatte und mit Aktenkoffer in der Hand die ÖV-Linien rauf und runter, um wenigstens den Anschein zu erwecken, man sei beschäftigt. 

Samba, obschon auch er wie Intouchables Züge eines modernen Märchens trägt, wirkt realitätsnäher als sein faktenbasierter Vorgänger; die pointierte Einbettung in Zeit und Ort scheint ebenso wichtig zu sein wie der Verlauf der Erzählung selber. Gesellschaftsbild und -kritik werden, ganz nach gallischer Tradition, in die Handlung einer Tragikomödie integriert.

Im Zentrum des Films steht der Senegalese Samba, dessen Leben aufgrund seiner Verhaftung, kurz vor Abschluss seiner Kochlehre, abrupt durcheinander gebracht wird. Als zur Ausreise Aufgeforderter versucht er fortan mit Hilfe des gesprächigen Sans-Papiers Wilson (Tahar Rahim), der sich von einer Depression erholenden Sozialarbeiterin Alice (Charlotte Gainsbourg) sowie deren Kolleginnen (Izïa Higelin, Hélène Vincent, Jacqueline Jehanneuf) seinen Alltag zu meistern.

Zusammen mit dem geselligen Wilson (Tahar Rahim, links) sucht der zur Ausreise aufgeforderte Samba (Omar Sy) in Paris nach Arbeit.
© Frenetic Films
Das assoziative Konstrukt funktioniert dann am besten, wenn Toledano und Nakache die Plot-Elemente ruhen lassen und sich auf die tägliche Routine der Immigranten Samba und Wilson konzentrieren. In diesen Szenen entsteht ein bestechend lebendiges Bild des multikulturellen Paris, welches gänzlich abseits xenophobischer Massendemonstrationen und Front-National-Parolen zu existieren scheint. Samba porträtiert Leute, welche ihren unentbehrlichen Teil zum Funktionieren der urbanen Maschinerie beitragen – welche nicht parallel zu, sondern mitten in der Gesellschaft leben. Selbst Papierlose können der französischen Bürokratie nicht entfliehen; ihre Tage drehen sich um Arbeits- und Aufenthaltsbewilligungen, um Flüchtlings- und Illegalen-Ausweise, mit denen unter der Hand so freizügig gehandelt wird, dass manch einer seinen eigenen Namen schon längst gegen ständig wechselnde Pseudonyme eingetauscht hat. Es ist ein paradoxes System, dessen Subjekte sich im bizarren Limbo zwischen Existenz und Non-Existenz befinden.

Diese Realität mit Komik zu vermitteln, ist ein heikles Unterfangen, und streckenweise wirken die komödiantischen Einschläge, wie auch die romantischen Ansätze, ein wenig forciert. Doch letzten Endes weiss Samba dank überzeugender Darbietungen – insbesondere vom wunderbar harmonierenden Duo Sy und Rahim – und hervorragend realisierter, dreidimensionaler Figuren zu gefallen. Die einzelnen Elemente greifen nicht ganz so nahtlos ineinander wie in Intouchables; dafür erweisen sich Toledano und Nakache hier als noch konkretere, schärfere Chronisten der zeitgenössischen Grande-Nation-Metropole.

★★★★

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