Donnerstag, 28. Mai 2015

A Little Chaos

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.

Nach 17 Jahren Pause kehrt der Charakterdarsteller Alan Rickman (Die Hard, Harry Potter) auf den Regiestuhl zurück. Auf das Sozialdrama The Winter Guest lässt er mit A Little Chaos einen leichtgewichtigen Kostümfilm folgen, der einen wohlwollenden Blick auf die Vorgänge am Hof Ludwigs XIV. wirft.

1682 ist die Welt für die französischen Adelsgeschlechter noch in bester Ordnung: Die Feudalhierarchie macht sie, gut hundert Jahre vor der Revolution, zur unangefochtenen Elite eines der mächtigsten Staaten der Welt; im royalen Château de Fontainebleau herrschen Prunk, Pomp und stattliche Perücken; in Versailles plant Sonnenkönig Louis XIV (Rickman mit einer buchstäblich majestätischen Darbietung) die prachtvollste und ausladendste Palastanlage aller Zeiten. Zuständig für die Gestaltung der weitläufigen Gartenanlagen in diesem Paradies auf Erden ist André Le Nôtre (Matthias Schoenaerts), der die etwas unorthodoxe Landschaftsarchitektin Sabine De Barra (Kate Winslet) damit beauftragt, ihn bei der Konstruktion eines Freiluft-Ballsaals zu assistieren.

Sonderlich tief vermögen die Konflikte, die sich während dieser Bauarbeiten entfalten, nicht zu greifen. De Barra und Le Nôtre verlieben sich standesgemäss (und unnötigerweise) ineinander – dass der historische Le Nôtre 1682 bereits 70-jährig war, wird geflissentlich ignoriert –, was Andrés tyrannischer Ehefrau (Helen McCrory) sauer aufstösst; in Louis' Hofstaat, dem auch sein Bruder Philippe (der wunderbare Stanley Tucci) angehört, kursieren Gerüchte über die neuesten Liebschaften des Königs; derweil Sabine den Tod ihrer Tochter und ihres Mannes noch immer nicht verarbeitet hat.

In seinen besten Momenten eifert A Little Chaos mit seiner detailreichen Ausstattung und vorzüglichen Kostümen Mike Leighs grossartigem Mr. Turner nach, dem es im vergangenen Jahr so hervorragend gelang, das frühviktorianische England zum Leben erwachen zu lassen. In diesen Szenen erfüllt der Film sein Versprechen, den Zuschauer an den Hof des Roi-Soleil zu entführen, mühelos – trotz der englischen Dialoge –, wodurch auch die fast gänzliche Abwesenheit nicht-adliger Figuren gerechtfertigt wirkt. Gerade die intime Behandlung von Louis und seiner zärtlich herausgearbeiteten Melancholie zeugen vom grossen Potenzial, das in diesem Projekt steckte. Doch während sich bei Leigh die realen und fiktionalisierten Anekdoten aus dem Leben des Malers J. M. W. Turner aus der dargestellten Zeitperiode ergaben, bleibt diese bei Rickman stets blosse Kulisse. Den Romanzen und Intrigen, die sich davor abspielen, fehlt die Spezifität, um wahrhaftig zu begeistern – die austauschbare Narration bricht die Illusion der Schauwerte.

Landschaftsarchitektin Sabine De Barra (Kate Winslet, 4. v. l.) kreiert einen Freiluft-Ballsaal für den Sonnenkönig Louis XIV. (Alan Rickman, Mitte).
© Ascot Elite Entertainment Group
Ohnehin stellt Allison Deegans Skript den wunden Punkt des Historienfilms dar. Figuren wie De Barras Bauhelfer Duras (Steven Waddington) verschwinden plötzlich von der Bildfläche; signifikante Entwicklungen von Handlungssträngen scheinen abseits der Leinwand stattzufinden. Die Überschneidung von Liebesgeschichte, historischem Drama und exzentrischer Komödie, obschon definitiv im Einklang mit dem Titel, wirkt in den seltensten Fällen angebracht; die Witze über furzende Königskinder haben etwas peinlich Berührendes an sich. Darüber hinaus ist die ganze Angelegenheit zu unerheblich, zu wenig dringlich, zu frei von wirklich fesselnden Protagonisten, um seiner zweistündigen Laufzeit gerecht zu werden. Insofern ist auch Rickmans Leistung als Regisseur für den begrenzten Eindruck, den sein durchaus vergnüglicher Film hinterlässt, verantwortlich zu machen. Beweist er an manchen Stellen grosses Fingerspitzengefühl und einen ausgeprägten Sinn fürs Detail – etwa als eine kleine Spinne die perfekte Fassade von Louis' Antlitz trübt –, ist seine Inszenierung anderswo zu statisch, um den Mängeln von Deegans wenig stringentem Narrativ erfolgreich entgegenzuwirken. Man kann es André Le Nôtre nachfühlen, wenn er sagt: "Chaos ist gut. Aber bitte mit System."

