Freitag, 27. November 2015

The Hunger Games: Mockingjay – Part 2

Dass The Hunger Games zu den besten Filmreihen der letzten Jahre gehört, stand eigentlich schon vor dem vierten und letzten Teil der Franchise fest. Die Verfilmung von Suzanne Collins' an junge Erwachsene ("young adult fiction") gerichteter Roman-Trilogie um eine dekadente Einprozent-Diktatur in einem zukünftigen Amerika hat die meisten Genre-Klischees souverän umschifft, sich erfolgreich gegen eine entstellende Verharmlosung von Collins' Stoff zur Wehr gesetzt und ist, ganz nebenbei, in jedem Eintrag auf Themen eingegangen, die in den zeitgenössischen USA gerade heiss diskutiert wurden.

Gary Ross' The Hunger Games (2012) hat der Serie ihren seriös-kompromisslosen Ton gegeben; die Geschichte um Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence), die als Vertreterin ihres unterdrückten Distrikts in den vom herrschenden Capitol ausgerichteten "Hunger Games" andere Teenager auf den Tod bekämpfen muss, hatte einiges über besinnungslose Unterhaltungskultur und mediales Abstumpfen – beides prominente Motive der ganzen Reihe – sowie über die Manipulation der Natur durch den Menschen zu sagen. Catching Fire (2013), in dem Francis Lawrence die Zügel der Franchise permanent übernahm, stellte mit seinem Fokus auf Oberschicht-Privilegien und oligarchische Macht den epischen Höhepunkt der viergeteilten Trilogie dar.

Teil drei von Collins' Triptychon wiederum war von Anfang an der designierte Stolperstein. Nicht nur ist Mockingjay das denkbar unfilmischste Drittel – Katniss, die inzwischen zur Symbolfigur des organisierten Aufstandes gegen das Capitol geworden ist, verbringt gut die Hälfte des Buches eingepfercht im unterirdischen Hauptquartier der Rebellen –; sein Tonfall ist nicht geprägt von rebellischem Überschwang, sondern von Verbitterung, Desillusionierung und dem blanken Horror des offenen Krieges.

Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence) hat genug von ihrer Rolle als Rebellen-Propagandafigur und zieht in den offenen Krieg gegen das diktatorische Capitol.
© Impuls Pictures AG
Mockingjay – Part 1 (2014) hat dieses Problem grossartig gelöst: Regisseur Lawrence hat Katniss' klaustrophobische Situation als eindringliches PTSD-Kammerspiel realisiert, in dem durchaus anspruchsvolle, politisch alles andere als irrelevante Themen wie Kriegspropaganda und Kadavergehorsam gewissenhaft verhandelt werden. Auf der richtigen Seite des Konflikts zu stehen, so der Film, sei nicht gleich bedeutend mit moralischer Überlegenheit – eine Botschaft, die nicht zuletzt dank der herausragenden Leistungen von Julianne Moore (als Rebellen-Präsidentin Alma Coin), Donald Sutherland (als Capitol-Regent Coriolanus Snow) sowie vom während der Dreharbeiten zum zweiten Teil verstorbenen Philip Seymour Hoffman (als übergelaufener "Hunger Games"-Organisator Plutarch Heavensbee), wuchtig vermittelt wurde.

War Part 1 aber trotzdem noch von mitreissend revolutionärem Eifer getränkt – besonders Katniss' Mörder-Ballade "The Hanging Tree" ist diesbezüglich in Erinnerung geblieben –, nähert sich Part 2 der ernüchternden, für YA-Literatur untypisch klarsichtigen Kernaussage des Buches: Krieg ist die Hölle; wer direkt daran beteiligt ist, kann nur als Verlierer enden. Zwar haben zu Beginn des Films Katniss und ihre einstigen "Hunger Games"-Mitstreiter Peeta (Josh Hutcherson) – der nach einer Capitol-Gehirnwäsche ihr gegenüber inzwischen mörderischen Hass hegt – und Finnick (Sam Claflin) bereits Traumatisches durchgestanden. Doch als die drei, ohne das Plazet von Coin, Heavensbee oder Mentor Haymitch Abernathy (Woody Harrelson), mit Katniss' engem Freund Gale (Liam Hemsworth) und einem Militär- und Propaganda-Trupp ins Kriegsgebiet des Capitols einrücken, wird klar, dass das Schlimmste noch nicht überstanden ist. Oder, wie Finnick es so treffend sagt: "Welcome to the 76th Hunger Games."

