Dienstag, 29. Dezember 2015

Legend

© Impuls Pictures AG

★★★

"Helgeland inszeniert eine gross angelegte Verbrecher-Geschichte, die von Hardy jedoch immer wieder ins zutiefst Persönliche gezogen wird, was Legend, bei all seinen Unstetigkeiten, eine starke emotionale Grundierung verleiht."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar).

Montag, 28. Dezember 2015

Kinojahr 2015: Top 10

Auch dieses Jahr lasse ich mir die Listen-Freude nicht nehmen. Es folgen die zehn besten Filme des Jahres (basierend auf dem Schweizer Startdatum). Eine kommentierte Liste findet sich auf The Zurich English Student.

1
IT FOLLOWS
(David Robert Mitchell, USA)


2
THE LOOK OF SILENCE
(Joshua Oppenheimer, Dänemark)


3
A PIGEON SAT ON A BRANCH REFLECTING ON EXISTENCE
(En duva satt på en gren och funderade på tillvaron, Roy Andersson, Schweden)


4
INSIDE OUT
(Pete Docter, USA)


5
MAD MAX: FURY ROAD
(George Miller, Australien)


6
45 YEARS
(Andrew Haigh, UK)


7
CAROL
(Todd Haynes, UK/USA)


8
MR. HOLMES
(Bill Condon, UK/USA)


9
LA ISLA MÍNIMA
(Alberto Rodríguez, Spanien)


10
TAXI
(Jafar Panahi, Iran)



HONOURABLE MENTIONS
  • Birdman or (The Unexpected Virtue of Ignorance) (Alejandro González Iñárritu)
  • Les combattants (Thomas Cailley)
  • Ex Machina (Alex Garland)
  • Ich seh ich seh (Severin Fiala, Veronika Franz)
  • National Gallery (Frederick Wiseman)
  • Victoria (Sebastian Schipper)
  • Whiplash (Damien Chazelle)

Donnerstag, 24. Dezember 2015

The Good Dinosaur

Noch selten hat man einem animierten Hollywood-Grossprojekt die Produktionshölle so gut angesehen wie The Good Dinosaur, dem nach Inside Out zweiten Pixar-Film, der 2015 in den Kinos zu sehen ist.

Die unschöne Geschichte beginnt im Jahr 2009, als Up-Co-Regisseur Bob Peterson die Idee hatte, einen Film über Dinosaurier in einem alternativen Universum zu machen, in welchem die Urechsen nicht durch die Folgen eines Asteroideneinschlags ausstarben. Zusammen mit dem Animator und gelegentlichen Stimmendarsteller Peter Sohn begann Peterson die Arbeit an The Good Dinosaur, für den ein Startdatum im November 2013 vorgesehen war. Doch er manövrierte sich in eine Sackgasse: Am dritten Akt der spekulativen Prähistorie soll er gescheitert sein, weshalb er die Produktion verliess und Sohn als alleiniger Regisseur verblieb.

Es folgten mehrere Cast-Wechsel – von der originalen Stimmbesetzung schaffte es einzig Frances McDormand in die fertige Fassung – und Start-Verschiebungen; im Laufe des Jahres 2014 wurde die ganze Geschichte neu konzipiert, wodurch man sich mehr und mehr vom Sinn und Geist von Petersons ursprünglicher Prämisse entfernte. Aus einer Dinosaurier-Kultur mit klar definierten Figurengruppen wurde ein Plot, in dem, laut Pixar-Sprechern, die Natur selbst die Antagonisten-Rolle einnimmt.

Der langen Rede kurzer Sinn: Das Chaos hinter den Kulissen ist am Endprodukt nicht spurlos vorbeigegangen. Pixars Neuester ist ein heilloses Durcheinander, in dem einzelne Momente zwar positiv in Erinnerung bleiben, im Ganzen aber einfach nicht zusammen passen wollen. Schon die Handlung ist eine seltsame Mischung aus bizarren Non sequiturs und ausgetretenen erzählerischen Pfaden. Arlo (Stimme: Raymond Ochoa) ist ein junger Apatosaurus, der auf dem Bauernhof seiner Familie einen schweren Stand hat. Während seine Geschwister Buck (Marcus Scribner) und Libby (Maleah Padilla) die Eltern Henry (Jeffrey Wright) und Ida (Frances McDormand) tatkräftig bei der Arbeit unterstützen, fehlen Arlo dazu schlicht die Muskeln und der Mut. Als sich ein Menschenkind (Jack Bright) am Mais-Vorrat der Dinosaurier-Familie zu schaffen macht, setzt dies einen Prozess in Gang, der Arlo schliesslich dazu zwingt, sich seinen Ängsten zu stellen und seinen eigenen Weg zu gehen.

