Gary Ross' The Hunger Games (2012) hat der Serie ihren seriös-kompromisslosen Ton gegeben; die Geschichte um Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence), die als Vertreterin ihres unterdrückten Distrikts in den vom herrschenden Capitol ausgerichteten "Hunger Games" andere Teenager auf den Tod bekämpfen muss, hatte einiges über besinnungslose Unterhaltungskultur und mediales Abstumpfen – beides prominente Motive der ganzen Reihe – sowie über die Manipulation der Natur durch den Menschen zu sagen. Catching Fire (2013), in dem Francis Lawrence die Zügel der Franchise permanent übernahm, stellte mit seinem Fokus auf Oberschicht-Privilegien und oligarchische Macht den epischen Höhepunkt der viergeteilten Trilogie dar.
Teil drei von Collins' Triptychon wiederum war von Anfang an der designierte Stolperstein. Nicht nur ist Mockingjay das denkbar unfilmischste Drittel – Katniss, die inzwischen zur Symbolfigur des organisierten Aufstandes gegen das Capitol geworden ist, verbringt gut die Hälfte des Buches eingepfercht im unterirdischen Hauptquartier der Rebellen –; sein Tonfall ist nicht geprägt von rebellischem Überschwang, sondern von Verbitterung, Desillusionierung und dem blanken Horror des offenen Krieges.
Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence) hat genug von ihrer Rolle als Rebellen-Propagandafigur und zieht in den offenen Krieg gegen das diktatorische Capitol. © Impuls Pictures AG |
War Part 1 aber trotzdem noch von mitreissend revolutionärem Eifer getränkt – besonders Katniss' Mörder-Ballade "The Hanging Tree" ist diesbezüglich in Erinnerung geblieben –, nähert sich Part 2 der ernüchternden, für YA-Literatur untypisch klarsichtigen Kernaussage des Buches: Krieg ist die Hölle; wer direkt daran beteiligt ist, kann nur als Verlierer enden. Zwar haben zu Beginn des Films Katniss und ihre einstigen "Hunger Games"-Mitstreiter Peeta (Josh Hutcherson) – der nach einer Capitol-Gehirnwäsche ihr gegenüber inzwischen mörderischen Hass hegt – und Finnick (Sam Claflin) bereits Traumatisches durchgestanden. Doch als die drei, ohne das Plazet von Coin, Heavensbee oder Mentor Haymitch Abernathy (Woody Harrelson), mit Katniss' engem Freund Gale (Liam Hemsworth) und einem Militär- und Propaganda-Trupp ins Kriegsgebiet des Capitols einrücken, wird klar, dass das Schlimmste noch nicht überstanden ist. Oder, wie Finnick es so treffend sagt: "Welcome to the 76th Hunger Games."
Katniss ist nicht die einzige "Hunger Games"-Veteranin, die das Capitol zu Fall bringen will: Mit dabei ist auch Finnick Odair (Sam Claflin)... © Impuls Pictures AG |
Lawrence filmt dies in tristen Grautönen im Schatten brutalistischer Wohnblöcke und in undurchdringlichem Schwarz in den unheimlichen Tiefen der Kanalisation – ein brillant aufgezogenes Horror-Szenario, das Erinnerungen an The Descent weckt. Überhaupt verfügt Mockingjay – Part 2, gemeinsam mit dem ausladenden Set-Design von Catching Fire, wohl über die eindrücklichsten Schauwerte der ganzen Reihe: Ausstattung, Kostüme und Pyrotechnik sind ebenso vielseitig wie effektiv und tragen, unterstützt von Jo Willems' Kameraarbeit und James Newton Howards Musik, ihren Teil zur beklemmenden Atmosphäre bei, die Lawrence hier heraufbeschwört.
...und der frisch aus den Fängen des Capitols befreite Peeta Mellark (Josh Hutcherson). © Impuls Pictures AG |
So glänzt Mockinkjay – Part 2 vor allem mit seinen zahlreichen hervorragnden Einzelszenen. Dazu gehören neben der Menschenjagd in den Abwasser-Rohren des Capitols, einer Öl-Flutwelle in einem Wohnblock-Innenhof und den leisen Szenen zwischen Katniss und Peeta insbesondere jene Momente, in denen sich Katniss und Präsident Snow gegenüberstehen. Dank eines Briefes, den Donald Sutherland vor den Dreharbeiten zu The Hunger Games für Gary Ross geschrieben hat, in dem er argumentierte, dass Snow seiner Meinung nach in Katniss seine einzige würdige Nachfolgerin sieht, ist Letzterer im Laufe der vier Filme ohnehin zum faszinierendesten Charakter neben Katniss geworden. Diese doppelbödige Interpretation der Bücher verleiht diesen Szenen eine ganz eigene Dynamik, die von zwei schwergewichtigen Schauspielgrössen – Oscargewinnerin Jennifer Lawrence und Sutherland, der seiner distinguierten Karriere mit seinen Auftritten in der Hunger Games-Franchise eine grandiose späte Schlüsselrolle hinzugefügt hat – entsprechend gewürdigt wird. In ihrem letzten, wortlosen Blickwechsel – und Sutherlands markerschütterndem Lachen – allein liegt eine Tiefe und Ambivalenz, nach der man anderswo im YA-Kino vergeblich sucht.
Das Ziel von Katniss' Mission ist es, Capitol-Präsident Coriolanus Snow (Donald Sutherland) zur Strecke zu bringen. © Impuls Pictures AG |
★★★★
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