Dienstag, 27. Oktober 2015

Black Mass

Regisseur Scott Cooper interessiert sich für die düsteren Ecken Amerikas – die gegen den drohenden Untergang kämpfenden Institutionen, die mafiösen Strukturen hinter dem Schleier amerikanischer Geschäftstüchtigkeit, die allzu einfach ausser Kraft gesetzten Prinzipien Moral und Rechtschaffenheit. Drei Filme hat der 45-jährige bislang gedreht, allesamt Psychogramme gescheiterter, verzweifelter Existenzen.

In Crazy Heart (2009), der Jeff Bridges seinen ersten Oscar einbrachte, kämpft ein alternder Countrymusiker gegen Alkoholmissbrauch und die eigene Obsoleszenz. Out of the Furnace (2013) spielt vor dem Hintergrund der bröckelnden Stahlindustrie Pennsylvanias – ein Hauch von Peter Bogdanovichs The Last Picture Show –; im Fokus stehen ein perspektivloser Ex-Sträfling und ein bösartiger Redneck-Drogenbaron.

Black Mass stellt zwar in gewisser Hinsicht einen Bruch mit seinen Vorgängern dar, doch auch hier verfolgt Cooper jene Motive und Themen, mit denen er sich als viel versprechender Filmemacher in Hollywood etabliert hat. Sein neuester Film ist eine faktenbasierte Chronologie des kriminellen Imperiums, das Mafiaboss James "Whitey" Bulger (Johnny Depp), ab den Siebzigerjahren in Boston errichtete.

Es ist eine Geschichte ganz im Sinne Coopers, eine Geschichte, in der Staat und Unterwelt miteinander verschmelzen, in der jenste Ur-Amerikanismen – der erfolgreiche Immigrant, die Macht der Eigeninitiative, das Misstrauen vor regulierender Autorität – aufeinander prallen. 1975 führt Bulger die irische Mafia, die Winter-Hill-Gang, im Süden Bostons an; sein Ziel ist es, den Bandenkrieg mit den Italienern im Norden der Stadt endlich für sich zu entscheiden. Dabei hilft ihm nicht nur sein Bruder, Senator Billy Bulger (Benedict Cumberbatch – als Bostoner überzeugender denn als Südstaatler in August: Osage County), sondern auch sein Jugendfreund John Connolly (Joel Edgerton), der mittlerweile beim FBI arbeitet und ihm einen Handel anbietet: Whitey soll zum Informanten werden. Somit kann er John nicht nur die Italo-Mafia ausliefern, sondern geniesst selber auch eine gewisse Immunität, was es ihm erleichtert, das Diktat in Boston zu übernehmen.

Der irischstämmige Mafiaboss James "Whitey" Bulger (Johnny Depp) schwingt sich während der Siebziger- und Achtzigerjahre zum mächtigsten Kriminellen Bostons auf.
© 2015 Warner Bros. Ent.
Obwohl der Film unaufhaltsam in der Zeit voranschreitet – er bleibt Whitey im Laufe der Achtziger- und Neunzigerjahre auf den Fersen und verliert ihn sodann, wie der Rest der Welt, bis zu seiner Verhaftung 2011 aus den Augen –, bewegt er sich durchgehend in der Tradition des "paranoiden" Watergate-Kinos der Siebzigerjahre, begründet durch Sydney Pollack und Alan J. Pakula und in der jüngeren Vergangenheit wiederentdeckt in Produktionen wie Ben Afflecks Argo oder David O. Russells American Hustle. Verwaschene Grau- und Brauntöne dominieren die körnigen Bilder, die Masanobu Takayanagi im postindustriellen Massachusetts einfängt; die Musik Tom "Junkie XL" Holkenborgs (Mad Max: Fury Road) suggeriert eine Welt, in der in jedem Moment mit Mord und Totschlag gerechnet werden muss.

Die Handlung bestätigt diese Stimmung. Es ist kein sentimentaler Blick, den Cooper hier in die Vergangenheit wirft, kein buntes Treiben unerhörter Frisuren- und Kleidermoden wie noch in American Hustle. Ein falscher Schritt, ein falsches Wort, eine falsche Investition – und schon blickt man in den Pistolenlauf von Whiteys Vollstrecker Johnny Martorano (W. Earl Brown); die Macht des Winter-Hill-Syndikats erstreckt sich – dank freiwilliger und unfreiwilliger Unterstützung von Politik und Justiz von Verkaufsautomaten – von der Organisation ganzer Sportarten. Whiteys Aufstieg zum König von Boston ist zugleich ein Porträt gesellschaftlichen und moralischen Verfalls. Amerika gehört den Gangstern – und das nicht erst seit dem letzten Wall-Street-Kollaps.

Erzählerisch hat Cooper die goldene Mitte zwar immer noch nicht gefunden: Crazy Heart geriet bei aller Ernsthaftigkeit letztendlich doch zum Märchen, Out of the Furnace zur allzu konturenlosen Milieustudie. Black Mass wiederum versucht, die GoodFellas-Dramaturgie zu emulieren, gewinnt daraus aber wenig Neues. Entsprechend wirkt der Film episodenhaft und nur streckenweise wirklich fesselnd; diverse Entwicklungen in der Winter-Hill-Expansion gehen unter in einem etwas allzu gedämpften Skript.

Einen beträchtlichen Anteil an Whiteys Erfolg hat der FBI-Agent John Connolly (Joel Edgerton), der den Gangster als Edel-Informanten anheuert.
© 2015 Warner Bros. Ent.
Somit bleibt schliesslich neben der stimmig und hervorragend eingefangenen Atmosphäre und der Hitchcock'sch inszenierten Brutalität – Mord ist und bleibt harte Arbeit – vor allem ein Aspekt in Erinnerung: Johnny Depps Darbietung als Whitey Bulger. Vielleicht liegt es daran, dass die Erwartungen an den Superstar nach Flops wie The Tourist, Transcendence oder Mortdecai geschrumpft sind; doch seine durch famose Make-up-Kunst noch verstärkte Interpretation des fast schon apathischen Gangsters gehört, zusammen mit seinen Leistungen in Ed Wood, Dead Man, Fear and Loathing in Las Vegas und Pirates of the Caribbean: The Curse of the Black Pearl, zu den Höhepunkten seiner Karriere. Mit der gespenstischen Ruhe und der kalten Konzentration eines Hais – als Präzedenzfall bietet sich Anthony Hopkins in The Silence of the Lambs an – wandelt Depp durch einen Film, der von unausgeglichenen, impulsiv agierenden Figuren nur so wimmelt; selbst seine joviale Seite hat etwas zutiefst Beunruhigendes und Verstörendes.

Den ganz grossen Wurf konnte Cooper also auch mit Black Mass nicht landen. Doch das soll die beträchtlichen Qualitäten dieses überaus eindringlichen Films keineswegs überschatten. Auch wenn es sich dabei nicht um den künftigen Klassiker handelt, zu dem sein Regisseur durchaus fähig scheint, besticht er doch – neben Depps grandioser Darbietung – auch durch seine grundlegende Hollywood-Solidität, deren Reiz sich zu entziehen fast nicht möglich ist.

★★★★

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