Der ängstliche Dinosaurier Arlo (Stimme; Raymond Ochoa) muss in der Wildnis seinen Mut finden, um nach Hause zurückkehren zu können.
© The Walt Disney Company Switzerland / Pixar Animation Studios
Ein stringenterer Film würde in der Folge nicht nur zeigen, wie der Protagonist seinen Mut findet, sondern würde diese Entwicklung in einen Zusammenhang mit der grundlegenden Problemstellung der Erzählung stellen. Schon dieser Anforderung kommt The Good Dinosaur nicht nach: Zwar wird in mal banalen, mal haarsträubenden, dann wieder witzigen Episoden ersichtlich, wie Arlo lernt, mit der eigenen Furcht umzugehen; doch wieso er am Ende des Films von seiner Familie wie ein Held empfangen wird, entbehrt einer überzeugenden Logik. Als er die Farm verlässt, kämpfen Ida, Buck und Libby um die letzte Ernte vor dem Winter; als er zurück kommt, ist das Feld abgeerntet – ohne seine Hilfe.

Darüber liesse sich einfacher hinwegsehen, wenn seine Reise durch eine seltsam texanisch geprägte Dinosaurier-Kultur ein harmonischeres Bild der Charaktere und ihrer Welt vermitteln würde. Doch The Good Dinosaur wirkt wie eine jener Episoden in animierten Sitcoms, in denen Autoren versuchen, ihre verrücktesten Einfälle zu einer Geschichte zu verarbeiten. Im 20-Minuten-Format von Simpsons und Family Guy mag das funktionieren; ein Film ohne handfestes Konzept – wie es etwa Laikas im besten Sinne abstruser The Boxtrolls hatte – wirkt jedoch schnell einmal überfrachtet und ermüdend.

Unter der Ägide von Peter Sohn und Drehbuchautorin Meg LeFauve (Inside Out) scheinen allerdings kaum mehr die klaren Plot- und Tonfall-Regeln zu gelten, die Bob Peterson einst wohl vorschwebten. Szenen stiller Anmut prallen auf für Pixar untypische Moral-Gemeinplätze – "The strength was always within me" –, deplatzierte, aus The Lion King übernommene Wendungen, kinderuntaugliche Einschläge und wunderliche Momente, deren schiere Absurdität immerhin zum Unterhaltungswert des Films beitragen.

Auf seiner Reise erhält er Gesellschaft vom Menschenjungen Spot (Jack Bright).
© The Walt Disney Company Switzerland / Pixar Animation Studios
So essen etwa Arlo und sein menschlicher Freund, den er Spot tauft, verfaulte Früchte, was zu einem zutiefst verstörenden Halluzinations-Intermezzo führt. Andernorts reisst Spot einem hilflosen Insekt den Kopf vom Leib; derweil Tyrannosaurus-rex-Cowboys (gesprochen von Anna Paquin, A. J. Buckley und einem hervorragenden Sam Elliott) Velociraptor-Viehdiebe bekämpfen, am Lagerfeuer Insekten-Mundharmonika spielen und sich Geschichten aus den Zeiten erzählen, in denen sie Krokodile in ihrem eigenen Blut ertränkten. Verstärkt wird diese Disharmonie durch die sich beissenden Animationsstile der Figuren und der Kulissen: In atemberaubend gestalteten, erstaunlich realistischen Landschaften bewegen sich Dinosaurier, deren Farbe und Design unvorteilhaft an Gummipuppen erinnern.

