Dienstag, 6. Oktober 2015

Ich und Kaminski

Wurde dem deutschen Film in der jüngeren Vergangenheit gerne eine zahme Genormtheit vorgehalten, die weder Überraschungen bereit hielt noch tiefe Spuren hinterliess, so scheint Wolfgang Beckers kurios-chaotische Adaption von Daniel Kehlmanns Roman Ich und Kaminski darauf bedacht, diesem Vorwurf um jeden Preis entgegen zu wirken.

Becker, der 2003 – im gleichen Jahr, in dem Kehlmanns Buch veröffentlicht wurde – mit der anrührenden DDR-Tragikomödie Good Bye, Lenin! quasi ein Standardwerk des deutschen "Mainstreams mit Anspruch" geschaffen hatte, setzt sich in Ich und Kaminski unbekümmert über stilistische, ästhetische und inszenatorische Konventionen hinweg – ganz im Sinne von Kehlmanns hochgradig selbstreflexiver Farce über Kunst, Künstler und den Mythos des grossen Narrativs.

Wer genau im Zentrum dieser skurrilen Geschichte steht, ist, wie der Titel suggeriert, nicht ohne weiteres klar. Der Vorspann stellt uns mittels eines - nicht untertitelten – Sprachen- und Clipgewirrs die legendenumrankte Figur Manuel Kaminski (Jesper Christensen) vor, einen fiktiven Maler aus den Dunstkreisen von Picasso, Matisse, Oldenburg und Warhol. Sie alle und noch mehr soll er getroffen haben; im New York der späten Fünfzigerjahre wurde er der Pop-Art-Szene wegen einer Sehschwäche als "blinder" Künstler schmackhaft gemacht; von da an war ihm sein Ruf als Ikone sicher.

Doch plötzlich ist inmitten der vermeintlichen Archivaufnahmen ein Talkshow-Ausschnitt zu sehen, in dem ein junger Mann referiert, den man weder als Künstler noch als Kritiker noch als Moderator kennt: Es ist Daniel Brühl, Hauptdarsteller in Good Bye, Lenin!, gefeierter Nebendarsteller in diversen Hollywoodproduktionen der 2010er Jahre (Inglourious Basterds, Rush, The Fifth Estate), der in der Rolle des Journalisten Sebastian Zöllner Auskunft über seine soeben publizierte Biografie des offenbar gerade erst verstorbenen Kaminski gibt. Die brennendste Frage auf den Lippen seiner Interviewerin: "War Kaminski wirklich blind?" Zöllners ungefällige Antwort: "Da müssen Sie mein Buch lesen."

In den Schweizer Alpen sucht der Journalist Sebastian Zöllner (Daniel Brühl) das Gespräch mit dem blinden Maler Manuel Kaminski.
© Ascot Elite Entertainment Group
Mit schriftstellerischem Selbstvertrauen spricht Zöllner über seine Kaminski-Biografie; in seiner Darstellung wird aus der Gattung, die der britische Autor George Gissing einst als "Farce" abkanzelte, ein Nährboden für grosse literarische Werke, zu denen er seines selbstverständlich auch zählt. Im Folgenden jedoch wird eben dieser Anspruch genüsslich der Lächerlichkeit preisgegeben. Ich und Kaminski ist ein Making-of von Zöllners Biografie, welches – zwischen Satire, Drama, Komödie und Roadmovie irrlichternd – die Idee der grandiosen Künstler-Vita mit Nachdruck entmystifiziert.

Höchst vergnüglich erzählt Becker davon, wie Sebastian zwecks Recherche ins Alpen-Refugium des greisen Kaminski reist und sich dort mit dessen Tochter (Amira Casar), dem sich um ihn kümmernden Arzt (Andrea Zogg), diversen skurrilen Dorfbewohnern sowie den wütenden Anrufen seiner Noch-Freundin (Jördis Triebel) auseinandersetzen muss. Bevor er sich schliesslich mit dem schlagfertigen Blinden ins Auto setzt, um an der flämischen Küste dessen ehemalige Geliebte (Geraldine Chaplin) zu besuchen, zeigt der Film zahlreiche Vignetten, die Sebastian im Gespräch mit Zeitgenossen Kaminskis zeigen.

Für den Möchtegern-Biografen Zöllner erweist sich Kaminski (Jesper Christensen) als herausforderndes Interview-Objekt.
© Ascot Elite Entertainment Group
In diesen Szenen, die zweifellos zu den komödiantischen Höhepunkten gehören, mutet der Film – nicht nur wegen des oft allzu offensichtlich entstellenden Makeups – wie eine Groteske an. Hier ist Karl Markovics (Die Fälscher, The Grand Budapest Hotel) in der Doppelrolle zweier verbitterter Atonal-Komponistenzwillinge zu sehen; dort verschlingt der schmächtige Jacques Herlin (Des hommes et des dieux) in seiner letzten Rolle – er starb 2014 86-jährig – Unmengen an Austern und Würsten ("Dass in so wenig Mensch so viel Eiweiss passt").

Die Autofahrt ans Meer wiederum ist geprägt von Rückschlägen – zu denen auch ein Gastauftritt von Denis Lavant (Les amants du Pont-Neuf, Holy Motors) gehört –, Hindernissen und einem Kaminski, der mehr als einmal verkündet, nach Hause gehen zu wollen, nur um Sekunden später auf der Weiterfahrt zu beharren. Und am Ende der Reise – brillant antiklimaktisch – steht die Erkenntnis, dass die Geschichte vom bedeutungsvollen, schicksalshaft überhöhten (Künstler-)Leben letztlich nichts anderes ist als ein tröstlicher Mythos, um der Unvorhersehbarkeit der Existenz die Bedrohlichkeit zu nehmen.

Erschwerend hinzu kommt das Misstrauen von Kaminskis Umfeld, insbesondere das seiner Tochter Miriam (Amira Casar).
© Ascot Elite Entertainment Group
Entsprechend passend erscheint denn auch die Tatsache, dass Ich und Kaminski ein Film mit unübersehbaren Defiziten ist. So wunderbar absurd das Ganze auch ist, es täuscht nicht über die Überlänge von 125 Minuten hinweg. So lustig viele Szenen auch sein mögen, Beckers vereinzelte Abstecher ins Territorium plumperer Komödien sind dem positiven Gesamteindruck abträglich. So fantasievoll und variantenreich der Film mit seinen verschiedenen Zeitebenen und seinen bildlichen Anspielungen auf die Kunstszene auch inszeniert ist, stechen gewisse Sequenzen doch durch eine irritierende Sprödheit heraus.

Auch seine grundsätzliche Kritik an der Verklärung von Prominenten-Biografien fügt sich nicht zu einer stimmigen Einheit zusammen. Vielmehr gründet der diesbezügliche Anspruch von Ich und Kaminski auf den einzelnen, isolierten Szenen, deren Essenz in diese Richtung zeigt. Somit scheiterte Becker zwar dabei, einen rundum scharfsinnigen Film über den Irrsinn der Genie-Verehrung zu machen; doch eine kluge satirische Komödie mit herausragend perzeptiven Momenten ist ihm nichtsdestotrotz gelungen.

★★★★

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