Sonntag, 28. Februar 2016

Deadpool

16 Jahre X-Men im Kino, acht Jahre Marvel Cinematic Universe, 19 Filme, Einnahmen im zweistelligen Milliarden-Bereich – die Welt und Marvel sind bereit für Deadpool, den "Merc with a Mouth", die traumatisierte Quasselstrippe, die weiss, dass sie ein Comic-Superheld ist.

Zwar haben sich in der jüngeren Vergangenheit schon Filme wie Guardians of the Galaxy oder Ant-Man daran versucht, ernsten Genre-Heroismus mit ironischer Selbstreflexion zu brechen; doch so weit wie Deadpool wagte noch keine Marvel-Produktion zu gehen. Produziert von "Asshats", inszeniert von "An Overpaid Tool" und geschrieben von "The Real Heroes" – so steht es jedenfalls im Vorspann zu lesen –, handelt der Film davon, wie aus dem Ex-Soldaten und pathologischen Witzbold Wade Wilson (Ryan Reynolds) nach einer Krebserkrankung ein Antiheld mit Heilungsfähigkeiten wurde, der im roten Latex-Kostüm Rache an den Menschen nehmen will, die für seinen entstellten Körper verantwortlich sind.

Die virtuose erste Actionsequenz zeigt Wade, der sich inzwischen "Deadpool" nennt, nahe am Ziel. Seine Rache ist in vollem Gange: Munter Sprüche klopfend, verteilt er Kopfschüsse, spiesst Leute auf seinen Schwertern auf, sorgt für einen Autounfall, bei dem einer seiner Gegner enthauptet wird, während ein anderer mit einem unappetitlichen Geräusch gegen ein Strassenschild klatscht. In den USA ist Deadpool "R-rated" – nicht jugendfrei. Es dauert nur wenige Minuten, bis man weiss, warum.

Doch es ist nicht nur die entfesselte, im Stile Quentin Tarantinos genüsslich überzeichnete Gewalt, welche gerade die erste Hälfte des Films zum Befreitesten und Besten macht, was Marvels Filmdepartement seit seiner Gründung 1993 produziert hat. Denn die ganze blutige Farce wird erst durch Deadpools unablässigen, die vierte Wand durchbrechenden Kommentar, seine an sich unmöglichen Anspielungen ("Let's go to the Professor" – "Which one? McAvoy or Stewart?") und seine makaberen Sprüche zu einem höchst unterhaltsamen Spektakel.

Das Konzept ist simpel: Man nehme einen Protagonisten, der sich sowohl der Gesetze von Genre und Medium als auch seiner eigenen Fiktionalität bewusst ist, und lasse ihn den "Verbündeten" des Publikums sein, welches dieses Wissen natürlich teilt. Anders jedoch als etwa in den Jump Street-Filmen hat diese Aufhebung der Grenze zwischen filmischer und echter Realität einen konkreten Fokus: das Marvel-Universum, insbesondere jenes der X-Men-Franchise. Dass Deadpool selber ein Marvel-Held ist, macht diese Persiflage umso witziger.

Wade Wilson alias Deadpool (Ryan Reynolds) befindet sich auf einem Rachefeldzug – bewaffent mit Pistolen, Schwertern und dem losesten Mundwerk im Marvel-Universum.
© 2015 Twentieth Century Fox Film Corporation

Nicht alle Gags treffen ins Ziel. Deadpools Pansexualität wird grösstenteils übergangen; und in der zweiten Hälfte nimmt sich die Meta-Ebene des Films eine Auszeit, sodass eine relativ konventionelle Herkunftsgeschichte aufgegleist werden kann. Das reicht aber nicht, um dem Film seinen bissigen Charme zu nehmen. Etwa sieben von zehn Scherzen zünden – eine beachtliche Quote –, und sie sind dicht genug gestreut, um im Ganzen mit den lustigsten Komödien des letzten Jahres mühelos mitzuhalten. Deadpools Weigerung, sich irgendeinem Heldentum-Klischee unterzuordnen, bleibt bis zuletzt treibende Kraft eines durch und durch subversiven Films, in dem trotz allem ein emotionaler Kern zu finden ist. Dieser ist der souverän gehandhabten Beziehung zwischen Wade und seiner Freundin, der Prostituierten Vanessa (Morena Baccarin), geschuldet, die in ihrer demonstrativ zur Schau gestellten Anti-Romantik menschlicher wirkt als so manches andere Marvel-Paar.

Daran hat auch Ryan Reynolds seinen Anteil, seit dem Tag im Jahr 2004 für die Rolle prädestiniert, als sich der Comic-Deadpool als Mischung aus Reynolds und Shar-Pei beschrieb. Reynolds, obwohl kein begnadeter Schauspieler, trifft auch in den schwächeren Momenten des Drehbuchs genau die richtigen Töne, um die vorhandene Dramatik effektiv zu vermitteln und dem düsteren Humor die nötige kindlich-unschuldige Note zu verleihen. Und wenn sein Deadpool nach dem Abspann zur obligaten Marvel-Post-Credits-Szene anhebt – und dabei seinen inneren Ferris Bueller nach aussen kehrt –, dann wirkt das in Aussicht gestellte Sequel nicht wie eine finanzielle Unumgänglichkeit, sondern wie ein willkommenes Versprechen.

★★★★

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