Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.
Weltpolitisch war die deutsche Wiedervereinigung von unermesslicher Bedeutsamkeit. Dass eingerissene Mauern und neu gezogene Grenzen aber nur bedingten Einfluss auf Identitäten und Konflikte haben, das zeigt Andreas Dresen im fiebertraumartigen Coming-of-Age-Film Als wir träumten.
Es liesse sich lange darüber referieren, wie in diesem Film die DDR und die geeinte Bundesrepublik visuell gekennzeichnet werden. Sind die Bilder vom Leipzig der frühen Neunzigerjahre, wo die jugendlichen Protagonisten Dani (Merlin Rose), Rico (Julius Nitschkoff), Mark (der Zürcher Joel Basman), Paul (Frederic Haselon) und Pitbull (Marcel Heuperman) unter Alkoholeinfluss allerlei Unfug treiben, ausnahmslos körnig, grau, düster und trist, fällt die Darstellung ihrer Kindheit im "real existierenden Sozialismus" geradezu idyllisch aus. Man wähnt sich in Leander Haußmanns heiter-apolitischer Militärfarce NVA, wenn Klein-Dani und Co als sozialistische "Pioniere" bei einer Übung für den Ernstfall der kapitalistischen Invasion als verschiedenartige Opfer herhalten müssen – die Welt ist bunt, die bröselnden Plattenbauten heimelig, das vermeintliche Erbe von Marx, Engels und Lenin wird auch wenige Monate vor dem Mauerfall noch hoch gehalten.
Man könnte dieser kontrastierenden Inszenierung blauäugige Ostalgie seitens von Andreas Dresen vorwerfen, doch dem Regisseur von Nachtgestalten, Halbe Treppe, Sommer vorm Balkon, Wolke 9 und Halt auf freier Strecke ist in Als wir träumten offenkundig an einer Art Zeitbild gelegen, welches sich von jedwedem Bezug zum politischen Weltgeschehen distanziert. Der 9. November 1989 wird weder gezeigt noch erwähnt; verweilt die Kamera einmal auf einem der vereinzelt im Hintergrund zu sehenden Fernsehbildschirme, dann läuft dort nicht die Tagesschau, sondern der Musikantenstadl oder allenfalls ein Boxkampf; am Kiosk wird der Kicker prominenter in Szene gesetzt als der Spiegel. Was Dresen hier kontrastiert, ist nicht DDR und BRD – es ist die optimistische Hoffnung der Kindheit und der sich als Rebellion gerierende Stillstand der Adoleszenz.
Was den Film letzten Endes aber an wahrer Grösse hindert, ist Wolfgang Kohlhaases bestenfalls durchschnittliches Drehbuch, insbesondere die Dialoge, die mit ihren prosaischen Deklamationen Dresens Realismus immer wieder zu brechen drohen. Obschon seit nunmehr 60 Jahren ein arrivierter Drehbuchautor (Berlin – Ecke Schönhauser..., Der Fall Gleiwitz, Ich war neunzehn, Die Grünstein-Variante), schafft es Kohlhaase, 84, nicht, sich gänzlich überzeugend in die Sprache von 16-Jährigen hineinzufühlen. Entsprechend ist es im Grunde spannender, über Als wir träumten nachzudenken als ihn effektiv zu sehen.
★★★
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