★★★

Donnerstag, 21. Mai 2015

Pepe Mujica – El presidente

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.

Im März endete die Präsidentschaft des Uruguayers José Mujica, des "ärmsten Präsidenten der Welt". In Heidi Specognas intimem Porträt Pepe Mujica – El presidente zeigt sich der 80-Jährige als visionärer Idealist, dessen unkonventioneller Stil einem ganzen Kontinent als Vorbild dienen könnte.

Auch gut 25 Jahre, nachdem in Südamerika die letzte faschistische Militärdiktatur gefallen ist, tun sich viele Staaten schwer damit, eine egalitäre Demokratie der breiten Partizipation aufrechtzuerhalten. Diverse selbsternannt "sozialistische" Regierungen pflegen keine zukunftsorientierten Kurse, sondern verfolgen eine dogmatische Machtpolitik. In Bolivien stösst Evo Morales die Opposition mit einer dritten Amtszeit vor den Kopf; Brasilien wird von anhaltenden Skandalen rund um Dilma Rousseffs Kabinett in Atem gehalten. In Venezuela setzt Nicolás Maduro den Radikalismus von Hugo Chávez fort, dessen Krebskrankheit, so die Meinung in Caracas, von Barack Obama in Auftrag gegeben worden sein soll; derweil die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner in stundenlangen Ansprachen diejenigen, die sie nicht gewählt haben, regelmässig als "Gorillas" bezeichnet.

Und wie sieht es in Uruguay aus, dem kleinen Land zwischen Brasilien und Argentinien, welches immer wieder gerne als "die Schweiz Südamerikas" bezeichnet wird? Dort regiert die Frente Amplio, ein Bündnis linksgerichteter Parteien, dem auch das Movimiento de Participación Popular angehört, die Partei von José Mujica und seiner Frau, der Senatorin Lucía Topolansky, die Mujica 2011 den Amtseid abnehmen durfte und die Heidi Specognas primäre Ansprechpartnerin in Sachen Politik ist, während ihr Ehemann sein Amt lieber vom philosophischen Standpunkt aus betrachtet. Die spaltende Rhetorik von de Kirchner und Maduro sucht man im palastartigen Parlament von Montevideo vergeblich. Im Gegenteil: "Wir müssen auch auf ihn hören, denn es gibt auch Leute, die ihn gewählt haben, selbst wenn ich mit ihnen nicht einverstanden bin", sagt Topolansky über den neoliberalen Oppositionellen Pedro Bordaberry, den Sohn von Juan María Bordaberry, welcher in den Siebzigerjahren der faschistisch geprägten Diktatur Uruguays vorstand. Und auch Bordaberry Junior weiss um die Wichtigkeit politischer Stabilität: "Ich unterstütze den Präsidenten, weil mein Land ihn gewählt hat und ich meinem Land dienen will."

