Samstag, 16. Mai 2015

Big Eyes

"Subtle doesn't sell", sagt der fiktive Klatschreporter Dick Nolan (Danny Huston) in Big Eyes – ein Satz, den man als wiederkehrendes Motto in der Karriere von Regisseur Tim Burton bezeichnen könnte. Obschon ein unbestrittener Meister sowohl des "Gotischen" und Makaberen als auch berührender Aussenseiter-Geschichten, ist Subtilität, vorab in seinen Realspielfilmen, oft kein primäres Werkzeug Burtons. Big Fish ist ein kleines Meisterwerk, macht jedoch keinen Hehl aus seiner bezaubernden, aber gross angelegten Emotionalität; in Filmen wie Mars Attacks!, Charlie and the Chocolate Factory, Alice in Wonderland und Dark Shadows frönt Burton der kunterbunten Camp-Ästhetik. Getragener, weniger überhöht zu und her geht es an unerwarteten Orten – in der Comicadaption Batman etwa, in Ed Wood, einer Verneigung vor dem Trash, sowie in animierten Werken wie Corpse Bride oder Frankenweenie.

Insofern hat Dick Nolans Äusserung – Teil einer Beschreibung von Walter Keane (Christoph Waltz), der in den frühen Sechzigerjahren die weltweit begehrten, von seiner Ehefrau Margaret (hervorragend: Amy Adams) gemalten Gemälde grossäugiger Kinder unter seinem Namen verkaufte – etwas Ironisches, da Big Eyes, trotz eines allzu theatralisch aufspielenden, Fratzen schneidenden Christoph Waltz, zu den subtileren Einträgen in Burtons Filmografie zu zählen ist. Wie in Edward Scissorhands setzt der Regisseur und Keane-Sammler Burton seinem Publikum eine auf den ersten Blick bildhübsche Welt vor, ein farbenprächtiges, scheinbar paradiesisches Bilderbuch-Boom-Amerika – eingefangen vom ansonsten für seine entsättigten Aufnahmen bekannten Kameramann Bruno Delbonnel (Harry Potter and the Half-Blood Prince, Inside Llewyn Davis) –, unter dessen Oberfläche sich allerdings schreckliche menschliche Abgründe öffnen.

Lieblich, aber unterschwellig bedrohlich – dieses Gefühl hinterlassen nicht nur Delbonnels Bildgestaltung und die Musikuntermalung des langjährigen Burton-Kollaborateurs Danny Elfman, der hier seine besten Kompositionen seit Jahren vorlegt. Die wahre Geschichte von Margaret Keanes langem Kampf um Anerkennung verrät viel über die Verhältnisse der Geschlechter und die gefährlichen Dynamiken hinter der Fassade des hoch anständigen Bürgertums. Dass Burton, vielleicht zum ersten Mal, an einem explizit feministischen Punkt ansetzt, suggeriert bereits die erste Linie des Films: "The 1950s were great – if you were a man". Entsprechend liegt der Fokus auf Margarets Eigeninitiative, ihrer hart erstrittenen Emanzipation von ihrem stetig tyrannischer werdenden Mann, den lautstarken Einwänden von Gesellschaft, Kirche und sogar ihrem eigenen Sinn für Loyalität zum Trotz.

Das Malen grossäugiger Kinder ist die Leidenschaft von Margaret Keane (Amy Adams). Ihre Werke werden weltberühmt – allerdings nicht unter Margarets Namen.
© Ascot Elite Entertainment Group
Was Big Eyes aber subtiler als einen Sleepy Hollow oder einen Sweeney Todd sein lässt, ist, nebst seiner Darstellung scheinheiliger Paradiese, sein Umgang mit den Keane-Figuren. So stellt zwar Margaret die offensichtliche Heldin des Stücks, verfügt ausser einem guten Herzen, einem intakten Moralverständnis und einer künstlerischen Gabe aber auch über eine fatale Leichtgläubigkeit, die sie nicht nur in die Arme zweier herrischer Männer (Walter und ihr ungesehener erster Gatte), sondern auch zu den Zeugen Jehovas treibt. Unter deren Einfluss erlangt sie zwar ihr Selbstwertgefühl wieder, doch die strikten Regeln, welche sie ihrer pubertierenden Tochter Jane (die unterdurchschnittliche Madeleine Arthur) im religiösen Eifer auferlegt, erinnern fatal an den Kontrollwahn ihrer beiden Ex-Angetrauten.

Walter wäre ein ähnlich dreidimensionales – und damit lebendiges – Produkt wie Margaret, wenn Waltz sich in seiner Darbietung nicht allzu oft im Ton vergreifen würde. Mister Keane mag in erster Linie als raffinierter Plagiator und Tyrann inszeniert werden, doch in diversen Szenen wirkt er ebenso als letztlich tragische Figur, als gescheiterte Existenz – ein begabter Geschäftsmann, der um jeden Preis ein Künstler sein will und in seinem Wahn Andy Warhols "Factory"-Kunstkonzept als seine Erfindung beansprucht und den Kritiker John Canaday (Terence Stamp) ausgerechnet als frustrierten Möchtegern-Schöpfer von Kunst beschimpft. Diese Interpretation des Charakters ergibt sich aus dem guten, aber wohl eine Spur zu ausladend geratenen Drehbuch von Scott Alexander und Larry Karaszewski (das Duo hinter Ed Wood), dem Waltz leider nicht vollumfänglich gerecht wird. Ihm fehlt die nötige Tiefe, die geforderte Finesse, um Walter als glaubwürdigen Charmeur erscheinen zu lassen; sein Lachen ist nicht das eines geschickten Blenders, sondern das verstörend gequälte Zähnefletschen eines notorischen Scharlatans.

Margarets zweiter Ehemann Walter (Christoph Waltz) gründet mit Hilfe ihrer Bilder ein Merchandising-Imperium. Die Ehre beansprucht er für sich allein.
© Ascot Elite Entertainment Group
Man kann dies auf den feministischen Subtext zurückführen – in einer sexistisch geprägten und strukturierten Gesellschaft findet selbst jemand wie ein ausgewiesener Trickbetrüger und Hochstapler noch vor einer begnadeten Künstlerin zum Erfolg –, doch Waltz ist und bleibt ein Fremdkörper im Film, wenn auch ein zugegebenermassen recht unterhaltsamer. Er bildet so etwas wie eine Brücke zwischen Camp- und Drama-Burton. Big Eyes ist kein Edward Scissorhands, kein Ed Wood und auch kein Big Fish, doch er zeigt, dass mit Burtons Kreativität – tot gesagt nach einer Reihe unterschiedlich beliebter (und gelungener) Adaptionen – nach wie vor zu rechnen ist.

★★★★

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