Donnerstag, 16. April 2015

A Most Violent Year

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.

Ist es möglich, sich den Amerikanischen Traum zu erfüllen, ohne seine Integrität zu verlieren? Kann man es sich als Geschäftsmann leisten, auf der Jagd nach Erfolg korrekt zu handeln? Diese Fragen stellt Regisseur und Autor J. C. Chandor in A Most Violent Year, einer atmosphärischen Moralfabel.

Seit bald zehn Jahren zählt New York zur Welthauptstadt der Finanzkriminalität; der Ruf der Wall Street ist spätestens seit dem Wirtschaftskollaps von 2007 und 2008 nachhaltig ruiniert. Doch es gab eine Zeit, in der die amerikanische Metropole schlechthin in erster Linie durch andere Formen der Gesetzlosigkeit für Schlagzeilen sorgte. Vor der Jahrtausendwende, vor den wegweisenden Massnahmen der Bürgermeister Rudy Giuliani und Michael Bloomberg galt der Big Apple als Inbegriff für den Zerfall der US-Grossstädte; Raubüberfälle und Morde waren abseits des touristischen Zentrums Manhattan an der Tagesordnung. Nachdem J. C. Chandor in Margin Call, seinem Regiedebüt von 2011, die Anfänge der Wall-Street-Finanzkrise beleuchtete, widmet er sich in A Most Violent Year nun dem New York im Jahr 1981, einem der blutigsten Jahre in der Geschichte der Stadt.

Physische Gewalt ist hier tatsächlich präsenter als noch in Margin Call; die Geschichte kreist um überfallene Lastwagen und den von angeheuerten Schergen ausgetragenen Konkurrenzkampf zwischen privaten Heizöl-Lieferanten. Doch Chandors Fokus liegt nach wie vor auf weniger auf der Strasse als vielmehr auf den Teppichetagen: Als Protagonist figuriert Abel Morales (der wandlungsfähige Oscar Isaac, welcher bisweilen an den jungen Robert De Niro bei Scorsese erinnert), ein lateinamerikanischer Immigrant, welcher sich mit Hilfe seiner geschäftstüchtigen Frau Anna (Jessica Chastain mit einer etwas eintönigen Darbietung) in die Chefposition hochgearbeitet hat und nun mit seinem Heizöl-Unternehmen seinen Rivalen die Platzherrschaft in New York streitig macht. Anfang 1981 steht sein neuester Coup bevor: Nach langen Verhandlungen ist es ihm und seinem Anwalt (Albert Brooks) endlich gelungen, einer Gruppe jüdischer Geschäftsleute einen strategisch wichtigen Hafen am Hudson abzuluchsen. Doch die Transaktion gerät durch eine unglückliche Verkettung von Ereignissen in Gefahr: Zunächst droht ihm die Fahrer-Gewerkschaft wegen wiederholter Angriffe auf seine Lieferwagen mit der Vertragskündigung; und dann kündigt ihm Staatsanwalt Lawrence (David Oyelowo) obendrein noch an, dass Morales' Firma wegen angeblich unlauterer Geschäftspraktiken der Prozess gemacht werden soll.

Mit tatkräftiger Unterstützung seiner Ehefrau (Jessica Chastain) hat es Abel Morales (Oscar Isaac) zu einem mächtigen Player im hart umkämpften New Yorker Heizöl-Geschäft gebracht.
© Ascot Elite Entertainment Group
Was Chandor in A Most Violent Year auf gewitzte Art und Weise vollführt, ist eine Verschmelzung zweier im Grunde separater Amerika-Bilder, die gerade im US-Kino der Siebziger- und Achtzigerjahre Hochkonjunktur hatten. Auf der einen Seite steht die historisch nachvollziehbare, wenngleich ironisch gebrochene Theorie von Sergio Leones Once Upon a Time in America oder Martin Scorseses GoodFellas, wonach die modernen Vereinigten Staaten erst durch das Wirken grossspuriger Krimineller zu wahrer Grösse fanden. Dem gegenüber stehen Filmemacher wie Francis Ford Coppola oder Sidney Lumet, die in moralistischen Tragödien wie The Godfather (Coppola), Dog Day Afternoon oder Before the Devil Knows You're Dead (beide Lumet) die psychologischen Tiefen ihrer mitunter nur widerwillig kriminellen Figuren ausloteten. Der erzählerisch zwar recht konstruiert wirkende, aber dennoch packend aufgezogene, mit stiller Intensität inszenierte A Most Violent Year, dessen Atmosphäre von Bradford Youngs pointierter Kameraführung sowie Alex Eberts sphärischem Musikscore profitiert, zeigt mit unterschwelliger Schärfe auf, wie eng der American Dream mit grossflächiger Korruption zusammenhängt, wie der Mythos der kapitalistischen Selbstverbesserung auf Kosten der sozial Schwachen aufrecht erhalten wird. Nach dem Survival-Drama All Is Lost kehrt Chandor wieder zum gesellschaftskritischen Kino zurück – das Resultat kann sich sehen lassen.

★★★★

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