"Ich bin ein Erdklumpen mit Füssen": Die eigenwillige sozialistische Politik von José Mujica, uruguayischer Präsident von 2011 bis 2015, sorgte weltweit für positive Schlagzeilen.
© filmcoopi
Dass in Uruguay mehr oder minder ideale Verhältnisse für konstruktives Regieren herrschen, ist nicht das Verdienst Mujicas, das macht El presidente klar. Die Vorreiterrolle, die das Land in Lateinamerika spielt, geht weiter zurück als 2011. Doch Mujica, den die Kamera zu diversen offiziellen Anlässen begleitet, steht sinnbildlich für die positive Entwicklung seit dem Ende von Bordaberrys Junta. Aufnahmen aus dem Jahr 1997 zeigen einen nachdenklichen Mann, der seine Vergangenheit noch immer nicht vollständig verarbeitet hat – als militanter Widerstandskämpfer gegen die Faschisten verbrachte Mujica insgesamt 13 Jahre im Gefängnis, wo physische und psychische Folterungen an der Tagesordnung waren –, seinen Blick aber in die Zukunft gerichtet hat.

2012 und 2013 stattete ihm Heidi Specogna erneut einen Besuch ab: Hier macht das Publikum Bekanntschaft mit "El viejo Pepe", wie ihn seine Genossen gerne nennen – einem milde lächelnden älteren Herrn, der sich selber als "Erdklumpen mit Füssen" bezeichnet und der, obschon mit sich mittlerweile im Reinen, nach wie vor erfüllt ist von seiner antikapitalistischen Ideologie. Der Film, voll und ganz fokussiert auf die einnehmende Persona Mujicas, ist durchsetzt von den verblüffenden und fesselnden Reden eines bescheidenen Visionärs – Emir Kusturica sieht in ihm "den letzten Helden der Politik" –, der es hervorragend verstanden hat, Uruguays ideale politische Voraussetzungen in einen funktionierenden, pragmatischen Sozialismus zu verwandeln. So steht am Ende dieser erhebenden, wenn auch etwas brav inszenierten Dokumentation über den Ex-Guerillero, der seinen Hof ausserhalb von Montevideo der Präsidentenvilla vorzieht und einen Grossteil seines Einkommens spendet, die Moral, dass gerade im Zeitalter des grassierenden Zynismus Werte wie Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Idealismus hoch gehalten werden müssen.

★★★★

Samstag, 16. Mai 2015

Big Eyes

"Subtle doesn't sell", sagt der fiktive Klatschreporter Dick Nolan (Danny Huston) in Big Eyes – ein Satz, den man als wiederkehrendes Motto in der Karriere von Regisseur Tim Burton bezeichnen könnte. Obschon ein unbestrittener Meister sowohl des "Gotischen" und Makaberen als auch berührender Aussenseiter-Geschichten, ist Subtilität, vorab in seinen Realspielfilmen, oft kein primäres Werkzeug Burtons. Big Fish ist ein kleines Meisterwerk, macht jedoch keinen Hehl aus seiner bezaubernden, aber gross angelegten Emotionalität; in Filmen wie Mars Attacks!, Charlie and the Chocolate Factory, Alice in Wonderland und Dark Shadows frönt Burton der kunterbunten Camp-Ästhetik. Getragener, weniger überhöht zu und her geht es an unerwarteten Orten – in der Comicadaption Batman etwa, in Ed Wood, einer Verneigung vor dem Trash, sowie in animierten Werken wie Corpse Bride oder Frankenweenie.

Insofern hat Dick Nolans Äusserung – Teil einer Beschreibung von Walter Keane (Christoph Waltz), der in den frühen Sechzigerjahren die weltweit begehrten, von seiner Ehefrau Margaret (hervorragend: Amy Adams) gemalten Gemälde grossäugiger Kinder unter seinem Namen verkaufte – etwas Ironisches, da Big Eyes, trotz eines allzu theatralisch aufspielenden, Fratzen schneidenden Christoph Waltz, zu den subtileren Einträgen in Burtons Filmografie zu zählen ist. Wie in Edward Scissorhands setzt der Regisseur und Keane-Sammler Burton seinem Publikum eine auf den ersten Blick bildhübsche Welt vor, ein farbenprächtiges, scheinbar paradiesisches Bilderbuch-Boom-Amerika – eingefangen vom ansonsten für seine entsättigten Aufnahmen bekannten Kameramann Bruno Delbonnel (Harry Potter and the Half-Blood Prince, Inside Llewyn Davis) –, unter dessen Oberfläche sich allerdings schreckliche menschliche Abgründe öffnen.