Letztlich ist The Good Dinosaur trotz allem kein durch und durch schlechter Film – vorab dank seines unbestreitbaren Unterhaltungswerts. Doch gerade im Vergleich mit dem restlichen Pixar-Kanon stellt er eine masslose Enttäuschung dar. Es fehlt der kreative Funke, die Auseinandersetzung mit dem eigenen Inhalt, um sich mit Filmen wie Toy Story, Ratatouille oder seinem direkten Vorgänger Inside Out messen zu können. Ein beträchtlicher Anteil von Pixars aussergewöhnlichem Ruf gründet darauf, dass das Studio in seinen Produktionen stets darum bemüht war, sich in seine Figuren hineinzuversetzen. Wie fühlt es sich an, ein Spielzeug zu sein? Was steckt hinter der Existenz einer Ratte, die ein menschlicher Koch sein will? Wie sehen vermenschlichte Emotionen die Welt? Selbst ein inferiores Werk wie Cars enthält Überlegungen zur Realität der Charaktere.

Arlo und Spot begegnen wunderlichen Zeitgenossen, darunter einer Familie von Tyrannosaurus-Cowboys.
© The Walt Disney Company Switzerland / Pixar Animation Studios
The Good Dinosaur aber lässt diese Form der Einfühlsamkeit vermissen. Arlo ist ein kleiner Junge im Körper eines Dinosauriers, Spot ein Hund im Körper eines kleinen Jungen. Die zoologische Rollenverteilung ist – wohl als Resultat der unsteten Produktion – völlig willkürlich. Man könnte die beiden nach Belieben in andere Tiere verwandeln, ohne dass sich an der Geschichte selbst gross etwas ändern würde; am Ende ist man so schlau wie zu Beginn, was es bedeutet, in dieser alternativen Chronologie ein Apatosaurus zu sein.

Pixars Genialität liegt nicht im Ersinnen ausgefallener Prämissen, sondern im seriösen Bearbeiten solcher Ideen. Um zu dieser Schlussfolgerung zu gelangen, genügte bislang ein Blick in die erlesene Filmografie des Studios. Nun jedoch wird diese Tatsache durch Pixars schwächsten Film noch zusätzlich veranschaulicht.

★★

Sonntag, 20. Dezember 2015

Macbeth

© Frenetic Films

★★★★

"Where other adaptations of Shakespeare’s shortest tragedy stress hubris and the cold, unflinching progression of fate, Kurzel narrows the play down to its gritty, gory, primal essence. In keeping with the sparse Highland landscape, there is comparatively little outright dialogue in this version, which mainly relies on its powerful, beautifully colour-enhanced imagery to convey Macbeth’s slow descent into murderous insanity."

Ganze Kritik auf The Zurich English Student (online einsehbar).

Freitag, 18. Dezember 2015

It Follows

© Dimension Films

★★★★★

"Beyond its virtually unmissable sexual dimension, the movie never clearly commits itself to opening up these interpretative rabbit holes. On the visible surface, it always remains a brilliant, hair-raising horror mood piece, whose more conventional scares work, and stay, in the moment. But the questions that follow stick around for a good long while."

Ganze Kritik auf The Zurich English Student (online einsehbar).

Dienstag, 15. Dezember 2015

Online Film Critics Society Awards 2015

© 2014 Warner Bros. Ent.

Zum 19. Mal hat die internationale Online Film Critics Society (OFCS), der auch ich angehöre, ihre jährlichen Filmpreise verliehen – und der grosse Gewinner heisst Mad Max: Fury Road. Eine ungewöhnliche, aber hervorragende Entscheidung!

Bester Film: Mad Max: Fury Road
Beste Regie: George Miller – Mad Max: Fury Road
Bester Hauptdarsteller: Michael Fassbender – Steve Jobs
Beste Hauptdarstellerin: Cate Blanchett – Carol
Bester Nebendarsteller: Oscar Isaac – Ex Machina
Beste Nebendarstellerin: Rooney Mara – Carol
Bestes Originaldrehbuch: Spotlight – Tom McCarthy, Josh Singer
Bestes adaptiertes Drehbuch: Carol – Phyllis Nagy
Bester Animationsfilm: Inside Out
Bester Dokumentarfilm: The Look of Silence
Bester nichtenglischsprachiger Film: The Assassin
Beste Kamera: Mad Max: Fury Road – John Seale
Bester Schnitt: Mad Max: Fury Road – Margaret Sixel
Beste nicht in den USA gestartete Filme: Aferim!, Cemetery of Splendour, El club, Dheepan, The Lobster, Mia madre, Mountains May Depart, Rams, Right Now, Wrong Then, The Sunset Song

