Donnerstag, 12. März 2015

Still Alice

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.

Das Rad erfinden Richard Glatzer und Wash Westmoreland mit ihrem Melodrama um eine an Alzheimer erkrankte Linguistikprofessorin zwar nicht neu, doch Still Alice wird dank seiner Feinfühligkeit, seiner Emotionalität und der grandiosen Schauspielleistung Julianne Moores in der Erinnerung haften bleiben.

Schon seit einigen Jahren geistert das Thema Alzheimer durch die Produktionen Hollywoods: Im dritten Akt von Barney's Version (2010) wurde der Titelheld von der schweren Demenzkrankheit ereilt; 2011 litten sowohl in der Beziehungskomödie Friends with Benefits als auch im Science-Fiction-Drama Rise of the Planet of the Apes zentrale Vaterfiguren daran. Doch zum Hauptkonflikt wurde sie bislang noch kaum je erhoben (Ausnahme: Away from Her, 2007) – zu schwierig ist es wohl, das pathologische Vergessen in eine klassische Handlung einzubetten, zu gross das Risiko, dass die Erzählung entweder ins Bevormundende oder aber ins Sentimentale abdriftet. Nun haben sich Richard Glatzer und Wash Westmoreland (The Fluffer, Quinceañera, Pedro, The Last of Robin Hood) mit einer Adaption des Romans Still Alice von Lisa Genova – einer Autorin, die sich auf Protagonisten mit neurologischen Störungen spezialisiert hat – auf das Wagnis eingelassen.

Das Resultat ist geschmackvoll und anrührend, wenn auch offenkundig ein Projekt, bei dem, ähnlich einer Dokumentation, die Thematik dem dramaturgischen Inhalt klar übergeordnet ist. Die stilsicher inszenierte Geschichte der Columbia-Dozentin Alice Howland (die oscarprämierte Julianne Moore), bei der im Alter von 50 Jahren eine seltene vererbbare Form von Alzheimer diagnostiziert wird und die sich zusammen mit ihrem Ehemann (Alec Baldwin) und ihren drei erwachsenen Kindern (Kate Bosworth, Hunter Parrish sowie die eher enttäuschende Kristen Stewart) den Herausforderungen der Erkrankung stellt, ist, bei allen erzählerischen Feinheiten, in erster Linie ein Anschauungsbeispiel – ein filmisches Vehikel, mit dem einem breiten Publikum die Realität eines Lebens unter dem Damoklesschwert einer unheilbaren Krankheit näher gebracht werden soll. (Glatzer selber lebt mit dem Nervenleiden ALS, welches unlängst im Stephen-Hawking-Biopic The Theory of Everything beleuchtet wurde.) Gewisse Dialoge – insbesondere jene, in denen Alice über die verschiedenen Symptome, Ausprägungen und Behandlungsmethoden von Alzheimer aufgeklärt wird – sind im Stil von Interviews gefilmt; wer sich noch nicht eingehend mit dem Thema auseinandergesetzt hat, wird das Kino informierter verlassen als er oder sie es betreten hat.

Bei der 50-jährigen Linguistik-Dozentin Alice Howland (Julianne Moore) wird unerwartet Alzheimer diagnostiziert – ein schwieriger Kampf gegen das Vergessen beginnt.
© Frenetic Films
Dieser Realitätsbezug gehört unzweifelhaft zu den Stärken von Still Alice; die sachliche Chronologie der schrittweisen Verschlechterung von Alices geistigen Fähigkeiten, verbunden mit überwiegend im Alltäglichen verankerten Konflikten, erweist sich – trotz einiger allzu abrupter Zeitsprünge – auch auf der emotionalen Ebene als äusserst anregend. Gerade das zentrale Anliegen des Films, Alzheimer-Kranke in jedem Fall als Individuen zu begreifen und nicht über ihren schleichenden Verlust essentiellen Wissens zu definieren, verfügt, auch dank einer bewegenden Rede Alices in der Mitte des Films, über besondere Resonanz. Hauptgrund dafür ist allerdings weniger das mit zahlreichen hölzernen Dialogen gespickte Drehbuch von Glatzer und Westmoreland als vielmehr Julianne Moore, die ihrer aussergewöhnlichen Karriere (Boogie Nights, The Big Lebowski, Magnolia, Far from Heaven, The Hours, Children of Men, Game Change, Maps to the Stars) eine weitere fulminante Darbietung hinzufügt. In einer Rolle, die eine weniger begabte Darstellerin wohl zum Chargieren verleitet hätte, brilliert sie mit der subtil sprechenden Geste, dem Mienenspiel, das mit minimalem Aufwand ein Maximum an tragischer Verzweiflung andeutet. In einem auf sein Motiv fokussierten Film sorgt Moore für die persönliche Note.

★★★

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