Lieblich, aber unterschwellig bedrohlich – dieses Gefühl hinterlassen nicht nur Delbonnels Bildgestaltung und die Musikuntermalung des langjährigen Burton-Kollaborateurs Danny Elfman, der hier seine besten Kompositionen seit Jahren vorlegt. Die wahre Geschichte von Margaret Keanes langem Kampf um Anerkennung verrät viel über die Verhältnisse der Geschlechter und die gefährlichen Dynamiken hinter der Fassade des hoch anständigen Bürgertums. Dass Burton, vielleicht zum ersten Mal, an einem explizit feministischen Punkt ansetzt, suggeriert bereits die erste Linie des Films: "The 1950s were great – if you were a man". Entsprechend liegt der Fokus auf Margarets Eigeninitiative, ihrer hart erstrittenen Emanzipation von ihrem stetig tyrannischer werdenden Mann, den lautstarken Einwänden von Gesellschaft, Kirche und sogar ihrem eigenen Sinn für Loyalität zum Trotz.

Das Malen grossäugiger Kinder ist die Leidenschaft von Margaret Keane (Amy Adams). Ihre Werke werden weltberühmt – allerdings nicht unter Margarets Namen.
© Ascot Elite Entertainment Group
Was Big Eyes aber subtiler als einen Sleepy Hollow oder einen Sweeney Todd sein lässt, ist, nebst seiner Darstellung scheinheiliger Paradiese, sein Umgang mit den Keane-Figuren. So stellt zwar Margaret die offensichtliche Heldin des Stücks, verfügt ausser einem guten Herzen, einem intakten Moralverständnis und einer künstlerischen Gabe aber auch über eine fatale Leichtgläubigkeit, die sie nicht nur in die Arme zweier herrischer Männer (Walter und ihr ungesehener erster Gatte), sondern auch zu den Zeugen Jehovas treibt. Unter deren Einfluss erlangt sie zwar ihr Selbstwertgefühl wieder, doch die strikten Regeln, welche sie ihrer pubertierenden Tochter Jane (die unterdurchschnittliche Madeleine Arthur) im religiösen Eifer auferlegt, erinnern fatal an den Kontrollwahn ihrer beiden Ex-Angetrauten.

Walter wäre ein ähnlich dreidimensionales – und damit lebendiges – Produkt wie Margaret, wenn Waltz sich in seiner Darbietung nicht allzu oft im Ton vergreifen würde. Mister Keane mag in erster Linie als raffinierter Plagiator und Tyrann inszeniert werden, doch in diversen Szenen wirkt er ebenso als letztlich tragische Figur, als gescheiterte Existenz – ein begabter Geschäftsmann, der um jeden Preis ein Künstler sein will und in seinem Wahn Andy Warhols "Factory"-Kunstkonzept als seine Erfindung beansprucht und den Kritiker John Canaday (Terence Stamp) ausgerechnet als frustrierten Möchtegern-Schöpfer von Kunst beschimpft. Diese Interpretation des Charakters ergibt sich aus dem guten, aber wohl eine Spur zu ausladend geratenen Drehbuch von Scott Alexander und Larry Karaszewski (das Duo hinter Ed Wood), dem Waltz leider nicht vollumfänglich gerecht wird. Ihm fehlt die nötige Tiefe, die geforderte Finesse, um Walter als glaubwürdigen Charmeur erscheinen zu lassen; sein Lachen ist nicht das eines geschickten Blenders, sondern das verstörend gequälte Zähnefletschen eines notorischen Scharlatans.

Margarets zweiter Ehemann Walter (Christoph Waltz) gründet mit Hilfe ihrer Bilder ein Merchandising-Imperium. Die Ehre beansprucht er für sich allein.
© Ascot Elite Entertainment Group
Man kann dies auf den feministischen Subtext zurückführen – in einer sexistisch geprägten und strukturierten Gesellschaft findet selbst jemand wie ein ausgewiesener Trickbetrüger und Hochstapler noch vor einer begnadeten Künstlerin zum Erfolg –, doch Waltz ist und bleibt ein Fremdkörper im Film, wenn auch ein zugegebenermassen recht unterhaltsamer. Er bildet so etwas wie eine Brücke zwischen Camp- und Drama-Burton. Big Eyes ist kein Edward Scissorhands, kein Ed Wood und auch kein Big Fish, doch er zeigt, dass mit Burtons Kreativität – tot gesagt nach einer Reihe unterschiedlich beliebter (und gelungener) Adaptionen – nach wie vor zu rechnen ist.