Montag, 14. Dezember 2015

Rams

Kaum zwei Jahre nach Benedikt Erlingssons Of Horses and Men beehrt mit Grímur Hákonarsons Rams erneut ein isländischer Film die Kino-Weltbühne, in dem die Beziehung der Isländer zu ihren Tieren behandelt wird. Anders als Hákonarson vermag dabei mehr aus der Prämisse herauszuholen als platte Absurditäten über Sex und Tod, die bei Erlingsson überwogen.

Das wortkarge, lakonische Minimal-Drama, das stark an die Filme Aki Kaurismäkis und Dagur Káris erinnert, spielt in einem abgeschiedenen Tal im dünn besiedelten Osten Islands. Dort lebt eine kleine Gemeinde von Schafzüchtern, deren unangefochtene Könige die zerstrittenen Brüder Gummi (Sigurður Sigurjónsson) und Kiddi (Theodór Júlíusson) sind. Jahr für Jahr machen ihre Böcke beim lokalen Zuchtwettbewerb die ersten beiden Ränge unter sich aus. So auch dieses Jahr: Mit einem halben Punkt Vorsprung entscheidet der ältere Kiddi das Duell einmal mehr für sich – sehr zum Ärger des gewissenhaften Gummi.

Doch es scheint, als müsste das schon 40 Jahre währende Schweigen zwischen den beiden bald gebrochen werden. Gummi entdeckt bei Kiddis Siegerbock Symptome der Traberkrankheit, was bald von den Behörden bestätigt wird. Um der unheilbaren Viehkrankheit Herr zu werden, wird angeordnet, dass alle Züchter im Tal ihren ganzen Bestand notschlachten müssen.

Gerade auch im Vergleich mit Of Horses and Men ist Rams ein bemerkenswerter Film. Während Ersterer sich in seinen schrägen Episoden anzumassen schien, etwas von Bedeutung über das Menschsein auszusagen, verweigert sich Hákonarson derartigen Bemühungen – und hat letztlich dennoch den tiefsinnigeren, nachdenklicher stimmenden Film gemacht.

Zwischen den Schafzüchter-Brüdern Gummi (Sigurður Sigurjónsson, 3. v. l.) und Kiddi (Theodór Júlíusson, 7. v. l.) herrscht seit Jahrzehnten eisiges Schweigen.
© Xenix Filmdistribution
Man kann hier ohne weiteres einzelne Elemente symbolisch auffassen. Die krankheitsanfälligen, nach genetischen Vorteilen gezüchteten Schafe könnten sich auf das relativ isolierte isländische Volk beziehen, dessen begrenzter Genpool unter anderem zur Entwicklung von Apps geführt hat, auf denen angehende romantische Partner überprüfen können, ob sie nicht versehentlich Inzest begehen. Der abgeschiedene Schauplatz – mit seiner faszinierenden Wildromantik, aber auch seinen dezent angedeuteten menschlichen Abgründen – lässt sich problemlos als Mikrokosmos der ganzen Insel lesen.

Doch das liegt beim Betrachter. Selber bleibt Rams in seinem Kern durchgehend ein einfühlsames Drama über zwei entfremdete Brüder, die sich im Angesicht des Untergangs ihres traditionellen Lebensstils langsam wieder annähern müssen. Ohne viel Dialog, sondern mit lang ausgehaltenen, einfallsreich konzipierten, oft wunderschön symmetrischen Einstellungen porträtiert Hákonarson die komplexe Beziehung zwischen Gummi und Kiddi, die in einem offenen, den einen oder anderen Betrachter bestimmt irritierenden Ende perfekt kulminiert.

