Entsprechend überrascht es wenig, dass Chandors oscarnominiertes Regiedebüt seit seinem Erscheinen 2011 praktisch in Vergessenheit geraten ist. Der Film war gut gemeint, elegant aufgezogen und versuchte sich in gewissen Momenten sogar an Satire. Doch bleibende Spuren hat er kaum hinterlassen.
Feuer, so scheint es, muss mit Feuer bekämpft werden – sprich: Der schieren Absurdität der Wall Street kann nur mit einer Groteske adäquat begegnet werden. Diesen Weg hat Adam McKay eingeschlagen, ein Regisseur, dessen Name man bislang ausschliesslich mit den Komödien des dahinsiechenden "Frat Packs" um Will Ferrell und Vince Vaughn in Verbindung brachte. Auf Talladega Nights, Step Brothers, The Other Guys sowie zwei Anchorman-Filme folgt mit The Big Short nun ein unverhoffter Oscarkandidat, der seinem Publikum mit Hilfe eines ausladend toupierten Star-Casts vorführen will, dass die beste Persiflage des amerikanischen Finanzsektors immer noch eben dieser ist.
Basierend auf dem gleichnamigen Non-Fiction-Buch von Michael Lewis, erzählt McKays Film vom Hedgefonds-Manager Michael Burry (Christian Bale), der im Jahr 2005 entdeckt, dass der US-Immobilienmarkt hauptsächlich auf maroden Hypotheken fusst, die das Potenzial haben, die ganze Wirtschaft zu Fall zu bringen. Burry, ganz der gewinnorientierte Turbo-Kapitalist, packt die Gelegenheit beim Schopf und wettet, sehr zum Ärger seiner Vorgesetzten, Unsummen auf den Kollaps der Immobilienbranche. Auch andere Wall-Street-Strategen orten die Fäulnis im Kern des amerikanischen Kapitalismus: Mark Baum (Steve Carell), Jared Vennett (Ryan Gosling) sowie die Jung-Broker Jamie Shipley (Finn Wittrock) und Charlie Geller (John Magaro), die mit dem desillusionierten Investor Ben Rickert (Brad Pitt) zusammenarbeiten, versuchen, aus der bevorstehenden Krise Profit zu schlagen.
Verstärkt wird der Effekt durch jenen Moment im dritten Akt, in dem Ben Rickert seinen jungen Schützlingen ins Gewissen redet. Im Laufe ihres Besuchs einer Broker-Tagung in Las Vegas wird klar, dass niemand der Anwesenden den bevorstehenden GAU auch nur ahnt, wodurch ihr Wettgewinn so gut wie gesichert ist – für Charlie und Jamie ein Grund zum Feiern. "People are gonna lose their houses", mahnt Ben jedoch. "Their savings, their pensions. Millions of people are gonna be out of a job". Durch die Gier, die Bequemlichkeit und – anders lässt es sich nicht sagen – die Dummheit der Reichsten wurden die Ärmsten in den Abgrund gestürzt; derweil die Verantwortlichen weiterhin ihre fetten Boni kassierten und als vorbildliche Verwirklicher des Amerikanischen Traums dargestellt wurden.
Auch der Investor Mark Baum (Steve Carell, 2.v.l.) bekommt Wind vom maroden Finanzsystem. © Universal Pictures Switzerland |
Verbindet man diese Szenen miteinander, ergibt sich ein klares Bild davon, worauf Adam McKay hinaus will. The Big Short ist eine flammende Anklageschrift sowohl gegen das moralisch bankrotte kapitalistische System in den USA als auch gegen die von den Medien unterstützte Apathie der Bevölkerung. Die krummen Touren im Finanzsektor werden als staatstragende Geschäftstüchtigkeit verkauft, während die Forderung nach Mindestlöhnen und einem ausgebauten sozialen Sicherheitsnetz im öffentlichen Diskurs wahlweise mit Stalinismus oder ochlokratischer Faulheit gleichgesetzt wird. So ertappt der Film seine Zuschauer quasi auf frischer Tat: Die Jagd seiner ohnehin schon gut situierten Figuren nach noch mehr Gewinn bildet das dramaturgische Zentrum; das Publikum fiebert fast schon automatisch mit diesem Vorhaben mit, obwohl dies auf Kosten normaler Bürger geschieht.
Das hitzige Chaos Wall Street wird von McKay – mit Ausnahme eines auffälligen Durchhängers im Mittelteil – in streckenweise fiebrigem Tempo in Szene gesetzt, würdig unterstützt von einem virtuosen Schnitt und der abgeklärten Kameraarbeit von Kriegsfilm-Experte Barry Ackroyd (The Hurt Locker). Das überwältigende Delirium von The Wolf of Wall Street vermag The Big Short zwar nicht heraufzubeschwören, doch genau wie Martin Scorseses exzessive Brachialsatire trifft McKay mit seinem feurigen Humor dorthin, wo es wehtut: Gier und Korruption überleben, weil wir, die Kinogänger, es nicht nur zulassen, sondern unbändig davon fasziniert sind.
★★★★
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