★★★★

Donnerstag, 14. Mai 2015

The Water Diviner

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.

Schauspiel-Star Russell Crowe feiert mit dem auf wahren Begebenheiten beruhenden historischen Drama The Water Diviner sein Debüt als Regisseur. In Erinnerung bleibt aber weniger seine recht gewöhnliche Inszenierung als die Leistung des kürzlich verstorbenen Kameramannes Andrew Lesnie.

Lesnie, welcher am 27. April 2015 einem Herzinfarkt erlag, wird, womöglich zu Unrecht, als Sparten-Kameramann in die Annalen des Kinos eigehen; als sein grösster Erfolg gilt seine Zusammenarbeit mit Peter Jackson an der The Lord of the Rings- sowie der The Hobbit-Trilogie. Dass er aber auch ausserhalb des Fantasy-Genres über ein herausragendes Talent verfügte, zeigten in der Vergangenheit Filme wie Babe, The Lovely Bones oder Rise of the Planet of the Apes und wird nun in The Water Diviner noch einmal eindrücklich bestätigt. Es sind Lesnies Bilder, die den Zuschauer für die Unsicherheiten in Crowes Inszenierung entschädigen. Ob im australischen Outback oder an der türkischen Mittelmeerküste, Lesnies wunderschöne Kompositionen in vollendeten, üppigen, satte Farben, machen den Film zu einem Grossleinwand-Erlebnis sondergleichen und sind ein wesentlicher Grund dafür, dass das Eintauchen in die konventionell vorgetragene Geschichte überhaupt nicht schwer fällt.

Vor dem Hintergrund des gescheiterten britisch-französischen Gallipoli-Feldzugs während des Ersten Weltkriegs präsentieren Crowe und die Drehbuchautoren Andrew Anastasios und Andrew Knight eine Handlung irgendwo zwischen The Impossible, War Horse und Night Train to Lisbon. Nach dem Tod seiner Frau (Jacqueline McKenzie) reist der australische Farmer Joshua Connor (Crowe in guter Form) in die Türkei, um ein Versprechen an sie einzuhalten: In Gallipoli will er die Überreste seiner vier Jahre zuvor dort gefallenen Söhne (Ryan Corr, James Fraser, Ben O'Toole) finden und nach Hause zu bringen. Doch im dem Untergang geweihten osmanischen Reich, welches sich noch immer im Krieg mit Griechenland befindet, stösst er zunächst nur auf sture britische Militär-Bürokraten und anglophobe Kemalisten. Einzig die Hotelbesitzerin Ayshe (Olga Kurylenko) und Major Hasan (Yılmaz Erdoğan setzt das schauspielerische Glanzlicht des Films), gegen dessen Soldaten die Connor-Sprösslinge 1915 kämpften, bieten Joshua ihre Hilfe an.

Im Nachkriegschaos der Türkei versucht der australische Farmer Joshua Connor (Russell Crowe), die sterblichen Überreste seiner in Gallipoli gefallenen Söhne zu finden.
© Universal Pictures Switzerland
Sonderlich subtil geht Crowe mit seinem Stoff nicht um. Immer wieder ersetzt David Hirschfelders Musik die organische Entwicklung tatsächlicher Emotionen. Erkenntnisse finden zweckdienlich in Traum- und Erinnerungsbildern statt; und selbst Lesnie verfällt bei der Darstellung Istanbuls oft einer allzu orientalisch-romantisierten Sepia-Ästhetik. Auch in seiner Auswahl historischer Ereignisse trifft The Water Diviner einige problematische Entscheidungen: So werden unter Crowes Regie die griechischen Aggressoren zu bärtigen, vernarbten, brandschatzenden Barbarenhorden; derweil jede Erwähnung des türkischen Völkermordes an den Armeniern tunlichst vermieden wird. Zwar hat der Film keine moralische Verpflichtung, diese Seite der osmanischen Kriegsführung zu beleuchten – gerade weil sich der Genozid abseits der Dardanellen-Schlachtfelder abspielte –, doch mit diesem unmissverständlich anklagenden Griechen-Bild manövrieren sich Crowe, Anastasios und Knight in einen nicht einfach zu ignorierenden Erklärungsnotstand.