Rams ist ein leiser, in sich geschlossener Film, der mit seiner erzählerischen Bodenständigkeit und seiner formalen Eleganz bleibende Spuren hinterlässt. Nach Spektakel und ausufernder Dramatik sucht man hier vergeblich; was man bekommt, ist ein Musterbeispiel für jene Art von menschlichem Weltkino, dem der absehbare Erfolg an den Kinokassen von Herzen zu gönnen ist.

★★★★

Samstag, 12. Dezember 2015

Bridge of Spies

Glaubt man der Rezeption, so zieht es Steven Spielberg seit einigen Jahren vom massentauglichen Blockbuster zu politisch expliziterem Kino. Sein Lincoln (2012) wurde als verdeckte Aufforderung an Barack Obama aufgefasst, sich mit präsidialem Vertrauen in die eigene historische Rolle über die Einschränkungen der Tagespolitik hinwegzusetzen. Mit Bridge of Spies präsentiert Spielberg nun ein vielleicht etwas gar ausladendes Plädoyer gegen staatlich geförderte Vorurteile und isolationistisches Blockdenken.

Eines jedoch vorweg: Wie Saving Private Ryan, Catch Me If You Can, The Terminal und nicht zuletzt Lincoln ist auch Bridge of Spies, bei aller unterschwellig geäusserten Kritik an der Geschichte Amerikas, ein unzweifelhaft patriotischer Film. Mit fast schon libertarischem Eifer besingen Spielberg und das Drehbuchautoren-Trio, bestehend aus Matt Charman und den Coen-Brüdern, die Macht des findigen privaten Geschäftsmannes, den Karren aus dem Dreck zu ziehen, den eine unbeholfene Regierung mit kurzsichtigem Fanatismus darin versenkt hat.

Der amerikanische Jedermann, der hier mit Pragmatismus und Menschlichkeit zwei entgegengesetzten gesichtslosen Systemen die Stirn bietet, ist der Anwalt James "Jim" Donovan, der auf der Höhe des Kalten Krieges vom unverhofften Verfechter der Rechtsstaatlichkeit zum Unterhändler zwischen den USA und der Sowjetunion "befördert" wurde. Gespielt wird der 1970 verstorbene Donovan – wie könnte es auch anders sein? – von Tom Hanks, für den das vorliegende Rollenmuster so etwas wie eine Karriere-Grundlage darstellt. (Big, Philadelphia, Forrest Gump, Apollo 13, Saving Private Ryan, The Green Mile, Road to Perdition, Charlie Wilson's War, Captain Phillips – die Liste liesse sich beliebig erweitern.)

Donovan wird 1957 dazu verdonnert, die gesetzlich vorgesehene Verteidigung für den in England geborenen sowjetischen Spion Rudolf Abel (ein grossartiger Mark Rylance) anzutreten. Pflichtbewusst nimmt der auf Versicherungsfälle spezialisierte Anwalt die undankbare Aufgabe an und bemüht sich in der Folge leidenschaftlich darum, seinen Klienten vor der Todesstrafe zu bewahren.

Anwalt James Donovan (Tom Hanks, rechts) erhält den Auftrag, dem ertappten sowjetischen Spion Rudolf Abel (Mark Rylance, links) vor Gericht als Pflichtverteidiger zu dienen.
© 2015 Twentieth Century Fox Film Corporation
Während die Verhandlung in den amerikanischen Medien breit getreten wird – und Donovan hinter Abel zum Volksfeind Nummer zwei "avanciert" –, trainiert die CIA auf einem Stützpunkt in Pakistan ausgewählte Kampfpiloten, darunter Francis Gary Powers (Austin Stowell), mit einem hoch entwickelten Beobachtungsflugzeug Spionageflüge über der UdSSR zu unternehmen. Während eines solchen Einsatzes wird Powers prompt abgeschossen und gerät in sowjetische Gefangenschaft.