Katniss ist nicht die einzige "Hunger Games"-Veteranin, die das Capitol zu Fall bringen will: Mit dabei ist auch Finnick Odair (Sam Claflin)...
© Impuls Pictures AG
Abgesehen von einem bemühten, allzu schmalzigen Epilog, der schon im Buch nicht so richtig funktionieren wollte und wie eine aufgepropfte Lektorenentscheidung wirkte, überwiegen im Mockingjay-Finale, ganz im Sinne des Quellenmaterials, Düsternis am Rande der Hoffnungslosigkeit. Katniss und ihre Entourage erringen wenig mehr als Pyrrhussiege; Figuren sterben brutale, sinnlose – teilweise fast nebensächliche – Tode; ein aufgelöster Handlungsstrang annulliert Katniss' einzigen Grund, wieso sie in The Hunger Games überhaupt erst in der Folterarena des Capitols gelandet ist.

Lawrence filmt dies in tristen Grautönen im Schatten brutalistischer Wohnblöcke und in undurchdringlichem Schwarz in den unheimlichen Tiefen der Kanalisation – ein brillant aufgezogenes Horror-Szenario, das Erinnerungen an The Descent weckt. Überhaupt verfügt Mockingjay – Part 2, gemeinsam mit dem ausladenden Set-Design von Catching Fire, wohl über die eindrücklichsten Schauwerte der ganzen Reihe: Ausstattung, Kostüme und Pyrotechnik sind ebenso vielseitig wie effektiv und tragen, unterstützt von Jo Willems' Kameraarbeit und James Newton Howards Musik, ihren Teil zur beklemmenden Atmosphäre bei, die Lawrence hier heraufbeschwört.

...und der frisch aus den Fängen des Capitols befreite Peeta Mellark (Josh Hutcherson).
© Impuls Pictures AG
Dennoch bildet der Film eine weniger stringente Einheit als seine Vorgänger. Einer der Hauptgründe dafür dürfte die undankbare Schlussteil-Aufgabe sein, alle losen Enden der Erzählung zusammenzuführen und abzuhaken. Entsprechend wirken diverse Szenen wie Konzessionen an die Anforderungen des Genres und die buchstabengläubigsten Fans. (Mehr Courage seitens des Studios hätte vielleicht sogar zu einer Streichung des Epilogs führen können, wäre doch die vorangegangene Szene ein ideales Serienende gewesen.) Gerade dort, wo Lawrence und die Drehbuchautoren Peter Craig und Danny Strong dazu gezwungen sind, die gezwungene romantische Dreiecksbeziehung zwischen Katniss, Peeta und Gale auszuloten, entstehen dramaturgische Brüche.

So glänzt Mockinkjay – Part 2 vor allem mit seinen zahlreichen hervorragnden Einzelszenen. Dazu gehören neben der Menschenjagd in den Abwasser-Rohren des Capitols, einer Öl-Flutwelle in einem Wohnblock-Innenhof und den leisen Szenen zwischen Katniss und Peeta insbesondere jene Momente, in denen sich Katniss und Präsident Snow gegenüberstehen. Dank eines Briefes, den Donald Sutherland vor den Dreharbeiten zu The Hunger Games für Gary Ross geschrieben hat, in dem er argumentierte, dass Snow seiner Meinung nach in Katniss seine einzige würdige Nachfolgerin sieht, ist Letzterer im Laufe der vier Filme ohnehin zum faszinierendesten Charakter neben Katniss geworden. Diese doppelbödige Interpretation der Bücher verleiht diesen Szenen eine ganz eigene Dynamik, die von zwei schwergewichtigen Schauspielgrössen – Oscargewinnerin Jennifer Lawrence und Sutherland, der seiner distinguierten Karriere mit seinen Auftritten in der Hunger Games-Franchise eine grandiose späte Schlüsselrolle hinzugefügt hat – entsprechend gewürdigt wird. In ihrem letzten, wortlosen Blickwechsel – und Sutherlands markerschütterndem Lachen – allein liegt eine Tiefe und Ambivalenz, nach der man anderswo im YA-Kino vergeblich sucht.

Das Ziel von Katniss' Mission ist es, Capitol-Präsident Coriolanus Snow (Donald Sutherland) zur Strecke zu bringen.
© Impuls Pictures AG
Die Hunger Games-Filme haben sich allesamt durch ihre Weigerung ausgezeichnet, Action, Emotionen und den Kampf um Leben und Tod zum reinen Selbstzweck, zum unkritisch eingesetzten Unterhaltungselement verkommen zu lassen. Somit ist Mockingjay – Part 2 – obwohl er einige sprechende Buchmomente überspringt, wie etwa Katniss' instinktives Erschiessen einer unbewaffneten Zivilistin –, nichts anderes als eine konsequente Vollendung dieser Philosophie. Man verlässt den Kinosaal nicht mit einem Gefühl des Triumphs oder dem unbedingten Verlangen, den Film sofort noch einmal zu sehen. Dies ist einerseits seinen vereinzelten Unstetigkeiten geschuldet, keine Frage. Andererseits jedoch ist das auch ein Zeichen, dass die Franchise, der es im Kern primär um die mediale Darstellung von Gewalt und die menschliche Freude daran geht, letztlich ihr Ziel erreicht hat.

★★★★

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