Schlussendlich ist der Film aber zu apolitisch – und wahrscheinlich auch zu ahistorisch –, um von derartigen Unsorgfältigkeiten nachhaltig unterminiert zu werden. Es sind Misstöne in einem beschaulichen, gut gemeinten Ganzen, das sich, seinen zahlreichen Zwischentiteln nach zu urteilen, geriert, als hätte es etwas Substanzielles über den Grossen Krieg zu sagen, dessen Umfang aber niemals einzufangen vermag und letztlich kaum über gefälliges historisches Erzählkino hinauskommt.

★★

Freitag, 8. Mai 2015

Avengers: Age of Ultron

Es wird düster im Leinwand-Universum von Marvel Comics. Der Kurzauftritt von Erz-Bösewicht Thanos (Josh Brolin) im Abspann von The Avengers (2012) liess den Beginn einer Ära erahnen, in der selbst Superhelden wie Iron Man (Robert Downey Jr.), Captain America (Chris Evans), Thor (Chris Hemsworth) oder der Hulk (Mark Ruffalo) am Ende eines Films nicht mehr für vollumfängliche Ordnung zu sorgen vermögen, in der die Sicherheit gewisser sekundärer Protagonisten wie Hawkeye (Jeremy Renner) oder Black Widow (Scarlett Johansson) nicht mehr gewährleistet ist. Die angekündigten Marvel-Titel verheissen eine kriegerische Zukunft für die Avengers-Franchisen: 2016 steht dem Publikum Captain America: Civil War ins Haus; Thors drittes Abenteuer, welches 2017 in die Kinos kommen soll, heisst Ragnarök, nach der nordischen Apokalypse; der auf zwei Filme aufgeteilte dritte Avengers-Teil (2018/2019) trägt den sprechenden Titel Infinity War.

Diese schwelende Düsternis ist Programm in Age of Ultron – Joss Whedons Fortsetzung zu seinem eigenen The Avengers und aller Voraussicht nach seine letzte Arbeit unter dem Marvel-Banner (für Infinity War wurden Anthony und Joe Russo als Regisseure verpflichtet) –, dem insgesamt elften Eintrag ins "Marvel Cinematic Universe". Nachdem sich in Iron Man 3, Thor: The Dark World und Captain America: The Winter Soldier – womöglich der bislang beste Film im MCU – bereits Selbstzweifel und Paranoia in die scheinbar so simple Welt der maskierten Rächer eingeschlichen haben, erreicht die Verunsicherung in Age of Ultron einen neuen Höhepunkt.

Dass sich Marvels bunte Helden nun einer ernsthafteren Bedrohung als üblich ausgesetzt sehen, wird hier versinnbildlicht durch den Titel gebenden Schurken: Ultron (der ausgezeichnete James Spader) kündigt sich mit verzerrt vorgetragenen Darbietungen des Songs "I've Got No Strings" aus Disneys Pinocchio an. Es handelt sich bei ihm um ein von Tony Stark (Iron Man) und Bruce Banner (Hulk) entwickeltes Computerprogramm, dessen Aufgabe es ist, die Welt vor Krieg und Verderben zu beschützen. Doch Ultrons Interpretation seines Auftrags bringt ihn dazu, die Menschheit ausrotten zu wollen – sind es doch die Menschen, welche für den Grossteil der Konflikte auf der Erde verantwortlich sind.