Der Kalte Krieg ist in Bridge of Spies nicht primär ein Konflikt der polaren Ideologien, sondern zweier ähnlich strukturierter und funktionierender Blöcke. Beide Seiten verfügen über ein nukleares Arsenal; beide entsenden Spione, um einander Geheimnisse zu stehlen; beide sind daran interessiert, die Gegenseite im Verborgenen zu destabilisieren. Gerade in der ersten Hälfte des Films erlauben sich Spielberg, Charman und die Coens in diesem Zusammenhang einen für Hollywood-Verhältnisse fast schon satirischen Blick auf die amerikanische Seite: Wie eine Horde willenloser Kommunisten-Aliens aus Invasion of the Body Snatchers stellt sich eine Schulklasse samt Lehrerin morgens vor die US-Flagge, um wie aus einem Mund den "Pledge of Allegiance" aufzusagen. Zeigen sich die Amerikaner empört ob des verfassungskonformen Prozesses, den Abel erhält – was nach der Strafmass-Verkündung (30 Jahre Haft) in blanke Lynchjustiz-Gelüste übergeht –, erntet das beinahe identische Urteil für Francis Powers stehende Ovationen des russischen Publikums.

Um mit sowjetischen Unterhändlern über einen Gefangenenaustausch zu verhandeln, wird Donovan kurz nach Errichtung der Berliner Mauer in die geteilte deutsche Metropole geschickt.
© 2015 Twentieth Century Fox Film Corporation
Fast alle diese einnehmenden Feinheiten fallen in den ersten Akt eines Films, der nach einer guten Stunde seinen Helden die Koffer packen und ins geteilte Berlin reisen lässt, um dort als nichtstaatlicher Vertreter der USA um einen Gefangenenaustausch zu feilschen: Abel für Powers und den an der neu errichteten Berliner Mauer festgenommenen Studenten Frederic Pryor (Will Rogers). Was danach kommt, schlägt ziemlich schnell die Route eines konventionelleren Spionagedramas mit Kalter-Krieg-Thematik ein. Das glänzt zwar ebenfalls mit beeindruckenden Kulissen, atmosphärischen Bildern – die für Kameramann Janusz Kamiński so typische grelle Gegenbeleuchtung erreicht hier neue Höhepunkte –, trockenem Humor und einem relativ hohen Unterhaltungswert; die beträchtliche Länge wirkt jedoch kaum gerechtfertigt. Ein gewissenhafterer Schnitt hätte die Irrungen und Wirrungen in West- und Ost-Berlin straffen und den Film auf schlanke zwei Stunden reduzieren können.

Bridge of Spies bleibt somit eine anregende, aber leicht aufgeblähte Angelegenheit, die sich mitunter in ihrer Mischung aus Humanismus und amerikanischem Exzeptionalismus verheddert. Denn am Ende bleibt der Ostblock ein nebliges, graues, verfallendes Niemandsland – und damit dem in Hunderten von Filmen etablierten Klischee treu. "Dort" werden Mauerkletterer gnadenlos erschossen; derweil dieselbe Tätigkeit "hier" in den USA noch ein scheinbar unschuldiges Kinderspiel ist, wie es in einer der letzten Szenen zu sehen ist. Doch dank des vergleichsweise differenzierten Gesamtprodukts, ist man durchaus gewillt, in diesem Bild eine Vorahnung auf den nahenden Vietnamkrieg zu sehen.

★★★★

Dienstag, 8. Dezember 2015

Carol

© Pathé Films AG

★★★★★

"So wie Highsmiths Roman bei seinem Erscheinen mit seiner positiven Darstellung homosexueller Beziehungen die Konvention ignorierte, behandelt Carol die Romanze zwischen Therese und Carol nicht als rebellischen Akt, sondern als eine unausweichliche menschliche Selbstverständlichkeit."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar).

Dienstag, 1. Dezember 2015

Shaun the Sheep Movie

Neben den Animations-Giganten Disney, Pixar, DreamWorks und Ghibli sowie den kleineren Trickfilm-Schmieden Fox, Laika und Illumination besteht stets die Gefahr, die britischen Aardman Studios zu vergessen, die seit den 1970er Jahren verlässlich für beste Plastilin-Stop-Motion-Unterhaltung sorgen.

