Donnerstag, 28. Mai 2015

A Little Chaos

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.

Nach 17 Jahren Pause kehrt der Charakterdarsteller Alan Rickman (Die Hard, Harry Potter) auf den Regiestuhl zurück. Auf das Sozialdrama The Winter Guest lässt er mit A Little Chaos einen leichtgewichtigen Kostümfilm folgen, der einen wohlwollenden Blick auf die Vorgänge am Hof Ludwigs XIV. wirft.

1682 ist die Welt für die französischen Adelsgeschlechter noch in bester Ordnung: Die Feudalhierarchie macht sie, gut hundert Jahre vor der Revolution, zur unangefochtenen Elite eines der mächtigsten Staaten der Welt; im royalen Château de Fontainebleau herrschen Prunk, Pomp und stattliche Perücken; in Versailles plant Sonnenkönig Louis XIV (Rickman mit einer buchstäblich majestätischen Darbietung) die prachtvollste und ausladendste Palastanlage aller Zeiten. Zuständig für die Gestaltung der weitläufigen Gartenanlagen in diesem Paradies auf Erden ist André Le Nôtre (Matthias Schoenaerts), der die etwas unorthodoxe Landschaftsarchitektin Sabine De Barra (Kate Winslet) damit beauftragt, ihn bei der Konstruktion eines Freiluft-Ballsaals zu assistieren.

Sonderlich tief vermögen die Konflikte, die sich während dieser Bauarbeiten entfalten, nicht zu greifen. De Barra und Le Nôtre verlieben sich standesgemäss (und unnötigerweise) ineinander – dass der historische Le Nôtre 1682 bereits 70-jährig war, wird geflissentlich ignoriert –, was Andrés tyrannischer Ehefrau (Helen McCrory) sauer aufstösst; in Louis' Hofstaat, dem auch sein Bruder Philippe (der wunderbare Stanley Tucci) angehört, kursieren Gerüchte über die neuesten Liebschaften des Königs; derweil Sabine den Tod ihrer Tochter und ihres Mannes noch immer nicht verarbeitet hat.

In seinen besten Momenten eifert A Little Chaos mit seiner detailreichen Ausstattung und vorzüglichen Kostümen Mike Leighs grossartigem Mr. Turner nach, dem es im vergangenen Jahr so hervorragend gelang, das frühviktorianische England zum Leben erwachen zu lassen. In diesen Szenen erfüllt der Film sein Versprechen, den Zuschauer an den Hof des Roi-Soleil zu entführen, mühelos – trotz der englischen Dialoge –, wodurch auch die fast gänzliche Abwesenheit nicht-adliger Figuren gerechtfertigt wirkt. Gerade die intime Behandlung von Louis und seiner zärtlich herausgearbeiteten Melancholie zeugen vom grossen Potenzial, das in diesem Projekt steckte. Doch während sich bei Leigh die realen und fiktionalisierten Anekdoten aus dem Leben des Malers J. M. W. Turner aus der dargestellten Zeitperiode ergaben, bleibt diese bei Rickman stets blosse Kulisse. Den Romanzen und Intrigen, die sich davor abspielen, fehlt die Spezifität, um wahrhaftig zu begeistern – die austauschbare Narration bricht die Illusion der Schauwerte.

Landschaftsarchitektin Sabine De Barra (Kate Winslet, 4. v. l.) kreiert einen Freiluft-Ballsaal für den Sonnenkönig Louis XIV. (Alan Rickman, Mitte).
© Ascot Elite Entertainment Group
Ohnehin stellt Allison Deegans Skript den wunden Punkt des Historienfilms dar. Figuren wie De Barras Bauhelfer Duras (Steven Waddington) verschwinden plötzlich von der Bildfläche; signifikante Entwicklungen von Handlungssträngen scheinen abseits der Leinwand stattzufinden. Die Überschneidung von Liebesgeschichte, historischem Drama und exzentrischer Komödie, obschon definitiv im Einklang mit dem Titel, wirkt in den seltensten Fällen angebracht; die Witze über furzende Königskinder haben etwas peinlich Berührendes an sich. Darüber hinaus ist die ganze Angelegenheit zu unerheblich, zu wenig dringlich, zu frei von wirklich fesselnden Protagonisten, um seiner zweistündigen Laufzeit gerecht zu werden. Insofern ist auch Rickmans Leistung als Regisseur für den begrenzten Eindruck, den sein durchaus vergnüglicher Film hinterlässt, verantwortlich zu machen. Beweist er an manchen Stellen grosses Fingerspitzengefühl und einen ausgeprägten Sinn fürs Detail – etwa als eine kleine Spinne die perfekte Fassade von Louis' Antlitz trübt –, ist seine Inszenierung anderswo zu statisch, um den Mängeln von Deegans wenig stringentem Narrativ erfolgreich entgegenzuwirken. Man kann es André Le Nôtre nachfühlen, wenn er sagt: "Chaos ist gut. Aber bitte mit System."

★★★

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