Die Avengers – v. l.: Hulk (Mark Ruffalo), Captain America (Chris Evans), Thor (Chris Hemsworth), Iron Man (Robert Downey Jr.), Black Widow (Scarlett Johansson) und Hawkeye (Jeremy Renner) – sind wieder vereint.
© Marvel Studios
Die Verhältnisse im MCU haben sich endgültig verschoben: Erzählten Filme wie Captain America: The First Avenger oder The Avengers noch von Angriffen von aussen – Nazis, Aliens, göttliche Doppelagenten –, sind eindeutige Identifikationen von Gut und Böse spätestens seit The Dark World passé. Bis ungefähr 2012 widerspiegelten Marvels Kinoproduktionen den Schatten von 9/11, die anhaltende Furcht vor einer fremden Bedrohung, der nur in geschlossener Eintracht Einhalt geboten werden kann. Mittlerweile jedoch scheinen die zahllosen Enthüllungen rund um die Spionage der NSA die Fantasie der Hollywood-Autoren und Filmemacher beflügelt zu haben. In The Winter Soldier stand die Unterwanderung des Avengers-Geheimdienstes S.H.I.E.L.D. im Zentrum; derweil Ultron selber als Bösewicht gewordene NSA gelesen werden kann. Ins Leben gerufen, um die Welt mit seinem grenzenlosen Wissen zu schützen, wendet er sich gegen seine Erschaffer. Whedon, bekannt für den scharfen Subtext seiner Genrefilme (The Cabin in the Woods, Much Ado About Nothing) und -serien (Buffy the Vampire Slayer, Firefly, Dollhouse), lässt die in den vergangenen zwei Jahren oft geäusserten Bedenken über das Risiko kaum regulierter Überwachung äusserst perzeptiv in sein Drehbuch einfliessen.

Der als Friedenswächter programmierte Ultron (James Spader) versucht, die Menschheit auszulöschen.
© Marvel Studios
Allerdings ist und bleibt Age of Ultron letztlich ein Blockbuster, dessen thematische Reichweite nach etwa einem Drittel der Laufzeit ihren Höhepunkt erreicht und sich in der Folge überwiegend am typischen Marvel-Schema orientiert. (Zum Vergleich: The Winter Soldier ergab sich erst im letzten Akt der Konvention.) Doch hier bestätigt sich Whedons Ruf als Genre-Experte. Auch nachdem die ethischen Diskussionen zwischen Stark, Banner und Steve Rogers (Captain America) den ausgedehnten Action-Nummern gewichen sind, bleibt der Film nicht nur hochgradig unterhaltsam, sondern auch emotional durchaus ansprechend – sofern man mit den Figuren einigermassen vertraut ist. Inzwischen ist das MCU nämlich an einem Punkt angelangt, an dem man sich ohne eine gewisse Dosis Vorwissen über die Hintergründe der verschiedenen Hauptcharaktere – zu denen mit Quicksilver (Aaron Taylor-Johnson) und Scarlet Witch (Elizabeth Olson) zwei Neulinge hinzugefügt werden – schnell verloren fühlen kann.

Für den treuen Anhänger des cineastischen Marvel-Kanons aber darf der äusserst atmosphärische zweite Avengers-Teil als Erfolg bezeichnet werden. Zwar hinterlässt er weniger tiefe Spuren als sein Vorgänger – auch auf Grund dessen erhebender Klimax, während hier zum Schluss die Samen des bevorstehenden (Bürger-)Kriegs gesät werden –, doch auch Age of Ultron begeistert mit berauschenden Spezialeffekten, einem feinen Sinn für Humor sowie einer neu gefundenen Umsicht – wie in Guardians of the Galaxy dreht sich der Schlussakt mindestens ebenso sehr um die Rettung unschuldiger Passanten wie um die Zerstörung von Ultrons Roboter-Armee. Es ist ein Film des stilistischen wie auch thematischen Übergangs – und diese undankbare Aufgabe erfüllt er mit Bravour.

★★★★

Donnerstag, 7. Mai 2015

Get Hard

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.

Schwelender Rassismus und Einkommensschere sind zwei Themen, die im anstehenden US-Präsidentschaftswahlkampf dominieren werden. Get Hard streift diese zwar, doch es fehlt der Mut zur Subversion. So sind es die beiden beherzten Hauptdarsteller, welche die Komödie letztlich vor der Langeweile bewahren.

