Montag, 1. Februar 2016

Die dunkle Seite des Mondes

Gibt ein Film zu erkennen, wie sehr er von seiner eigenen Tiefgründigkeit überzeugt ist, ist das selten ein gutes Zeichen. Es ist das Markenzeichen von Terrence Malick in den 2010er Jahren; mit bedeutungsschwangeren Voiceovers wird eine transzendentale Philosophie vorgetäuscht. Auch der aktuelle Oscarfavorit The Revenant lässt sich mit seiner demonstrativ grübelnden Aufbereitung eines Spaghetti-Westerns in diese Kategorie einordnen.

Stephan Ricks Adaption von Martin Suters Roman Die dunkle Seite des Mondes ist ein filmisch weniger hochstehendes, inhaltlich aber ähnlich prätentiöses Projekt. Wie in den Malick-Werken The Tree of Life und Knight of Cups geht es hier im Grunde um die emotionale Leere und den moralischen Bankrott der westlichen Wohlstandsgesellschaft; im Unterschied zu Malick beleuchtet Rick das Thema unter dem thrillerfreundlichen Gesichtspunkt der "Bestie Mensch".

Urs Blank (Moritz Bleibtreu) – Suters Handlung mag von Zürich nach Frankfurt verlegt worden sein, doch der Schweizer Name hat sich gehalten – ist ein Wirtschaftsanwalt, der besonders für seine Mitarbeit bei Fusionen und Übernahmen geachtet ist. Doch als nach seinem jüngsten Erfolg der unterlegene Pharmakonzern-Chef in seinem Büro auftaucht und Selbstmord begeht, beginnt Urs, seine Arbeit und sein Leben zu hinterfragen. Den neuesten Fall seines Auftraggebers (Jürgen Prochnow) bearbeitet er nur halbherzig; er distanziert sich von seiner Ehefrau (Doris Schretzmayer); und die jüngere Lucille (Nora von Waldstätten) macht ihn mit einem alternativen Lebensstil bekannt.

So kommt es, dass Urs auf einem abgelegenen Hof mit einer Gruppe von Alt-Hippies halluzinogene Pilze konsumiert und einen Horrortrip erlebt, nach dem er plötzlich seine Emotionen nicht mehr kontrollieren kann: Er schlägt Leute, dreht Lucilles Katze den Hals um, verursacht Autounfälle. Nur im Wald scheint Urs so etwas wie Frieden zu finden.

Urs Blank (Moritz Bleibtreu, links) hat genug von den krummen Geschäften in der Finanzwelt – trotz des Vertrauens, das sein Auftraggeber (Jürgen Prochnow) in ihn setzt.
© filmcoopi
Mit heiligem Ernst schickt sich Die dunkle Seite des Mondes an, die Geschichte vom Menschen zu erzählen, dem jeder Vorwand gut genug scheint, um seinen animalischen Instinkten frönen zu können. Moritz Bleibtreus durchgehend betretene Miene unterstreicht seine innere Qual, sein Gewissen, das sich hilflos gegen sein Handeln zu stemmen versucht – ein Gewissen, welches, das zeigt ein unbeholfen angehängter Nebenplot um ein gefährliches Medikament, dessen Produktion ein diabolisch händereibender Jürgen Prochnow durchboxen will, durchaus intakt wäre. Der Geist ist willig, das Fleisch aber schwach.

Vielleicht verbärge sich ja in dieser unausgegoren wirkenden Ansammlung von philosophisch angehauchten Aspekten ein bissig-körperliches Porträt der Abgründe der menschlichen Psyche im Sinne von David Lynch, Lars von Trier oder David Fincher. Doch weder ist Rick ein Regisseur von genügend Format, noch ist der Geschichtenerzähler Suter subtil genug, um Urs' Kampf mit der eigenen Monstrosität etwas Differenzierteres und Raffinierteres als einen Groschenroman-Thriller abzugewinnen.

Der ansehnlich in Szene gesetzte Film wirft mit dramatischen – genauer: mittels Musik künstlich dramatisierten – Momenten nur so um sich und bemüht nicht selten lächerlich "schockierende" Wendungen, die den Anspruch, ernst genommen zu werden, hoffnungslos überstrapazieren. Rick und Co-Autorin Catharina Junk marschieren mit grimmiger Entschlossenheit voran, eisern am Glauben festhaltend, nicht Plattitüden, sondern philosophische Weisheiten zu vermitteln.

Wohler fühlt sich Urs in der Nähe seiner Freundin Lucille (Nora von Waldstätten), die ihn mit den Freuden des Drogenkonsums bekannt macht.
© filmcoopi
Die Art und Weise, in der sowohl das Drehbuch als auch die Schauspieler mit den Figuren umgehen, vermögen den Verdacht nicht auszuräumen, dass sich die Verantwortlichen erzählerisch arg übernommen haben. Im Gegenteil: Während für Urs und Lucille vier inhaltsleere Gespräche genügen, um einander unwiderstehlich zu finden, scheint Urs' Noch-Gattin von keinem anderen Gefühl besessen zu sein, als mit feuchten Augen ihrem ausgebüxten Ehemann nachzustellen. Urs selbst verkommt mehr und mehr zur unfreiwilligen Karikatur, für die Bleibtreu nicht mehr als die emotionale Subtilität eines pubertierenden Teenagers aufbringt: Seine Darbietung im dritten Akt besteht gefühlt aus halb gemurmeltem, halb tränenersticktem Selbstmitleid sowie lautstarken Aufforderungen, Leute sollen sich "verpissen".

Zugegeben, man wird leidlich unterhalten in diesem Film, der um jeden Preis zum Denken anregen will. Dafür sorgt zunächst die flott vorgetragene Thrillerhandlung; und wenn das Ganze während des ausgedehnten Dénouements in seine Einzelteile zerfällt, stellt sich eine gewisse Freude an Bleibtreus verzweifelten Versuchen ein, das emotionale Drama aufrechtzuerhalten. Zu retten ist diese aufgeplusterte Verfilmung eines prätentiösen Stoffes dadurch aber auch nicht.

★★

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