Audiard (De battre mon cœur s'est arrêté, Un prophète, De rouille et d'os) macht es einem nicht einfach, seinen Film durch die verzerrte Optik vorgefasster Meinungen zu sehen, da er von Anfang an auf altbekannte Figurenstereotypen verzichtet. Als Protagonist dient ihm Sivadhasan (grossartig: Antonythasan Jesuthasan), ein Soldat der militant-separatistischen tamilischen Gruppierung Tamil Tigers, der am Ende des srilankischen Bürgerkriegs nach Europa emigriert, um der Verfolgung durch die Regierung zu entgehen. Er erhält den Namen eines Toten, Dheepan, und bekommt eine Frau (Kalieaswari Srinivasan) und ein neunjähriges Mädchen (Claudine Vinasithamby) zur Seite gestellt, die sich als Dheepans dem Krieg zum Opfer gefallene Ehefrau Yalini und Tochter Illayaal ausgeben sollen.
Das Identifikationsbild der sich den Schrecken des Krieges widersetzenden Familie ist damit grundsätzlich ausser Kraft gesetzt; im Zentrum stehen ein mutmasslicher Kriegsverbrecher und zwei ihm unbekannte Menschen, die ihre Angehörigen bei seinem Kampf verloren haben. Simpel ist am Krieg nichts, und auch mit der Flucht davor ist sein Schatten nicht aus der Welt geschafft. Für Dheepan, Yalini und Illayaal trifft das nicht nur in Form von Trauma und der fundamental problematischen neuen Familiensituation zu, sondern auch auf noch viel sichtbarere Art und Weise.
Mehr noch als in Un prophète interessiert sich Audiard wenig für dramatische Verstrickungen und eine Handlung im klassischen Sinne. Getragen von Eponine Momenceaus prägnanter, stellenweise aber dennoch verträumt ausschweifender Kameraführung, bewegt sich Dheepan anmutig vorwärts; der Wechsel der Jahreszeiten und die graduelle Anpassung der Figuren an die französischen Gepflogenheiten werden nicht explizit gezeigt, sondern fein angedeutet.
Auch eine Frau (Kalieaswari Srinivasan), die sich als Dheepans Frau Yalini ausgeben muss, begleitet den traumatisierten Kämpfer nach Europa. © filmcoopi |
Die Eskalation des unverdrängbaren Traumas, die sich den ganzen Film über abzeichnet, tritt schlussendlich in überraschend schockierender Weise ein, mündet daraufhin aber in einen irritierend antiklimaktischen Epilog, der sich ebenso als idealistische Kapitulation Audiards wie auch als ironisierter Traum deuten lässt. Nicht zuletzt deswegen ist Dheepan ein (noch) weniger leicht verdauliches Werk als Un prophète und De rouille et d'os – und ist aus gerade aus diesem Grund wohl auch der beste Film, den Audiard in den letzten zehn Jahren gedreht hat.
★★★★
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