Was, wenn sich die amerikanische Justiz im Umgang mit den illegalen Machenschaften der Hochfinanz ähnlich streng zeigen würde wie bei der Verurteilung wegen gewisser "minderer" Delikte? Diese Frage bildet die Prämisse für Get Hard, das Regiedebüt des Drehbuchautors Etan Cohen (Idiocracy, Tropic Thunder, Men in Black 3): James King (Will Ferrell), ein dümmlicher, aber schwer reicher Hedgefonds-Manager, wird wegen Betrugs zu zehn Jahren Haft im berüchtigten Gefängnis von San Quentin verurteilt. Verzweifelt bittet er seinen Autowäscher Darnell Lewis (Kevin Hart) darum, ihm in den 30 Tagen, bevor er seine Strafe antreten muss, beizubringen, wie er hinter Gittern überleben kann – denn als Afroamerikaner war Darnell ja bestimmt schon im Kittchen, oder? Nein, im Gegenteil: Darnell ist durch und durch Musterbürger; in seiner Akte ist noch nicht einmal eine Parkbusse vermerkt. Sein grösster Traum ist es, mit seiner Frau Rita (Edwina Findley) und seiner Tochter Makayla (Ariana Neal) in eine bessere Nachbarschaft zu ziehen. Doch für die 30'000 Dollar, die James ihm für seine Dienste anbietet, ist er gewillt, die Rolle des harten Ex-Knackis zu spielen und den naiven Millionär auf Gefängnistumulte, aggressive Gangs und Knast-Slang vorzubereiten.

Vereinzelt blitzt in Get Hard so etwas wie Satire oder gewitzte Verfremdung auf – Szenen, die humoristisch zwar nicht immer ins Schwarze treffen, aber bei denen immerhin so etwas wie Aktualitätsbezug oder eine subversive Dimension festzustellen ist. Das erste Treffen von James und Darnell gehört dazu – ein panischer James hupt wie wild um Hilfe, im Glauben, er werde überfallen –, James' Besuch in einem Neonazi-Club, ebenso seine Integration in die schwarze Gang-Kultur von Crenshaw, Los Angeles. Hier scheint der Film einer durchaus zeitgemässen Verballhornung der ethnischen Gräben Amerikas auf der Spur zu sein, und das Bild von James, der mit Darnells kriminellem Cousin (Rapper T.I.) und dessen Clique über Investment debattiert, während auf einem Fernseher im Hintergrund Bloomberg läuft, hat etwas anrührend Absurdes.

Der zu einer langen Haftstrafe verurteilte Multimillionär James King (Will Ferrell, links) hält den Musterbürger Darnell (Kevin Hart) für einen Knastbruder, von dem er die Tricks des Gefängnisalltags lernen kann.
© 2015 Warner Bros. Ent.
Doch Cohen und seinen Mitautoren Ian Roberts und Jay Martel fehlt der Mut – oder der Wille – zur Schärfe; wohl aus Sorge um die Box-Office-Chancen des Projekts verzichten sie auf beinahe jegliche Form von echter Provokation. Das Hauptgebot in Get Hard ist Harmonie; die Moral, obschon eine an sich löbliche Absage an Schubladisierung und Vorurteile, wirkt eher wie eine Bekräftigung des Status quo. James wäre kein massentauglicher Protagonist, wenn er nicht zu Unrecht verurteilt worden wäre; die Arbeiterklasse, vertreten durch das Personal von James' Villa, wird implizit als kleinlich und undankbar dargestellt; ein beträchtlicher Teil des Humors speist sich aus etablierten Stereotypen.

Die unselige Aufgabe, dieses ideologische Durcheinander unterhaltsam zu gestalten, bleibt letztendlich an Kevin Hart und Will Ferrell hängen. Das Duo schlägt sich wacker; immer wieder ist es ihr komödiantisches Timing allein, das einer eigentlich durchschnittlichen Pointe zum Erfolg verhilft. (Nicht viele könnten den Plan, Blackface zu tragen, sachlicher klingen lassen als Ferrell.) Durch sie erhält der schwach geschriebene Get Hard zumindest ein Fünkchen Energie; Hart und Ferrell überspielen die thematische Problematik der lasch vorgetragenen Handlung. Doch sie bleiben gefangen in einem Film der sich seine Anlehnungen an afroamerikanische Film-Meilensteine wie Do the Right Thing und Boyz n the Hood beim besten Willen nicht verdient hat.

★★