Donnerstag, 11. Juni 2015

Giovanni Segantini – Magie des Lichts

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.

Fünf Jahre hat der Zürcher Christian Labhart an seinem Dokumentarfilm über den Südtiroler Kunstmaler Giovanni Segantini (1858–1899) gerabeitet. Dabei herausgekommen ist Magie des Lichts, eine informative, aber letztlich fantasielose Bilder-Collage, die ihrem faszinierenden Thema nicht gerecht wird.

Eines lässt keinesfalls bestreiten: Segantinis Gemälde auf der Kino-Grossleinwand zu erleben, ist eine eindrucksvolle Erfahrung. Mit einem unbestreitbaren Sinn fürs Detail hebt Labhart (Zum Abschied Mozart, Zum Auftakt Rossini, Zwischen Himmel und Erde, Appassionata, What Moves You) die vielen Vignetten in den oft romantisch gebrochenen, aber dennoch naturalistisch-rohen Alpen-Ansichten des Künstlers hervor, der 1886 als staatenloser Wehrdienstverweigerer mit seiner Frau Bice und den vier gemeinsamen Kindern nach Savognin zog und sich umgehend in die Bündner Natur verliebte. Jeder sorgfältig gezogene Strich am Kopf eines Schafs offenbart sich dem Zuschauer, wenn Labharts Kamera langsam über "Ave Maria a trasbordo" (1886) hinweg zieht, begleitet von der ausdrucksstarken Stimme Bruno Ganz', welcher in Magie des Lichts aus Originalbriefen Segantinis vorliest. In seinen besten Momenten schafft es der Film gar, mit seinen eingespielten Bach-Rezitals dem Pathos eines Werks eine neue Dimension zu verleihen.

Insgesamt jedoch bleibt Giovanni Segantini – Magie des Lichts ein inferiorer Eintrag im Schweizer Subgenre des Name: Schlagwort-Dokumentarfilms. Zwar wussten in der jüngeren Vergangenheit auch Werke wie etwa Daniel Youngs Paul Bowles: The Cage Door Is Always Open oder Sophie Hubers Harry Dean Stanton: Partly Fiction nicht unbedingt zu begeistern, doch wenigstens wussten diese ihre – zugegebenermassen auf Film festgehaltenen – Protagonisten ansprechend in Szene zu setzen. Young versuchte sich stellenweise an exzentrischen Animationen, um das bewegte Leben des Autors von The Sheltering Sky fassbar zu machen; Hubers dokumentarisches Konzept, obgleich alles andere als originell, bestach zumindest durch seine persönliche Note. Labharts Film lässt solche Identität stiftende Elemente fast gänzlich vermissen. Stattdessen werden Segantinis Briefe rezitiert, Mona Petri liest Ausschnitte aus Asta Scheibs Romanbiografie des Malers vor; Fotos von Familie Segantini, filmische Eindrücke aus dem modernen Mailand sowie die Gemälde des Meisters ergänzen die Tonspur.

"Ja, ich habe gelebt, ohne zu vegetieren": Giovanni Segantini (ganz rechts) im Kreise seiner Familie.
© look now
In einer Dokumentation weitgehend auf den Gebrauch bewegter Bilder zu verzichten, kann ein legitimes Stilmittel sein – man denke nur an Wim Wenders' bewegendes Porträt The Salt of the Earth über den brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado –, doch Labhart fehlt schlicht und ergreifend das künstlerische Profil, um in diesem Format zu reüssieren. Magie des Lichts mag informativ sein, hat im Ganzen aber in etwa so viel Seele wie der Wikipedia-Artikel über Segantini. Aufnahmen von verschneiten Wäldern, kreisenden Vogelschwärmen und der Entstehung der Musikuntermalung kreieren die Illusion einer filmemacherischen Handschrift, täuschen letztendlich aber kaum darüber hinweg, dass Labhart sich hier überwiegend mit fremden Federn schmückt: Die Bilder stammen von Segantini, die Texte von Segantini und Scheib, die Fotos aus dem Archiv. Magie des Lichts ist eine dröge audiovisuelle Adaption einer Ausstellungsbroschüre. Einen Mehrwert gegenüber einem tatsächlichen Museumsbesuch – wie vor vier Jahren in der Fondation Beyeler in Riehen – hat zumindest dieser Betrachter nicht erkennen können.

★★

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