Der CGI-Boom, der es kleineren Produktionsfirmen zunehmend leichter macht, mit vergleichsweise wenig Budget grosse Erfolge zu feiern, ist auch an den Machern von Wallace und Gromit nicht spurlos vorüber gegangen: Die Einnahmen ihrer in mühsamster Kleinarbeit hergestellten Langspielfilme sind seit ihrem Debüt im Jahr 2000 stetig zurückgegangen. Nachdem Chicken Run damals mit einem Einspielergebnis von 225 Millionen Dollar einen Rekord für Stop-Motion-Filme aufstellte, hat Aardmans neuestes Projekt – nach Wallace & Gromit: The Curse of the Were-Rabbit (2005, 193 Millionen), Flushed Away (2006, 178 Millionen), Arthur Christmas (2011, 147 Millionen) und The Pirates! In an Adventure with Scientists! (2012, 123 Millionen) –, Shaun the Sheep Movie, nur noch äusserst knapp einen dreistelligen Millionenbetrag erreicht – nicht viel mehr als Kleingeld im hart umkämpften Milliardengeschäft Animationsfilm.

Das überrascht, gehört doch "Shaun das Schaf", welches 1995 im Wallace and Gromit-Kurzfilm A Close Shave erstmals auftrat und seit 2007 Held einer eigenen TV-Serie ist, zu den beliebtesten Figuren im britischen Kinderfernsehen. Und sein Charme überträgt sich auch auf die Kinoleinwand: Shaun the Sheep Movie gehört zusammen mit Pixars Inside Out und Disneys Big Hero 6 zu den besten Trickfilmen des Jahres.

Shaun bleibt sich treu: Auch im Spielfilmformat verzichtet Aardman – selbst unter den menschlichen Figuren – auf jedwede Dialoge und vertraut auf die universell verstandene Slapstick-Komödie, wie man sie nicht nur aus dem Stummfilm, sondern auch aus den Abenteuern von Wallace und Gromit kennt. Entsprechend hält Shaun the Sheep Movie weniger eine aufwändig erzählte Geschichte als eine 85-minütige Reihe von komödiantischen Steilvorlagen bereit. Diese spielen sich vor einer denkbar simplen Prämisse ab: Shaun und seinen Schaf-Freunden hängt die ewige Farm-Routine zum Hals heraus, weshalb sie ihrem Bauern kurzerhand einen freien Tag verordnen. Doch eine unglückliche Verkettung von Zufällen führt dazu, dass sich der Wohnwagen, in den sie ihn verfrachtet haben, selbstständig macht und schnurstracks in die nahe gelegene Grossstadt rollt. Shaun, geplagt von schlechtem Gewissen, eilt dem Wagen hinterher, gefolgt von den anderen Schafen, die im Asphaltdschungel reihum für Chaos sorgen.

Shaun das Schaf berät mit seinen Freunden darüber, wie sie ihren Bauern von der grossen Stadt wieder zurück zum heimischen Hof befördern können.
© Impuls Pictures AG
Daraus entwickelt das Regie- und Autoren-Duo Mark Burton und Richard Starzak einen Film, der die Etikette "Spass für die ganze Familie" redlich verdient. Während sich im Vordergrund Shaun, Meryl, der kleine Timmy (aus Tarnungsgründen zu einem Rucksack umfunktioniert) und dessen Mutter tummeln und so die – lobenswert multikulturell dargestellte – Stadtbevölkerung auf höchst unterhaltsame Art und Weise verwirren, verstecken sich im Hintergrund, sozusagen als jugendfreier Bonus für das erwachsene Publikum, allerlei Witze und Anspielungen in Form von Schildern und Aufschriften. Sie erweisen sich zweifellos als die bessere diesbezügliche Option als die Verbindung zwischen suggestiver Musik und der Liebe eines Hofhundes zu seinen Knochen.

So vergeht Shaun the Sheep Movie denn auch wie im Fluge. Zwar ergeben sich Burton und Starzak schlussendlich auch dem Kinderfilm-Topos des actionreichen Kampfes gegen den Bösewicht – die zweite Hälfte von Illuminations Minions lässt grüssen –, doch auch dieser hält sich im überschaubaren Rahmen und zeugt, angesichts der verwendeten Stop-Motion-Technik, von beeindruckender Kunstfertigkeit. Selbst wenn der Film nicht ganz die Höhen von Aardman-Produktionen wie Chicken Run, Wallace and Gromit oder The Pirates! erreicht – Shauns Grand Day Out überzeugt.

★★★★